Aus der NZZ:
«Eine Art Erlösung»
Flurin Clalüna
Schon oft hat man über Yassine Chikhaoui gesprochen, als ob er eine übernatürliche Erscheinung wäre; ein in sich gekehrter Fussballer, jahrelang von Schmerzen geplagt, melancholisch, und doch hat man in den letzten Jahren niemandem lieber beim Spielen zugesehen als ihm. Doch leider kam das viel zu selten vor, über dreieinhalb Jahre war er verletzt, seit er im Sommer 2007 zum FCZ kam und später ein chronischer Dauerpatient wurde.
Und vielleicht ist es jetzt auch kein Zufall, dass Marco Bernet, der Technische Direktor des FCZ, über Chikhaouis bevorstehenden Abgang im Sommer sagt: «Es ist eine Art Erlösung.» Es klingt wie eine quasireligiöse Verabschiedung für jemanden, der zuerst als Wunderspieler galt, den aber viele nicht mehr verstanden, nachdem er so misstrauisch geworden war; das geschah im Nachgang zu einem Zeitungsinterview, aus dem viele radikal-muslimische Sympathien herauslesen wollten, wodurch sie Chikhaoui, den gläubigen Tunesier, zum Extremisten machten. Es war Chikhaouis Glanzzeit in Zürich, bald sechs Jahre ist das her. Und kürzlich sagte der Präsident Ancillo Canepa, «dass Chelsea damals bereit gewesen wäre, einen zweistelligen Millionenbetrag zu bezahlen». Jetzt wird der FCZ für ihn wohl nichts mehr bekommen.
Denn im nächsten Sommer läuft Chikhaouis Vertrag beim FCZ aus, und obwohl Canepa in einem Interview in der Dienstagsausgabe des «Tages-Anzeigers» sagt, Chikhaouis Zukunft sei offen, hat man ihm am Montag nach mehreren Gesprächen mitgeteilt, dass man das Arbeitsverhältnis nicht fortführen werde. Canepa hatte Chikhaouis Vertrag schon einmal verlängert, 2010, damals vor allem aus Grosszügigkeit, mitten in Chikhaouis endloser Krankengeschichte, als wenige an ihn glaubten.
Im nächsten Sommer kann er nun also ablösefrei gehen, und es gibt viele Gründe, weshalb eine Trennung vermutlich vernünftig ist. Bernet sagt, Chikhaoui habe nicht auf einen Abschied gedrängt, er wollte nicht unbedingt gehen, «aber ich habe das Gefühl, er ist befreiter, seit er weiss, dass sein Weg in Zürich zu Ende ist». Chikhaoui ist seit Jahren in einer emotionalen Bringschuld, dem Verein, aber auch sich selber gegenüber. «Jetzt muss er sich nicht mehr verpflichtet fühlen, etwas nachzuholen, was er in vielen Jahren in Zürich verpasst hat», sagt Bernet.
Aber natürlich gibt es auch wirtschaftliche Gründe, die gegen eine Weiterbeschäftigung Chikhaouis sprechen, bei aller Schwärmerei für ihn, die auch Canepa nie losgelassen hat. 700 000 Franken soll Chikhaoui verdient haben, und mit diesem Lohn passt er nicht mehr ins Gehaltsgefüge des FC Zürich, der weiterhin sparen muss. Chikhaoui ist wie ein Liebhaberauto geworden, wunderschön anzusehen, wenn es läuft, aber eben auch unzuverlässig. Einen solchen Wagen in der Garage stehen zu haben, muss man sich leisten können.
Und nicht zuletzt gibt es sportliche Argumente, die nicht für ihn sprechen. Chikhaouis Klasse als Individualist sieht auch jemand, der von Fussball nicht die geringste Ahnung hat. Schwieriger wird es, wenn man ihn in eine Mannschaft integrieren muss; an einem Wochenende ist er dabei, am nächsten wieder nicht; einmal ist er unpässlich, einmal hat er Magenschmerzen, so wie in diesem Sommer, als er einen heftigen Pillen-Cocktail schlucken musste. Und dann, auf einmal, spielt er wieder wunderbar, so wie zuletzt im Derby gegen GC. Aber wie geht man mit so jemandem um? Und wie die Teamkollegen?
Der Trainer Urs Meier sagt: «Wenn er spielt und alle verzaubert, ist das genial. Aber fast niemand sieht, welche Arbeit dahintersteckt. Ich habe ihn immer geschützt. Dank mir ist er wieder in der tunesischen Nationalmannschaft und dort sogar Captain.» Und es kommt noch etwas anderes hinzu: Wenn Chikhaoui auf dem Platz stand, hat der FCZ sein Spiel auf ihn ausgerichtet, «wir haben ‹Yassine-Fussball› gespielt», sagt Bernet. Aber schon am nächsten Spieltag war er vielleicht nicht dabei, und der FCZ musste ganz anders auftreten. Das hat der Mannschaft nicht gutgetan.
Jetzt, wo der Vertrag nicht verlängert wird, könnte er den FCZ auch schon früher verlassen, schon in der Winterpause. Meier sagt: «Wenn Chikhaoui das Gefühl hat, es ergebe keinen Sinn mehr, in der Rückrunde für uns zu spielen, dann lege ich ihm keine Steine in den Weg.» Aber Meier glaubt nicht daran. Er ist der Meinung, Chikhaoui sei dem FCZ noch etwas schuldig, auch der Tunesier selber denke so, «er muss am Ende noch positive Spuren hinterlassen». Meier sagt, er habe oft gehört, wie schlecht über Chikhaoui geredet worden sei, wie man ihn als Mensch nie richtig wahrgenommen habe. Er verdiene einen respektvolleren Abgang. Aber vermutlich wird Chikhaoui so in Erinnerung bleiben: als vielleicht elegantester Spieler, der je in der Schweiz gespielt hat. Den fast niemand wirklich gekannt hat.
http://www.nzz.ch/aktuell/sport/fussball/eine-art-erloesung-1.18206627