Beitragvon billy » 19.08.06 @ 8:42
ORTSTERMIN: DIE LETZTEN STUNDEN IM LETZIGRUND
Es ist sein Rasen, sein Stadion
Es gibt einen kurzen Moment, in dem es ihn beinahe übermannt. Da er, im so genannten Kaffee– raum, in einem etwas schäbigen Loch im Bauch des Letzigrunds, vor der Tasse sitzt und wortlos dem Wort «vorbei» nachhängt. Und er sich dann die Augen reibt, die Achseln etwas anhebt.
Sie haben ihn damit ja aufgezogen, als er zwei Stunden zuvor bei ihnen stand, im noch fast leeren Stadion. Dani, haben die Meeting-Helfer gesagt, «Dani, dir kommen doch jetzt schon die Tränen, wenn du an die Bagger denkst, die am Dienstag deinen Rasen umpflügen werden.» Da hat er noch gelacht – ach was! –, ist mit seinen Stahlkappenschuhen über diesen Rasen geeilt, den er für seinen FC Zürich mit der Nagelschere geschnitten hätte.
Jedenfalls musste FCZ-Trainer Lucien Favre bloss mit den Wimpern zucken, und er fuhr mit dem Rasenmäher nochmals über das grüne Viereck. Er greift ins Gras – «Ist es nicht wunderschön?» Sein Rasen. Sein Stadion. Dani Kukovec, 43, geboren in Maribor, seit 1976 in Zürich, verheiratet, drei Kinder, ist seit zwölf Jahren Platzwart und somit der Herr des Letzigrunds. Er hat Dutzende von Schlüsseln bei sich für all die Tore und Türen, und er weiss blind, welcher in welches Schloss gehört. An der Schulter hängt ein Funkgerät. Im Hosensack steckt das Handy.
Wer sich ihm heute an seine Fersen heftet, muss flink sein. Das graue «Weltklasse »-Shirt, das er trägt, hat am Rücken bereits einige nasse Flecken. Er eilt also über den Rasen, weil ihn der Bahnchef über Funk zu sich gerufen hat, da das Hindernis vor dem Wassergraben nicht tief genug im Boden verankert sei, zu hoch für die Steepleläufer. Der Bahnchef misst nach, 91 statt 98 Zentimeter, hmm, und Dani Kukovec rennt davon, kommt mit einem grossen Hammer zurück und schlägt auf das Hindernis ein, bis es auf der richtigen Höhe steht. Und dann noch, bitte schön, das Wasser im Graben wieder auffüllen, weil es versickert ist und auch nachher versickern wird, «ist halt alt, das Stadion.» Er nimmt den Schlauch.
Doch wird er schon wieder gerufen. Eine Leiter sei zur Hochsprunganlage zu schleppen! Eine Schnur soll er bringen, damit man das Tor, durch das die Athleten kommen werden, an einen Baum binden könne! Plastikkübel für die Abfälle! Er solle mit dem Kessel mit Sand kommen, um damit die Löcher im Rasen aufzufüllen!
Er bringt und eilt und schleppt, rennt von der Nord- zur Südkurve, auf der Stirn sammelt sich Schweiss, er trinkt Fanta und ständig schrillt sein Natel. Da will jemand wissen, ob es noch Tickets hat. Da ist der Mann dran, der am Samstag die Blumenkistchen, die den Letzigrund zieren, abholen soll. Da will jener dies und diese jenes. Er reisst die WC-Türen auf, um nachzusehen, ob genug Papier in den Kabinen ist, und er ersetzt eine Handtuchrolle. Er ist «Mädchen für alles» und sich für nichts zu schade. Schlecht hat er geschlafen, die Nacht vor dem Meeting. Zwar zu Hause, im neuen Heim am Friesenberg, doch die Meetingjahre zuvor lag er sozusagen im Letzigrund.
Familie Kukovec lebte zwölf Jahre in der 4-Zimmer-Wohnung unter der Stehrampe der Südkurve. Weil das Stadion abgerissen wird, mussten sie im September vorigen Jahrs umziehen. Er schliesst die Tür auf. Er war auch schon länger nicht mehr hier: Ein langer Korridor, zur linken abgeschrägt, vier Zimmer, Küche, Bad, Balkon in Richtung Badenerstrasse, das Parkett ist herausgerissen, die Einbauschränke sind abmon-tiert. Auch wenn jede Petflasche, die auf der Stehrampe zu Boden fiel, in der Wohnung zu hören war, hat er gerne hier gelebt, in diesem, seinem Stadion, in das er sich als 14-Jähriger hineingeschlichen habe, als der FCZ gegen Liverpool spielte, damals 1977 (und 1:3 verlor).
Er wollte ja eigentlich Lokführer werden, machte bei der Maag Zahnräder die Lehre als Fräser und Dreher, arbeitete hier und dort, verkaufte für den FCZ im Letzigrund Wimpel, Aufnäher und Pins. Und als die Stelle des Platzwarts neu ausgeschrieben war, bewarb er sich beim dafür zuständigen Sportamt der Stadt Zürich. Dani Kukovec schläft immer unruhig vor «Weltklasse Zürich». Ist zappelig und nervös. Ein Perfektion ist er, dem auffällt, wenn eine leere Petflasche herumsteht (und sie darum gleich aufnimmt und entsorgt). Er will, dass das Stadion glänzt, auch wenn es das letzte Mal ist. Wieder hat er die Gitter vor den Stehplätzen abmontiert, Podeste aufgestellt, den Rasen geschnitten, hat mit Mitarbeitern jeden Plastiksitz im Stadion mit einem Lappen gereinigt – und deshalb wird er nun ziemlich ungeduldig, als zwei Herren ihn mit üblen Worten beschimpfen, weil sie sich doch nicht auf diese «saumässig dreckigen» Sitze setzen würden, gopfertami! (Wobei sie vermutlich dreckig mit alt und verwittert verwechseln.)
Die Zeit läuft davon, und Dani Kukovec rennt gegen sie an. Doch jetzt, um 19 Uhr, wird die Arbeit etwas weniger. Und wenn das Meeting läuft und gar keiner nach ihm ruft, steigt er im Stadion ganz hinauf, setzt sich dort auf den einzigen orangen Sessel unter all den blauen, den er extra für sich montiert hat, und schaut hinunter ins Oval. Es wird dann 21 Uhr sein oder vielleicht noch etwas später. Er will diese einmalige Atmosphäre im alten Letzigrund noch einmal spüren. Abschied nehmen. Für sich allein.
Wenn die Stars im Hotel sind und die Zuschauer längst zu Hause, wenn die Scheinwerfer im Letzigrund gelöscht sind, ist er (und mit ihm eine ganze Crew) noch am Auf- und Wegräumen, am Wischen und Putzen. Sein Stadion soll auch dann gute Gattung machen, wenn am Dienstag die Bagger auffahren. Er wird dabei sein, an diesem Tag. Wenn der Lichtmast in Einzelteile zerlegt, wenn der Rasen aufgepflügt wird, «auch wenn das schon etwas weh tut».
Bis dahin sind es noch vier Nächte. Drei davon verbringt er übrigens im Stadion – im Therapieraum des FCZ, auf dem schmalen Massagetisch.
Quelle: tagi