CT hat geschrieben:https://www.tagesanzeiger.ch/der-fcz-und-die-bange-frage-laesst-sich-das-alles-noch-kitten-472871091194
danke im voraus.
Der FCZ und die bange Frage: Lässt sich das alles noch kitten?
Das 1:2 gegen Lugano bietet tiefe Einblicke in das mentale und stimmungsmässige Gefüge des FC Zürich. Zu sehen sind Ohnmacht, Wut, Ratlosigkeit – aber kein klarer Weg aus der Krise.
Florian Raz
Publiziert heute um 10:31 Uhr
Als hätte dieser Abend noch eine letzte, absurde Wendung nötig, rennt plötzlich Wilfried Gnonto aufs Feld. Die Lichter des Letzigrunds sind im Erlöschen begriffen, als sich der Stürmer im leeren Stadion strahlend für ein Foto mit einem Buben in Pose wirft. Gnonto hat gut lachen – der junge Italiener hat den FC Zürich in allerletzter Sekunde in Richtung Leeds verlassen. Ihn muss nicht mehr kümmern, was innerhalb weniger Wochen aus dem eben noch so stolzen Club geworden ist.
Hat schon je einmal ein Verein einen derart verheerenden Meisterkater erlebt? Der FCZ ist vom lockerflockigen Tänzchen auf dem Balkon des Volkshauses direkt in die Krise gestürzt. Und nirgendwo eine Kopfwehpille in Sicht.
Vor dem Spiel gegen den FC Lugano ist da irgendwie noch der Restglaube an eine Wende zum Guten. Franco Foda verspricht unter der Woche dieser Zeitung, er werde schon in die Erfolgsspur finden. Aber an diesem Samstagabend, bei diesem 1:2 gegen die Tessiner bricht vieles auf und wird sichtbar wie unter einem Brennglas. Der Qualitäts- und Formmangel des Kaders. Die Ohnmacht des Trainers. Die Ratlosigkeit der Clubführung. Die Wut der Führungsspieler und der Fans.
Der FCZ muss sich die bange Frage stellen, ob das alles noch innerhalb nützlicher Frist gekittet werden kann.
«Fünf Minuten nach dem Spiel bin ich etwas ratlos.»
Ancillo Canepa, Präsident des FC Zürich
Ein paar Minuten nach dem Schlusspfiff steht die Mannschaft des FCZ unentschlossen auf dem Feld umher. Das Tessiner 1:2 in der 90. Minute hat die Stimmung im Letzigrund vergiftet. Jetzt trauen sich die Spieler nicht näher zu den eigenen Fans, von denen sie eben erst nach der Qualifikation zur Europa League noch frenetisch bejubelt worden sind. Die Fussballer bleiben vor der Werbebande stehen. Aus inniger Nähe ist brutal schnell vorsichtige Distanz geworden.
So ruhig ist es in diesem Moment in Letzigrund, dass einen die Stille fast erdrückt. Vor dem Spielertunnel eilt Ancillo Canepa von sich aus zu den Fernsehkameras. Sein Club bleibt auch nach sieben Runden am Tabellenende. Darum weiss der Präsident des FC Zürich, dass er jetzt etwas sagen muss. Bloss was, das ist ihm verständlicherweise nicht ganz klar. Es ist entwaffnend ehrlich, als er in das Mikrofon von SRF sagt: «Fünf Minuten nach Spielschluss bin ich etwas ratlos.»
Im selben Moment meldet sich die Südkurve doch noch. «Foda raus!», tönt es. Nicht mit voller Kraft. Nicht besonders ausdauernd. Und doch fordern die Fans des amtierenden Meisters den Kopf des Cheftrainers – nach erst sieben gespielten Runden in der Liga.
Gleich nachdem Mohammed Amoura das 2:1 für die Tessiner erzielt, zoomen die TV-Kameras gnadenlos auf Foda. Der Trainer sieht aus wie ein Mann, über den sich das Elend dieser Welt ergiesst. Später, da hält sich der Deutsche wieder an seine Durchhalteparolen. Er redet von Arbeit im Training. Aber in diesem Moment sieht er aus wie einer, der sich seinem Schicksal nicht mehr entgegenstemmen mag.
