Vom Phantom zum Leader
Der FCZ vor der neuen Saison: Chikhaoui muss als Captain laut werden, Rossini sich bewähren und Yapi das Spiel machen.Scheu betritt er den Raum, auf den Lippen ein Lächeln. Er bringt es kaum weg in den ersten Minuten und streicht sich immer wieder durch den getrimmten Bart. Das Täfelchen mit seinem Namen dreht er um, gerade so, als wollte er sicherstellen, dass da wirklich sein Name steht. Und ja: «Yassine Chikhaoui» steht drauf. Und darunter: «Captain».
Seit sieben Jahren ist Chikhaoui inzwischen in Zürich, und in diesen Jahren ist er vielmehr als stilles Wasser denn als Lautsprecher aufgefallen. Als jemand, der oft verletzt war. Der sich ebenso oft unverstanden fühlte. Der 85 Meisterschaftsspiele bestritten, aber 167 verpasst hat. Als jemand, der genial am Ball sein kann und im nächsten Spiel furchtbar schlecht. Als aufregende Perle oder launische Diva. Als der beste Fussballer der Super League oder ihr Phantom. Bei den Journalisten war er jener Spieler, der nach den Partien stets wortlos an ihnen vorüberschritt. Er hat seit mehreren Jahren nicht mehr öffentlich geredet.
Jetzt ist also ausgerechnet er der neue Captain. Und nimmt – zum ersten Mal in seiner Karriere überhaupt – aktiv an einer Pressekonferenz teil. Leise spricht er und vorsichtig: «Es ist eine unglaubliche Ehre für mich. Nach sieben Jahren muss ich auch einmal Verantwortung übernehmen. Ich will mit dem Team arbeiten und Einzelgespräche führen, und wenn ich laut werden muss, kann ich auch laut werden.» Und all das sagt er: auf Deutsch. Und er tut das ganz ordentlich.
Trainer Urs Meier hat ihn zum Captain ernannt, zum Nachfolger von Philippe Koch. Den schüchternen Solothurner hatte, so deutet es Teammanager Massimo Rizzo an, das Amt überfordert. Nun geht es an den 27-jährigen Tunesier über, der Zürich ursprünglich verlassen sollte nach dem Ende der vergangenen Saison, im Anschluss an den Cupsieg aber einen Vertrag bis 2017 erhielt. «Ich arbeite ja täglich mit ihm», sagt Meier, «ich sehe in seine Seele und in sein Herz», fügt er an. Und schliesst: «Ich kann am besten entscheiden, wann die Zeit gekommen ist, ihm Verantwortung zu übertragen.» Torhüter und Ersatzcaptain David Da Costa sagt: «Wenn er spielt, blüht der FCZ auf. Darum ist er die richtige Wahl.»
Josip Drmic, der Ehemalige
Zuversicht aus der FerneEinen Tag vor Chikhaouis Auftritt war die Freude über das Wiedersehen gross gewesen auf der Allmend Brunau, die Begrüssung herzlich. Josip Drmic schaut im Trainingszentrum des FC Zürich vorbei, vorgefahren ist er in einem schwarzen Audi mit Nürnberger Kennzeichen. Stürmer Drmic, der den FCZ vor einem Jahr verlassen hatte, um die Bundesliga zu erobern, und mit dem 1. FC Nürnberg abstieg, dann gleichwohl zu einer der positiven Schweizer Überraschungen bei der WM in Brasilien wurde, klatscht jeden einzelnen FCZ-Spieler begeistert ab.
«Ich habe euch und den FCZ nicht vergessen», sagt er zu jedem. «Wir vermissen deine Tore», flachst Davide Chiumiento. Darauf Drmic: «Macht nichts, ihr werdet auch ohne mich eine grosse Saison spielen.»
Eine grosse Saison für den FCZ? Vielleicht. Zweifel sind angebracht. Vorab weil der Stadtclub im Frühling jede Konstanz vermissen liess. Nach sechs Siegen zu Beginn der Rückrunde stieg er zum ersten Herausforderer von Meister Basel auf – und gewann darauf in den folgenden sieben Spielen der Super League noch zwei Punkte. Die Zürcher beendeten die Meisterschaft auf dem 5. Rang. Die Saison retteten sie mit dem Cupsieg, dem ersten Titel nach fünf Jahren. Er sorgte für die Teilnahme an der Europa League und für die in diesem Verein jeweils sehr rasch einkehrende Euphorie, welche die Mängel vergessen liess.
Jetzt verlor die Mannschaft mit Teixeira und Benito Leistungsträger und mit Pedro Henrique den Edeljoker. Dazu fallen mit Gavranovic und Sadiku zwei gefährliche Stürmer mit Kreuzbandrissen aus. Gekommen sind Angreifer Patrick Rossini und Ersatzgoalie Anthony Favre aus der Challenge League sowie Mittelfeldspieler Gilles Yapi aus Dubai. Dennoch sagt Chiumiento: «Wir sind stärker als letzte Saison.»
