Aus der NZZ am Sonntag:
Der Mann mit der sanften Stimme
Erster Auftritt des Zürcher Meistertrainers Favre wird wohlwollend aufgenommen
Von Stefan Osterhaus, Berlin
Die Zeitungen vom Morgen hat er nicht gelesen. Also hat er auch nicht die Titelseite der «B. Z.», des führenden Boulevardblatts, gesehen. Die Seite kennt nur ein Gesicht. Leicht verkniffen blickt es den Betrachter an: «Herthas Retter privat.» Doch sein Lächeln, so heisst es, sei so strahlend «wie das von Klinsi». Willkommen in Berlin.
Jetzt sitzt Lucien Favre zwischen zwei körperlich mächtigen Männern an der Medienkonferenz. Seine Stimme ist leise, aber die Leute hören sehr aufmerksam zu. Gelegentlich lächelt er. Der Saal ist voll, ein halbes Dutzend Kamerateams empfängt ihn. Akribisch listen die Boulevardblätter das Protokoll der Anreise auf. Doch es ist ein höflicher Empfang. «Willkommen in Berlin», eröffnet Manager Dieter Hoeness, der die obligatorischen Formeln abspult: Wie glücklich man im Klub sei, den Wunschkandidaten bekommen zu haben: «Er erfüllt alle Punkte in unserem Anforderungsprofil.»
Weiss er, wohin es ihn verschlagen hat? Ja, sagt Favre, er habe sich nicht sonderlich über Hertha informieren müssen. Denn er mag diesen Klub. Warum? «Ich weiss es nicht. Vielleicht war es dieses Spiel damals, als Servette Hertha 3:0 im Uefa-Cup geschlagen hat.» Damals kam er nach Berlin und sah dieses Stadion in der Phase der Modernisierung. Das Gleiche kommt auf ihn zu. Hier geht es nicht um die Feinabstimmung. Hier muss ein marodes Kader wettbewerbsfähig gemacht werden. «Lucien Favre soll ein Team aufbauen», sagt Hoeness.
Den Baumeister erwartet harte Arbeit. Ein Teil der Mannschaft, darunter der Kapitän Arne Friedrich, hatte sich schliesslich für den Amateurtrainer Karsten Heine ausgesprochen. Favre sieht darin kein Problem, Hoeness merkt an, dass er Friedrich noch angerufen habe, um ihm die Entscheidung mitzuteilen. «Er ist gerade bei der Nationalmannschaft. Und da sind ja auch ein paar Leute, die die Schweiz sehr gut kennen.» Er meint Urs Siegenthaler, den Späher, und natürlich den Schweiz-Kenner Joachim Löw.
Es geht bemerkenswert sachlich zu. Von Anspannung jedenfalls ist nichts zu spüren. Weder bei Favre noch bei Hoeness, dem die Erleichterung anzumerken ist, seinen Kandidaten präsentieren zu können.
Wie viele Spieler er aus Zürich mitbringen wolle, wird Favre gefragt. Favre sagt, dass er das Kader erst einmal näher kennenlernen wolle. Und Hoeness fügt an, dass man sich die Zeit lassen wolle, die nötig sei. Das Transfer-Fenster schliesse ja erst Ende August. Die stille Korrespondenz der beiden ergibt ein einträchtiges Bild: volle Rückendeckung. «Das haben wir ja auch mit einem Vertrag über drei Jahre dokumentiert», sagt Hoeness. Drei Jahre, das ist tatsächlich ein Vertrauensbeweis. Favre ist sich dessen bewusst.
Gerne würde er auch seinen Assistenten Harald Gämperle mitbringen, sofern der FC Zürich ihn ziehen liesse. Favre: «Da muss man den FCZ fragen.» Gämperle hat jedenfalls keine Ausstiegsklausel.
Ein Journalist fragt ihn, wie es ihm mit der Entscheidung gehe, Zürich jetzt zu verlassen. Es dränge sich ja der Eindruck auf, dass nicht ein Trainer gehe, sondern «als sei der Papst aus der Kirche ausgetreten». Favre lächelt: «Mir war wichtig, dass ich in Zürich ein paar Freunde mehr habe. Und ich mag die Supporter. Sie haben Fussball gut verstanden.» Das könnte zum Problem werden in Berlin. Nicht jeder dürfte nachvollziehen, was Favre tun wird, um seine Linie durchzubringen, die Erfolge bringen soll. Volkes Stimme schlägt sich auch im Boulevard nieder. «Favre muss jetzt Zeit bekommen, um den Kader richtig auszumisten. Trotzdem zählt ab sofort auch der Erfolg. Ein weiteres Jahr im langweiligen Mittelmass darf dieser Klub den Fans nicht zumuten», schreibt die «B. Z.».
Favre wirkt freundlich, gewinnend, so sehr, dass sich die Journalisten fragen, ob «der nette Herr Favre mit der sanften Stimme» überhaupt eine Profimannschaft im angemessenen Tonfall über den Platz jagen kann. Deshalb versichert sein Berater Christoph Graf vorsorglich, dass man Favre keinesfalls unterschätzen solle: «Bedenken Sie immer: Er ist knallhart, wenn es um Entscheidungen geht.» Auch das hört man gerne in Berlin.
http://www.nzz.ch/2007/06/03/sp/articleF8DH2.html