Nach dem Schlusspfiff lässt er das sonst obligate Abklatschen mit Spielern und Betreuern einfach weg. Er muss sich erst einmal setzen und berät sich mit Assistenztrainer Thomas Kristl. Wie oft ist Canepa letzte Saison an derselben Stelle Fodas Vorgänger André Breitenreiter um den Hals gefallen? Jetzt steht der Präsident alleine an der Seitenlinie und blickt aufs Feld.
Der FCZ ist gegen Lugano nicht desolat. Er dürfte unentschieden spielen. Er könnte gar gewinnen. Dazu allerdings müsste zum Beispiel Jonathan Okita tun, was von einem Stürmer fünf Meter vor dem Tor gemeinhin erwartet wird: den Ball ins Netz befördern. Irgendwie. Mit der Fussspitze, mit der Sohle, mit dem Rist – egal womit. Vor einem Jahr wäre der Ball mit Garantie ins Tor gegangen. Aber Okita ist nicht Assan Ceesay. Er vergibt.
«Alles ist in Zürich wichtiger als der Fussball. Ist okay, wir wissen das.»
Blerim Dzemaili, FCZ-Leitwolf
Das passt zu diesen Zürchern, bei denen alle irgendwie mit sich selber beschäftigt sind. Es gibt welche, wie Ole Selnaes oder Aiyegun Tosin, die sogar aufsteigende Form zeigen. Aber das ist egal, weil es der Rest rundum immer wieder schafft, entscheidende Fehler zu begehen. Wie Becir Omeragic und Karol Mets beim 0:1. Wie Nikola Boranijasevic, Mirlind Kryeziu und Fidan Aliti beim 1:2.
«Jeder von uns spielt unter seinen eigenen Ansprüchen», sagt danach Blerim Dzemaili. Er, der als grau melierter Leitwolf voranschreiten will, wirkt ebenso ratlos wie sein Trainer und sein Präsident. Also redet er im Frust irgendwann über Dinge, die eigentlich nichts mit der Lage des FCZ zu tun haben. Und doch irgendwie bezeichnend sind für den Moment. «Es ist nicht einfach auf diesem Acker», stimmt er sein Klagelied an, «der Stadt Zürich ist alles wichtiger als der Fussball. Ist okay, wir wissen das.»
Es wirkt, als habe sich alles gegen die Zürcher verschworen. Der einst so wunderbar teppichartige Letzigrund-Rasen? Zerstört von selbst ernannten Arbeiterknaben. Das Traumheimspiel gegen Arsenal? Wird in St. Gallen gespielt, weil genau an diesem Abend die Tartanbahn im Letzigrund in Betrieb ist. «Der Fussballgott, so es ihn gibt, ist derzeit nicht auf unserer Seite», sagt Canepa.
Womit man bei der Frage angelangt ist, ob und wann der FCZ sein Opfer darbringt, um die Götter zu besänftigen. In der Regel ist es der Trainer, der auf den Altar der Vertragsauflösung geführt wird, um das Schicksal wieder gnädig zu stimmen.
«So dürfen wir nicht auftreten, so dürfen wir nicht spielen.»
Yanick Brecher, Captain des FC Zürich
Foda darf für sich ins Feld führen, dass nicht er Stellungsfehler begeht, Fehlpässe spielt oder neben das Tor schiesst. Er kann nichts dafür, dass die Neuzugänge die Abgänge noch nicht vergessen machen. Aber er trägt die Verantwortung dafür, dass er zum Saisonstart mit seinen Systemwechseln ohne Not eine funktionierende Maschine auseinandergeschraubt hat. Und jetzt, da er doch wieder beim 3-5-2 des Vorgängers gelandet ist, passen die Einzelteile nicht mehr zusammen.
Die nächsten vier Spiele bestreitet der FCZ in St. Gallen gegen Arsenal, in Genf gegen Servette, in Bodø gegen Glimt und im Cup in Lausanne. Alles Spiele, in denen eine Niederlage keine Sensation wäre. Danach folgt die für angezählte Trainer so gefährliche Nationalmannschaftspause.
Gut möglich, dass sich in diesen Partien Fodas Zürcher Schicksal entscheidet. Oder wie es ein angefressener Captain Yanick Brecher nach dem Spiel sagt: «So dürfen wir nicht auftreten, so dürfen wir nicht spielen. Es ist Zeit, dass etwas geht!»