Beitragvon billy » 16.11.05 @ 8:13
Zum Verzicht aufs Revanchefoul
Wer sich über die Belästigungen und Beleidigungen gegen die Schweizer Fussballer in der Türkei empört, könnte sich an manch anderem Match auch empören. Ein Plädoyer für mehr Fairplay rund um den Fussball.
Von Lukas Häuptli
Türken schikanieren Schweizer mit Passkontrollen, Türken werfen Eier und Tomaten gegen Schweizer, Türken beleidigen Schweizer mit Sprechchören. Mal sind es Fussballfans, mal Flughafenangestellte, mal Zollbeamte. Je offizieller die Funktion der Türken ist, desto grösser scheint die Empörung der Schweizer. Manch einer von uns übt sich seither in Mutmassungen, welches Ausmass die Schikanen, Übergriffe und Verunglimpfungen bis zum Spiel zwischen der Türkei und der Schweiz von heute Abend noch annehmen.
Einzelne Schweizer Medien haben die Empörung ungefiltert ins Land hinausgetragen, sie mit einer Prise Fremdenfeindlichkeit gewürzt und zum halb offenen Gegenangriff oder – wie es im Jargon heisst – zum Revanchefoul geraten. « Pfui, schämt euch, ihr Türken » , titelte beispielsweise der « Blick » . Vielleicht wäre Gelassenheit angebrachter gewesen. Ganz sicher Sachlichkeit. Die Empörung täuscht nämlich über eines hinweg: Belästigungen, Beleidigungen und Beschimpfungen sind rund um den Fussball längst zur Gewohnheit geworden. Das ist in der Schweiz nicht anders: Bereits beim Hinspiel zwischen der Schweiz und der Türkei in Bern pfiffen Zuschauer, während die türkische und die Schweizer Nationalhymne abgespielt wurden. Man braucht kein übertriebener Nationalist zu sein, um das als stossend zu empfinden. Oder: In der Super League kommt kaum ein Zürcher Derby mehr ohne gegenseitige Verunglimpfungen aus. Im Viertelstundentakt skandieren GC- Fans prosaisch « Scheiss- FCZ » , im Viertelstundentakt singen FCZ- Fans kaum poetischer: « GC, die Scheisse vom See » . Oder: Die Münzen-, Feuerzeug- und Handywürfe, welche die Schweizer in der Türkei befürchten, passieren in hiesigen Fussballstadien zwar seltener, aber ebenfalls in unschöner Regelmässigkeit: Letztes Jahr zum Beispiel wurde FC- Basel- Goalie Pascal Zuberbühler im heimischen St.- Jakob- Park von einer Münze getroffen, zwei Jahre zuvor am gleichen Ort GC- Goalie Fabrice Borer von einem Feuerzeug. Mit dem Feuerzeug flogen auch Stangen und Steine auf den Platz.
Die Liste der Übergriffe liesse sich beliebig verlängern – und wäre noch immer nicht vollständig. Zum Beispiel in Deutschland: Werden dort vor einem Bundesliga- Match die gegnerischen Spieler angekündigt, übertönen Zuschauer deren Namen nicht selten mit einem einstimmig gebrüllten « Arschloch » . Verraten Namen und Aussehen zudem afrikanische Wurzeln, werfen die Fans auch mal eine Banane aufs Spielfeld – selbst wenn der Betroffene ( wie der Schalker Gerald Asamoah) einen deutschen Pass besitzt und für die deutsche Nationalmannschaft spielt.
Oder in Frankreich: Beim Derby der beiden Erzrivalen Paris Saint- Germain und Olympique Marseille können Spieler Eckbälle oft nur noch treten, wenn sie von Sicherheitskräften mit Schildern vor Wurfgegenständen der gegnerischen Fans geschützt werden. Oder in Italien: Als der schwedische Schiedsrichter Anders Frisk im Herbst 2004 während des Champions- League- Spiels AS Roma gegen Dynamo Kiew von einer Münze getroffen wurde und die Partie abbrach, sangen die Römer Fans: « Tötet ihn, er soll sterben. » Man mag auf die Unterschiede zwischen all diesen Beispielen und den Vorkommnissen in der Türkei hinweisen. Man mag erklären, das seien traurige Ausflüsse gesellschaftlicher Missstände. Und man mag einwenden, das alles gehöre einfach zum Fussball. Man kann aber auch – vielleicht naiv und tiefenpsychologisch unfundiert, jedoch nicht weniger berechtigt – festhalten: Der Fussball, viele seiner Fans und manche seiner Bericht- erstatter brauchen etwas mehr Sportlichkeit. Sportlichkeit heisst: Anstand, Fairplay, Verzicht aufs Revanchefoul. Es bedeutet: keine Belästigungen, keine Beleidigungen, keine Beschimpfungen. Es heisst: nicht pfeifen, nicht buhen, nicht werfen, wenn der Gegner besser ist. Und vielleicht gar einmal klatschen.
Es war 1986 und in Mexiko, als Fussballstar Diego Maradona mit der « Hand Gottes » , die seine eigene war, Argentinien gegen England in den WM- Halbfinal schoss. Der Trainer des Verlierers hätte Maradona verfluchen können.
Bobby Robson tat es nicht. Das war sportlich – und brachte den Weltfussballverband ( Fifa) auf die Idee, eine Fairplay- Kampagne zu starten und später alljährlich einen Fairnesspreis zu verleihen. Mal erhielt ihn Fussballer Gary Linecker, mal Fussballer und Fast- Staatspräsident George Weah, 2003 aber waren die Preisträger die Anhänger von Celtic Glasgow. Ihr Verein stand kurz vor dem Gewinn des Uefa- Cups. Unglücklich und nicht zuletzt wegen umstrittener Schiedsrichterentscheide ging der Final gegen Porto verloren. Die Fans feierten trotzdem – sich, ihre Mannschaft, ihren Gegner. Das könnte – allen Übergriffen, Verunglimpfungen und Beleidigungen zum Trotz – auch Vorbild für uns Schweizer sein.
Quelle: tagi