https://www.tagesanzeiger.ch/hannu-tihinen-wie-der-finne-zur-fcz-legende-wurde-590837406681Turban, Titel und Traumtor: Beim FCZ machte sich der «barbarische Finne» unsterblichIn Lappland träumte er einst von der grossen Karriere, beim FC Zürich wurde er zu einer Clublegende – auch dank eines Treffers gegen eine Weltauswahl.
Das Jahr ist 2009, der Ort das San Siro, das Mailänder Fussballstadion mit grosser Geschichte und Platz für 75’000 Menschen. Milan, das Heimteam, kommt mit Alessandro Nesta, Andrea Pirlo und Filippo Inzaghi. Ronaldinho wird auch noch eingewechselt.
Der FC Zürich kommt mit Heinz Barmettler, Silvan Aegerter – und Hannu Tihinen. Der Finne ist Abwehrchef, zu diesem Zeitpunkt seit über drei Jahren, er befindet sich in der letzten Saison seiner Karriere. Mit den Zürchern wurde er 2007 und 2009 Schweizer Meister.
Und an jenem Abend in Mailand, da wird er Kult.
Der grossartige Moment spielt sich früh im Spiel ab. 10. Minute, Eckball Milan Gajic, Tihinen stürmt zum Elfmeterpunkt, springt hoch, dreht sich wie ein Tänzer und trifft den Ball in dieser Pirouette mit dem Absatz – ein formvollendetes 1:0. Gleichzeitig das Endresultat.
Selbst Künstler wie Gianfranco Zola, Roberto Mancini oder Zlatan Ibrahimovic wären nach diesem Treffer neidisch auf den «barbarischen Finnen», schreibt die «Gazzetta dello Sport» aus Mailand am nächsten Tag.
Wie oft er das Tor gesehen hat? 1896-mal!Tihinen meldet heute: «Es ist natürlich eines der schönsten Tore in der Champions League.» Er hängt ein Smiley an. Denn der 48-Jährige schreibt seine Antworten lieber auf. Er habe viel zu tun, sei ständig unterwegs, richtet er aus. Nach ein paar Wochen bekommt der Fragesteller vier vollgeschriebene Seiten zurück.
Tihinen hat also einiges zu erzählen. Sein Tor habe er sicher 1896-mal gesehen. Die Zahl wählt er nicht zufällig: 1896 ist das Gründungsjahr des FCZ. Bald 15 Jahre ist sein Karriereende nun her, dem Verein bleibt er verbunden. Er steht in regelmässigem Kontakt mit Präsident Ancillo Canepa, und was er nicht mitbekommt, teilt ihm sein Sohn Antton mit, den der FCZ auch nach der Rückkehr nach Finnland nicht losgelassen hat.
2006 kommt Tihinen zum FCZ, sein Vorgänger in der Abwehr ist Iulian Filipescu, der ein paar Monate vorher seinen Beitrag zur Schweizer Fussballgeschichte leistet, als er den FCZ in Basel mit seinem ersten und letzten Tor zum Titel schiesst. Kult, auch er, nicht nur wegen des Treffers.
Tihinen schreibt, er habe beschlossen, irgendwann ein ebenso tolles Tor für den FCZ zu schiessen. So einfach ist das. Erfolgsdruck sei er sich gewohnt gewesen, er hatte vor seiner Zürcher Zeit bereits in der Champions League gespielt, mit dem belgischen Verein Anderlecht.
Als er mit Turban um den Kopf Meister wurdeFilipescu in Basel, Tihinen in Mailand – das Tor des Rumänen wird immer wichtiger sein. Aber gross wird Tihinen in diesem Verein trotzdem, er ist Captain und ein Abwehrchef ohne Kompromisse. Im zweitletzten Spiel der Saison 2006/07 erleidet er nach einem Zusammenprall eine üble Kopfverletzung, er berichtet, der Berner Kunstrasen sei voller Blut gewesen. Fünf Tage später spielt er mit Verbänden um den Kopf im Hardturm gegen die Grasshoppers und stemmt danach den Meisterpokal in den Himmel.
