Sammy hat geschrieben:Also nun bleibt die alles entscheidende Frage: Wie gelingt es Fankultur und Familien im Stadion zu behalten und Gewalt auszuschliessen. Wie kann man diese kleine Gruppe isolieren und ja: bestrafen (!) ohne die Mehrheit durch Massnahmen (Alkoholverbot, Fanpass, Geisterspiele) zu treffen.
Mich überzeugen bisher weder die "Videos über jedem Sitz"-Forderer noch die "rettet unsere Freiheit vor dem Überwachunsstaat"-Rufer.
Was muss geschehen? Wer hat eine Idee? Wie kriegt man das kurzfristig in den Griff, wie langfristig? Und ja, da ist die SK für mich auch in der Pflicht. Nicht als verlängerter Arm der Polizei, aber als Partner im Suchen von Lösungen. Mit "wir wollen Pyros, Stehplätze und Anonymität" ist es leider wohl nicht mehr getan. Wenn hier von Fanseite nicht an Lösungen mitgearbeitet wird, dann werden andere (vermutlich kaum regelmässige Matchbesucher) Lösungen durchsetzen. Schauder.
Also konstruktive Lösungen vor!
Ich finde dein Posting hat gute Denkanstösse und ich versuche mal eine Antwort auf gewisse Fragen zu geben.
Zuerst zu deiner ersten Frage:
"Wie gelingt es Fankultur und Familien im Stadion zu behalten und Gewalt auszuschliessen?"Ich finde das gelingt grundsätzlich schon ganz gut. Seit einigen Jahren ist in Schweizer Stadien ein regelrechter Zuschauerboom zu registrieren, in den letzten 2 Jahren gab es jeweils einen neuen absoluten Zuschauerrekord mit nun knapp über 2mio. Zuschauer pro Saison. Dazu beigetragen haben neue Stadien, die u.a. auch stark verbesserte Sicherheitbedingungen vorweisen können. Es wurde sehr viel Geld in die Sicherheit investiert und das vor allem auch durch die Clubs. Man kann also grundsätzlich mal konstatieren, dass trotz der andauernden medialen Rufe von wahrscheinlich Fussballabstinenten oder Fernsehzuschauern, man könne mit der Familie nicht mehr ins Stadion gehen ein gegenteiliger Trend festzustellen ist: Immer mehr gehen ins Stadion, darunter auch viele Familien.
Nun mag man es mir vielleicht fatalistisch auslegen, aber ich glaube, dass ein gewisser Bodensatz an Gewalt im Fussball nicht auszuschliessen ist. Seit sich der Fussball als Zuschauersport etablieren konnte sind Zuschauerauschreitungen in den Stadien zu verzeichnen. Die Vorläufer des modernen Fussballs in den verschiedenen Arten des Volksfussball wo sich zuweilen komplette Dörfer gegenüberstanden, waren sogar regelrecht durch Gewalt geprägt. Auch im Schweizer Fussball ist es schon vor Jahrzehnten zu Ausschreitungen gekommen. So gab es bereits 1995 Fackelwürfe in einen Fansektor. Im Unterschied zu heute machte man in früheren Zeiten weit weniger Aufheben um solche Vorfälle. Kämpfe zwischen Jugendgangs – wenn auch nicht so sehr beim Fussball – gehörten zum Alltag, und beim Fussball, der Domäne der "unzivilisierten" Proleten, erwartete der "zivilisierte" Teil der Bevölkerung auch nichts anderes als ein "barbarisches" Benehmen. Trotz der Versitzplatzung der Stadien und trotz einer gewaltigen Ausdehnung polizeilicher Massnahmen ist das Problem der Zuschauer- und "Hooligan"-Gewalt bis heute nicht endgültig gelöst (und zwar in keinem Land mit Fussball-Tradition). Vielleicht sollte man dennoch die Aufregung etwas herunterfahren. Vielleicht sollte man Soziologen wie Michel Maffesoli ein wenig ernster nehmen. Der vertrat die relaxte Auffassung:
»Das ausgehende 20. Jahrhundert ist eine Periode, die ängstlich auf keimfreie Zustände bedacht ist; es gehört zum guten Ton, mit Engelsgesicht das Anwachsen der Gewalt und die ihr zugeschriebene Bedeutung zu verurteilen. Gleichzeitig kritisieren die Schöngeister an ihr den Nachgeschmack der Barbarei. Es wäre besser, in ihr das Humanum zu würdigen und nachzuvollziehen, auf welchen Wegen sie oftmals ritualisiert werden konnten.«Mittelalterliche Spiele waren in einem Ausmass gewalttätig, dass sie heute keinem Publikum mehr zugetraut werden könnten; verglichen mit der damaligen Realität des Lebens waren sie allerdings keineswegs brutal. Wenn man also heute eine Zunahme der Gewalt beklagt, sei es ausserhalb oder auf dem Spielfeld, sollte man bedenken: Man hat es nicht mit einer neuen Brutalität zu tun, sondern mit einer veränderten Wahrnehmung von Gewalt. Und in jedem Fall ist die Gewalt, die man verurteilt, eine bereits rituell begrenzte.