Urs Meier, der Trainer
Europacup als ChanceSeit eineinhalb Jahren führt Urs Meier die Mannschaft als Cheftrainer. Er denkt, dass sie in dieser Zeit eine gute Entwicklung durchlaufen hat. In der neuen Saison fordert er von ihr «einen weiteren Schritt nach vorne». Grosse Erwartungen setzt er in den neuen Spielmacher Yapi («ein Mann mit Erfahrung und Klasse») sowie in den neuen Captain Chikhaoui: «Er steht in der Teamhierarchie ganz oben, und er hat immer erklärt, der FCZ sei für ihn eine Herzensangelegenheit. Als Spielführer muss er jetzt viel mehr Verantwortung übernehmen.»
Die Saisonziele setzt der Trainer ganz bewusst hoch an: ein Rang unter den ersten vier in der Meisterschaft, den Schweizer Cup erfolgreich verteidigen, und in der Europa League das Playoff überstehen, um im Minimum die sechs Gruppenspiele zu bestreiten. Meier sagt: «Partien auf internationaler Ebene können diese Mannschaft entscheidend weiterbringen.»
Patrick Rossini, die Sturmhoffnung
Der Torgarant nimmt Mass
100 Meisterschaftsspiele, 65 Tore – wer so trifft, dem eilt ein Ruf voraus. Patrick Rossini war beim FC Schaffhausen der Torgarant, nichts weniger, effizient wie kein Zweiter und für zwei Aufstiege in Serie verantwortlich. Dass er damit bei manchem Verein das Interesse weckte, konnte nicht überraschen. Konkrete Angebot trafen aus Thun ein und aus Zürich, und nachdem Rossini sich mit FCZ-Trainer Urs Meier unterhalten hatte, war für ihn klar: «Ich will nach Zürich. Meier hat sich enorm bemüht.»
Rossini, 26, stammt aus dem Tessin und ist der ältere Bruder von Jonathan, der 2010 ein einziges Mal von Ottmar Hitzfeld ins Nationalteam berufen worden war. Er ist ein Spätstarter, der zuerst in der 2. Liga interregional bei Ascona spielte, über Locarno den Weg zu Schaffhausen fand, wo er vier Jahre blieb. «Ich musste mir jeden Schritt hart erarbeiten», sagt Rossini und glaubt, dass ihn das stärker gemacht hat.
Auch aus diesem Grund hat er sich den FCZ ausgesucht: Der Wechsel ist die grössere Herausforderung. «Ich suche den Konkurrenzkampf, denn nur wenn ich kämpfen muss, werde ich besser», sagt der Vater des kleinen Leonardo. Mit Eleonora ist er seit zwei Jahren verheiratet. Die junge Familie erleichtert es ihm, fern von daheim zu leben.
Ob Rossini gleich im Stadtderby zu seinem Super-League-Debüt kommt? An die Ersatzbank jedenfalls ist er kaum noch gewöhnt. In der letzten Saison verpasste er lediglich 181 Minuten – und nur eine davon, weil er ausgewechselt wurde. Im Jahr davor waren es gar nur 58 Minuten gewesen. «Er ist nahe an den ersten elf», sagt Trainer Meier jetzt. Er lobt ihn als «unberechenbaren Strafraumstürmer».
Gilles Yapi, der Spielmacher
Nochmals Meister werdenZwischen 2006 und 2010 war Gilles Yapi der herausragende Regisseur der Young Boys gewesen. Gewonnen aber hat der Club in jener Zeit nichts, er verlor zwei Cupfinals, er verspielte zweimal die Meisterschaft trotz bester Ausgangssituation. Yapi aber wollte Titel holen, also kündigte er ein halbes Jahr vor dem Vertragsende bei YB an, dass er zum FC Basel wechseln würde.
Der Transfer ausgerechnet zum Rivalen wurde ihm in Bern von den Zuschauern und von Trainer Vladimir Petkovic übel genommen: Die Fans schimpften ihn «Verräter» und «Judas», und der Coach liess ihn fortan kaum mehr spielen. Yapi erinnert sich: «Der Abgang aus Bern war schmerzhaft, die folgenden drei Jahre in Basel umso schöner.» Dreimal wurde er mit dem FCB Meister, einmal Cupsieger. Dennoch verlängerten die Basler im letzten Sommer seinen Vertrag nicht.
Yapi, der 46 Länderspiele für die Elfenbeinküste machte und bei der WM 2006 dabei war, hätte gern weiter in der Schweiz Fussball gespielt. Weil es kein Angebot gab, wechselte er zum Dubai Sports Club. «Das Leben in Dubai war angenehm, das Niveau des Fussballs dürftig.» Sogar schwächer als die Challenge League schätzt er die Premier Division der Emirate ein.
Also zog es ihn schon nach zehn Monaten zurück in die Schweiz, zur Ehefrau und den drei Kindern, die im Einfamilienhaus in Muttenz geblieben waren. Er trainierte und spielte vorerst mit dem FC Aarau, verpflichtet wurde er aber mit einem Einjahresvertrag vom FCZ. Und Yapi, mittlerweile 32-jährig geworden, lässt keine Zweifel, was er mit dem Stadtclub erreichen will: «Meinen vierten Meistertitel in der Schweiz.»
Q:
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