GEWALT IM FUSSBALL
Gute Fans, böse Fans
Von Dario Venutti
Beginnt mit der Schweizer Fussballmeisterschaft auch eine Saison der Wochenendkrawalle von Fans? Sind ab heute Freitag zwischen Zürich und Basel, Sitten und Bellinzona wilde Horden auf Saubannerzügen unterwegs? Diesen Eindruck vermittelten in den letzten Tagen Funktionäre, Sicherheitsleute und Journalisten. Nach der angeblich friedlichen EM rechnen sie im Hinblick auf die nationale Meisterschaft mit schlimmen Vorkommnissen.
Spätestens seit den Fackelwürfen von Krawallanten aus dem FCZ-Fanlager am 2. Mai in Basel scheint eine nüchterne Diskussion über Fussballfans hierzulande nicht mehr möglich zu sein. Es gelten die Gleichungen: Fans = potenzielle Gewalttäter, Fackeln = Gewalt. Deutlich zum Ausdruck kam dies am vergangenen Samstag, als Scharmützel und bengalische Fackeln beim Testspiel Basel - Dortmund am Uhrencup in Grenchen zum Krawall skandalisiert wurden. Selbst die Organisatoren des Turniers waren erstaunt über die Berichterstattung und dementierten insbesondere die Meldung, ein Tornetz habe gebrannt.
Kaum jemand bestreitet, dass im Schweizer Fussball Gewalt existiert. Und kaum jemand wehrt sich gegen eine strafrechtliche Verurtei- lung der Fackelwerfer von Basel. Doch wie schlimm steht es um die Gewalt? Und was ist in Zukunft zu erwarten?
Die Antwort auf diese Fragen hängt in erster Linie davon ab, was unter Gewalt zu verstehen ist. Das Beispiel der Fackeln zeigt, dass eine Neudefinition stattgefunden hat: Galten Pyroshows noch vor ungefähr 10 Jahren als Ausdruck von südländischer Stimmung, werden die Zünder heute pauschal kriminalisiert und mit Stadionverboten bestraft. Dadurch wird der Kreis der Gewalttäter erweitert – unabhängig davon, ob Fackeln als Waffen eingesetzt oder zur Stimmungsmache gezündet werden. Wer Fackeln anzündet, gilt heute im besseren Fall als Fan in Anführungszeichen, im schlechteren als Chaot.
Weil pyrotechnisches Material ein wichtiger Bestandteil der Fanszene ist, wird mit dessen Bekämpfung gleich die gesamte Szene in Frage gestellt. Die Vereine, Polizei und Öffentlichkeit müssen wissen, ob sie das wollen: Schwebt ihnen eine Fankultur vor, die den Anhängern Selbstbestimmung und eigene Gestaltung ermöglicht?
Oder wollen sie die Zuschauer zu passiven Konsumenten degradieren, wie das zum grossen Teil an der EM der Fall war? Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass rechtsfreie Räume geschaffen werden. Ihre Grenzen sollten ausgehandelt und nicht einseitig verordnet werden.
Schliesslich würde es helfen, die Sache mit mehr Gelassenheit anzugehen. Jedenfalls ist kaum nachvollziehbar, dass Fussballfans in der Schweiz heute als Problem der inneren Sicherheit gelten. Oder stellen die Anhänger die verfassungsmässige Ordnung des Landes in Frage? Planen sie einen Staatsstreich?
Ironischerweise führt der jüngst veröffentlichte «Bericht Innere Sicherheit» des Bundesamtes für Polizei die eigenen Warnungen ad absurdum: In der Fussballsaison 2006/07, als rund 1 Million Zuschauer im Stadion waren, wurden bei Ausschreitungen 52 Personen, darunter 9 Polizisten, verletzt und 99 Fans verhaftet. In Relation zur Anzahl Spiele und Zuschauer insgesamt kann man da nur sagen: Glücklich ein Land, das solche Fussballfans hat.
"In 1969 I gave up women and alcohol. It was the worst 20 minutes of my life."
George Best