"Wie kann man diese kleine Gruppe isolieren und ja: bestrafen (!) ohne die Mehrheit durch Massnahmen (Alkoholverbot, Fanpass, Geisterspiele) zu treffen."Die Voraussetungen für das gezielte bestrafen von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen sind bereits geschaffen worden (Stichwort: Videoüberwachung, Szene-Spotter, Internet-Panger etc). Auch ist in den letzen Jahren der Strafenkatalog sukzessive Ausgebaut worden (Stadionverbot, Rayonverbot, Meldeauflagen etc.). Ich bin sehr erstaunt wie fahrlässig mittlerweile ein Grossteil der Bevölkerung bereit ist, für ein minimales Plus an Sicherheit ein grosses Mass an Freiheit aufzugeben. Zumal am letzten Sonntag die Sicherheitslage nicht derart prekär war, dass man von Schwerverletzten oder sogar Toten ausgehen musste. (Und nein das ist jetzt keine Verharmlosung der Vorfälle: Die leider mittlerweile schon zahlreichen Fackelwürfe haben gezeigt, dass man bei Fackeln keineswegs von Mordinstrumenten sprechen kann. Deshalb finde ich es eher eine masslose Dramatisierung wenn man von möglichen Toten, Krieg oder dergleichen spricht!).
Die nötigen Voraussetzungen um die Fackelwerfer und auch die Osttribünen-Schläger zu bestrafen sind also durchaus gegeben. Auch das Strafmass ist in voller breite und differenziertem Mass vorhanden, um nicht wieder die Mehrheit durch unsinnige Massnahmen zu bestrafen.
Was muss geschehen? Wer hat eine Idee? Wie kriegt man das kurzfristig in den Griff, wie langfristig?Kurzfristig müssen die Sicherheitsmängel welche im Stadion Letzigrund festzustellen sind beseitigt werden. Die Probleme sind schon seit längerem bekannt und die Stadt hat schon vor einem Jahr Massnahmen beschlossen.
Langfristig muss endlich eine Lösung in der Pyrodiskussion gefunden werden. Es stehen eigentlich nur zwei mögliche Optionen im Raum: Entweder man versucht mit allen Mitteln die Null Toleranz durchzusetzen und das Abrennen von Pyros im Stadion zu verhindern. Dabei muss aber bedacht werden, dass der Mitteleinsatz immens sein wird und wohlmöglich von den Vereinen, Verband und Staat nicht getragen werden kann, womit diese Strategie eigentlich schon zum scheitern verurteilt ist. Die andere Option ist ein geregeltes Abbrennen zu erlauben und die Kriminalisierung von Pyro rückgangig zu machen. Damit würde sich wohl auch die momentan dominante mediale Wahrnehmung von Gewalt im Stadion (die ja praktisch immer mit Pyrobildern symbolisiert wird), wieder einem der Realität eher entsprechendem Bild anpassen. Für mich kann eigentlich nur zweiteres ein Weg sein, gepaart mit der konsequenten Verfolgung und Bestrafung von Missbräuchen wie Fackelwürfe.
Daneben muss sich die Südkurve vielleicht auch eingestehen, dass sie nicht alle Probleme intern regeln kann, dass Selbstregulierung ab einem bestimmten Punkt versagt, dass man bei einem Fan-Projekt auch externe Leute einbinden muss, dass Legitimität kaum durch Klandestinität zu erreichen ist.
Trotzdem glaube ich wie oben schon ausführlicher dargelegt, dass die Gewalt nicht vollumfänglich auszurotten ist (zumal dies auch nur mit massiver staatlicher Gewalt vonstatten geht).