Das ist die eine Seite des Hannu Tihinen, rau, hart im Nehmen, «barbarisch», wie ihn die «Gazzetta» etwas gar zugespitzt umschrieb. Aber Tihinen bleibt auch menschlich in Erinnerung. Er schreibt über seine Jahre als Fussballer: «Mein Traum ging in Erfüllung, ich durfte in grossen Vereinen grosse Rollen spielen, Gelbe und Rote Karten bekommen, tolle Tore schiessen und auch tolle Eigentore.» Es ist immer einfacher, mit Selbstironie auf eine Karriere zurückzuschauen, wenn sie gut lief. Aber die Worte zeigen: Tihinen wusste, was er konnte – und was nicht. Er nahm sich nie zu ernst.
2010, mit bald 34, hört er auf. Für sein letztes Spiel kauft er 30 Trikots, die 30 ist seine Rückennummer, und verteilt sie im Letzigrund. Danach bleibt er noch eine Weile im Club, halbtags im Büro, wo er viel von Sportchef Fredy Bickel lernt, halbtags auf dem Trainingsplatz. Für neue Spieler stellt er ein Willkommenspaket zusammen, um sie auf die Schweiz und ihre Eigenheiten vorzubereiten.
Fünf Jahre nach seiner Ankunft in Zürich kehrt Tihinen mit der Familie zurück nach Finnland, um nahe bei seinen Eltern zu sein. Er macht einen Master an der Universität von Helsinki und einen bei der Uefa. Er bewirbt sich für das Amt des Präsidenten des finnischen Fussballverbands, verliert die Wahl und wird 2014 Technischer Direktor.
Neun Jahre lang macht er das, dann wechselt er zum Weltverband Fifa, wo er Verbände bei der Talententwicklung unterstützt. Er arbeitet in seiner Heimat, ist aber viel auf Reisen. Gleich für neun Länder ist er zuständig. Er schreibt, ohne die Erfahrungen, die er in den Büros des FCZ gemacht habe, wäre er nicht in der Position, in der er heute sei.
Das Glitzern des Sees – «ein unglaubliches Gefühl»Als Kind träumte Tihinen von einer Karriere im Fussball, weit nördlich in Lappland. Viel Schnee, darum sei die Wahrscheinlichkeit gering gewesen, einmal Profi zu werden. Und doch führte ihn sein Weg nach Norwegen, Belgien und in die Schweiz. Überall gewann er Titel, er absolvierte 78 Länderspiele und blieb dem Fussball danach erhalten.
Auf die Frage, was seine schönsten Erinnerungen an die Zeit in Zürich sind, nennt er drei Momente. Einer ist das Glitzern des Zürichsees, als er eines Abends in der Wohnung in Küsnacht seine Dehnübungen macht. Mai 2009, kurz vor Saisonende, seine zweite Schweizer Meisterschaft ist nah, «es war ein unglaubliches Gefühl», schreibt er.
Dann ist da die Geburt seines dritten Sohns Matteo in der Zürcher Hirslanden-Klinik. «Wir wurden sehr gut betreut und schätzten das Schweizer Gesundheitssystem und die Kompetenz des Personals sehr.» Die Tihinens fühlen sich wohl in der Schweiz, Matteos ältere Brüder Antton und Nooa sprechen Schweizerdeutsch.
Und die dritte? Hier geht es tatsächlich um Fussball. 2:3 verliert der FCZ im Juli 2009 im Letzigrund gegen NK Maribor aus Slowenien, er bangt um die Teilnahme an der Champions League. Nach einer kurzen Nacht trifft sich die Mannschaft zur Aufarbeitung ohne Trainerstab zum Morgenessen.
«Wir beschlossen, das negative Erlebnis aus dem Hinspiel in einen Sieg im Rückspiel umzuwandeln», schreibt Tihinen. Auswärts gewinnt der FCZ 3:0. Als er danach noch den lettischen Verein Ventspils besiegt, steht er in der Champions League.
Und dann, im San Siro gegen Milan mit all seinen Stars, hat Tihinen seinen grossen Moment. In Finnland sprechen die TV-Kommentatoren noch heute von der «Tihisen Takavasara» – dem tihinschen Rückwärtshammer.
Hast du Feuerschweif am Heck, spült das Wasser alles weg.
-Alte sizilianische Bauernweisheit!