14. April 2010, Neue Zürcher Zeitung
«Challandes ist kein kaltschnäuziger Typ»
Der FCZ-Sportchef Fredy Bickel hinterfragt im Gespräch seine Arbeit
Interview: fcl.
Herr Bickel, der FC Zürich gab sich vor dem Beginn der Rückrunde betont optimistisch, nochmals angreifen zu können. Das ist nicht gelungen.
Wir waren damals wirklich felsenfest davon überzeugt, eine Aufholjagd starten zu können. Das war kein Lippenbekenntnis. Aber schon nach den ersten beiden Unentschieden gegen Xamax und Sitten holte uns die Unsicherheit wieder ein.
Das verunsicherte auch die Führung?
Spieler und Staff funktionieren im FCZ ähnlich. Wir hüpfen nicht mit breiter Brust durch die Gegend und behaupten, wir hätten alles im Griff. Auch wir sind ins Grübeln geraten.
Was ist der Unterschied zwischen einer «Resultat-Krise», wie der Präsident Canepa sagt, und einer tieferen Krise?
Ich habe tiefgreifende Krisen schon öfter erlebt: Spieler kamen nicht mehr miteinander aus, der Trainer ging auf die Mannschaft los und umgekehrt. Und dann fiel man mit dem ganzen Verein in ein tiefes Loch. Was wir beim FCZ jetzt erleben, ist eher eine allgemeine depressive Verstimmung.
Was unternehmen Sie dagegen?
Wir haben die grössten Defizite im Kopf, die man mit vielen Gesprächen zu beheben versuchen muss. Und wir brauchen sicher zwei, drei neue Gesichter.
Bekannt ist, dass der Tunesier Zouaghi im Sommer zum FCZ stösst.
Zouaghi ist kein typischer FCZ-Spieler, er bringt ein neues Element ins Team. Wir haben alles liebe, gute, vernünftige Spieler im Kader. Aber in Situationen, wie wir sie jetzt erleben, ist es nicht schlecht, auch mal einen Querschläger in der Mannschaft zu haben.
Schon von Ludovic Magnin hatte der FCZ im Winter erwartet, er würde die harmoniebedürftige Mannschaft wieder vermehrt anstacheln.
Magnins Transfer bereue ich keine Sekunde, und ich sage das nicht, um ihn zu schützen. Er bringt uns neben dem Feld viel mehr, als wir uns von ihm erhofft haben. Aber es ist schwierig für Magnin. Er hat schon Mühe auf dem Feld, an sein Können heranzukommen. Und neben dem Platz ist er auch ziemlich allein, um nach dem Rechten zu sehen. Wir wussten, dass Magnin beim FCZ nicht sofort entscheidende Spuren auf dem Feld wird hinterlassen können. Das war bei anderen Rückkehrern wie Marco Streller in Basel nicht anders. Aber es ist klar: Magnin erwartet mehr von sich – und wir von der Führung auch.
Sie scheinen ein besonderes Flair für Spieler zu haben, die zwar wunderbar Fussball spielen können, im Misserfolg aber in Selbstzweifel verfallen.
Sie haben recht. Ich muss mit mir über die Bücher. Vielleicht habe ich zu sehr auf ähnliche Typen gepocht. In den vergangenen Jahren ging das gut. Und jetzt, wo wir in Schwierigkeiten sind, sieht man die Kehrseite dieser Charaktere.
Ist die Europa League noch erreichbar? Der FCZ hat sechs Punkte Rückstand auf den vierten Platz.
Es gibt zwei Seiten: Wenn ich mir die Qualität der Mannschaft anschaue und sehe, dass keine Selbstzerfleischung stattfindet, dann glaube ich noch daran. Aber wenn ich mir die Resultate der letzten Spiele ansehe, dann denke ich, dass es kaum noch möglich ist.
Erschwerend werden Sie mit einer Trainer-Diskussion konfrontiert.
Ich glaube, wir sind genug stabil, uns nicht davon verunsichern zu lassen. Wir haben schon lange gesagt, dass wir Ende Saison zusammensitzen. Es werden sich alle hinterfragen: der Trainer, die Assistenten, der Sportchef, der Präsident.
Vieles konzentriert sich jetzt gerade auf den Trainer Bernard Challandes.
Ich weiss, wie Challandes denkt, wie er fühlt. Ich bin jeden Tag mit ihm zusammen. Er spürt den öffentlichen Druck. Und er passt natürlich zu uns. Das bedeutet, er ist kein kaltschnäuziger Typ, an dem alles abperlt. Vielleicht kommt er irgendwann an einen Punkt, an dem er sagt, er wolle oder könne nicht mehr.
Sie rechnen mit einem freiwilligen Rücktritt Challandes, obwohl er einen Vertrag bis 2012 hat?
Ich rechne nicht damit. Ich sage nur: Von der Seite des Vereins ist die Sache klar: Challandes ist bis Minimum Ende Saison unser Trainer, und ich wünsche mir, dass er es noch länger bleibt. Aber ich weiss, wie Challandes leidet unter den Resultaten und unseren Spielen.
Auch im Winter 2008 gab es eine Diskussion um den Trainer Challandes. Erkennen Sie einen Unterschied zu damals?
Ich glaube, der grösste Unterschied ist, dass Challandes die Situation heute viel näher geht als damals.
Der FCZ hat 30 Punkte Rückstand auf YB. Der FC Basel hatte in der Vergangenheit nie solch ausgeprägte Tiefs.
Ich hüte mich davor, das miteinander zu vergleichen und mir zu überlegen, warum der FCB dieses oder jenes besser hingekriegt hat als wir. Mich interessiert nur der FCZ. Und ob es am Ende 20, 30 oder 40 Punkte Rückstand sind, ist nicht entscheidend. Wichtig ist: Wenn wir die Saison als Vierter abschliessen, haben wir die Kurve noch erwischt.
Dass ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit Unruhe um Johan Vonlanthen entstanden ist, ist kein Zufall. Er soll schlecht trainiert haben, und es sieht nicht danach aus, dass ihn der FCZ von Salzburg definitiv verpflichten wird.
Ich will nichts beschönigen, aber es gibt keinen Fall Vonlanthen. Ich sage schon die ganze Saison immer das Gleiche. Es geht in erster Linie um Finanzielles: Können wir uns mit ihm einigen oder nicht? Wir haben die Gespräche schon vor langer Zeit auf Mitte, Ende April verschoben – aus logischen Gründen. Sollten wir europäisch spielen, sind wir eher bereit, ihm entgegenzukommen. Dann haben wir auch eine Verantwortung dem Schweizer Fussball gegenüber. Sollte uns das nicht gelingen, gebe ich lieber einem Jungen eine Chance.
Eric Hassli, Johnny Leoni, Dusan Djuric oder Alexandre Alphonse liebäugeln mit einem Transfer ins Ausland.
Letztes Jahr hatten wir fast in jedem Spiel 40 Scouts auf der Tribüne. Das ist nicht mehr so. Ich habe in diesem Jahr nicht für einen einzigen Spieler eine Anfrage erhalten. Das macht die Situation schwierig: Wir brauchen frisches Blut, aber im Moment sieht es nicht so aus, dass man uns Spieler abwerben wird.