Beitragvon billy » 09.09.06 @ 9:19
Mit harter Hand gegen Hooligans
Wie ist das Gewaltproblem bei Fussballspielen in den Griff zu bekommen? Eine Tagung unter Polizeichefs zeigt: Hier zu Lande ist alles furchtbar kompliziert, in Holland läufts besser.
Von Niels Walter
Zürich.
– Nach dem Mittagessen im Hotel Marriott gestern Freitag hatte Zürichs Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) schon Angst, die Polizeikader aus der ganzen Schweiz würden nun einnicken – wie das so üblich ist bei Kongressen nach dem Essen. Doch die Teilnehmer des 4. Kongresses der städtischen Polizeidirektoren (Thema: Sport ohne Gewalt) waren ganz Ohr; auf dem Podium redete einer Klartext: «Der Schweizer Fussball hat ein Gewaltproblem. Fakt ist, dass wir und unsere Klubs die Entwicklung verschlafen haben. » Es sprach Thomas Helbling, Präsident der Sicherheits- und Fankommission der Swiss Football League. Zum Auftakt zitierte er einen Zeitungsartikel über das Fussballspiel FCZ gegen GC vor drei Wochen, ein Protokoll, was die Fans so alles von den Rängen geschrien und aufs Spielfeld geschmissen hatten. Dies, so Helbling, sei leider «Schweizer Super-League-Alltag ». Er sagte auch, dass nach den Ausschreitungen beim Spiel FC Basel - FC Zürich am 13. Mai «einige Verantwortliche im Schweizer Fussball immer noch nicht erwacht sind». Für Helbling wie auch für alle anderen Referenten der Tagung ist klar: Bis zur Europameisterschaft 2008 muss die Schweiz das Gewaltproblem in und um die Stadien im Griff haben. Doch wie?
Da wurden die Mienen der Polizeikader und Fussballfunktionäre sorgenvoll. Ihr Lamento: Stadionverbote, die nicht greifen, weil Polizei, Klubs, Verbände und Stadionbetreiber ihre Daten nicht austauschen dürfen. Keine Handhabe, die Krawallanten vorzeitig aus dem Verkehr ziehen zu können. Und generell ist vieles kompliziert und mühsam in unserem föderalistischen Land. Alle Hoffnungen ruhen nun auf dem neuen Bundesgesetz über die innere Sicherheit, auch Hooligangesetz genannt, das am 1. Januar 2007 in Kraft tritt. Dann dürfen Daten ausgetauscht, berüchtigte Krawallanten vom Stadion fern gehalten und präventiv inhaftiert werden. Man ist überzeugt: Ab 2007 können wir endlich hart gegen Hooligans vorgehen, dann wird alles besser. Doch der Kantönligeist, die je nach Kanton unterschiedlichen Strafmasse und Einsatzphilosophien der Polizeien, die zum Teil uneinsichtigen Kluboberen – all das bleibt. Man befürchtet allseits, eine «unité de doctrine» übers ganze Land werde wohl schwierig werden, auch für die Euro 08. Die Referate zeigten: Die Schweizer reden gerne von Problemen, Strukturen, Kompetenzen und Abgrenzungen.
Polizisten als «Paten» von Hooligans
Einen ganz anderen Eindruck auf die hiesigen Polizeichefs machten die Gastreferenten aus Holland. Der Hooliganspezialist und Korpschef einer niederländischen Regionalpolizei, Jos van Deursen, erläuterte schwungvoll, wie man in Holland seit ein paar Jahren gegen Hooligans vorgeht. Alle sind mit Bild und Namen registriert, die Daten sind für alle Verantwortlichen einsehbar, Stadionverbote werden konsequent durchgesetzt, die wichtigsten Rädelsführer werden auch unter der Woche observiert. «Sie wissen, dass wir sie ständig im Auge behalten und beim kleinsten Vergehen aus dem Verkehr ziehen», sagte Van Deursen. In allen 25 Polizeiregionen des Landes gebe es eine Art Patensystem, «ein Polizist ist Pate von mehreren Hooliganchefs». Was den Datenschutz betrifft, plädierte der Holländer für «mehr Kreativität. Es ist sehr vieles möglich.» Unabdingbar seien eine einheitliche Philosophie im ganzen Land, schneller Informationsaustausch und rasches Agieren. Würden sich die Hooligans an einen Ort begeben, seien ihre Polizei-Paten meistens schon vor ihnen da. «Sie wissen, dass wir von ihnen praktisch alles wissen, das macht ihnen Eindruck.» Hooliganismusexperte Otto Adang, Feldforscher an grossen Turnieren, Verfasser von Studien und Berater der portugiesischen Behörden bei der Euro 04, sagte: «Grosse Polizeiaufgebote in Uniform und Kampfmontur bringen nichts, sondern verschärfen das Gewaltproblem eher.» Das Rezept sei: geringe sichtbare Polizeipräsenz, wenn nötig frühzeitiges Intervenieren mit «unsichtbaren» Eingreiftruppen.
Quelle:tagi