Beitragvon die drei Fragezeichen » 28.03.11 @ 15:33
«Hitzfeld wollte nicht, dass man seine Arbeit analytisch betrachtet»
Von Thomas Niggl
Unter Ottmar Hitzfeld ist keine Entwicklung auszumachen. Experten haben davor gewarnt, den Vertrag mit dem Deutschen vorzeitig bis 2014 zu verlängern. Das Trauerspiel in Bulgarien gibt ihnen recht.
Nach dem 0:0 in Sofia hat die Schweiz nur noch theoretische Chancen auf eine EM-Qualifikation. «Bei Hitzfeld hat man das Erfolgsprinzip schlicht und einfach ausser Kraft gesetzt», sagt Experte Andy Egli gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. Man habe Hitzfelds Vertrag offenbar aufgrund seiner überragenden Erfolge und Verdienste als Klubtrainer in den letzten Jahren verlängert. Egli vermisst im Verband eine gewisse Fachkompetenz. «Mit Philippe Hertig sitzt nur ein einziger ehemaliger Spieler im Zentralvorstand», weiss er.
Egli wundert sich auch, dass der Vertrag auf Druck von Hitzfeld neu verhandelt und schliesslich abgeschlossen wurde. «Das war ein taktischer Schachzug von ihm, er wollte offenbar nicht, dass man seine Arbeit analytisch betrachtet und unter die Lupe nimmt», so Egli. Dass der Verband den Vertrag verlängert habe, sei deshalb sehr fragwürdig und strategisch kein guter Entscheid gewesen. Egli befürwortet hingegen, dass ein Verband, der von einem Trainer überzeugt ist, den Vertrag auch verlängert.
«Er ist einzigartig, wenn er ein Klubteam trainieren kann»
Die Zukunft werde aber zeigen, ob Hitzfeld in der Lage sei, ein neues Team für die WM-Qualifikation aufzubauen. Daran hat der ehemalige Nationalspieler jedoch seine Zweifel. Er sehe bei der Nationalmannschaft keine Entwicklung. «Hitzfeld ist einzigartig, wie bei GC damals, in Dortmund oder den Bayern Mannschaften, wenn er Mannschaften hatte, die auf jeder Position mit Klassespielern doppelt besetzt waren», sagt Egli. Da verstehe er es glänzend, mit fertigen Spielern und Stars auf der Klaviatur der Emotionen zu spielen.
«Wenn ihm ein finanzielles Budget gewährt wird und er ein Team nach seinen Vorstellungen zusammenstellen kann, dann stimmt bei diesen Teams vor allem auch die Chemie. Darin ist er ein Meister seines Fachs», so Egli. Er blendet noch einmal zurück auf die gemeinsame Zeit bei den Grasshoppers. «Ich hatte mit ihm die grössten Probleme und habe ihn sogar in den Zeitungen kritisiert», so Egli. Aber Hitzfeld habe schon damals bewiesen, dass er ein hervorragender Psychologe ist. «Er hat mich auch in unseren Auseinandersetzungen zu Höchstleistungen angetrieben. 1990 holten wir das Double und ich wurde auch noch Fussballer des Jahres.»
«Dass er ein guter Nati-Trainer ist, hat er bisher nicht bewiesen»
Hitzfeld sei zweifelsohne einer der besten Vereinstrainer der Welt. Den Beweis, dass er auch ein guter Nationaltrainer sei, habe er hingegen bisher nicht erbracht. «Ich habe in keinem Länderspiel in den letzten zwei Jahren, spieltechnisch oder spieltaktisch einen Fortschritt erkennen können», sagt er. Die Leidenschaft und der letzte Wille habe ihm ebenfalls gefehlt. Der Sieg in Südafrika in der Gruppenphase gegen den späteren Weltmeister Spanien habe dieses Manko kaschiert und von den Problemen abgelenkt. «Für die Entwicklung der Mannschaft war der Sieg im Nachhinein ganz schlecht. Und er hat Hitzfeld möglicherweise im Endeffekt sogar den neuen Vertrag ermöglicht», mutmasst Egli.
Jörg Stiel, Moderator des Sporttalks «kick it» im Schweizer Sportfernsehen, macht in der Schweizer Nationalmannschaft ein Qualitätsproblem aus. In Sofia habe ihm auch ein taktisches Konzept des Trainers und die Leidenschaft bei den Spielern gefehlt. «Früher hatten wir in der Innenverteidigung mit Murat Yakin und Patrick Müller zwei Spieler, die eigentlich auch Spielmacher waren», erinnert sich der ehemalige Nationaltorhüter. Da habe der Spielaufbau schon aus der Abwehr heraus viel Qualität gehabt. «Yakin und Müller konnten das Spiel lesen und waren deshalb auch in der Antizipation unerreicht.»
«Hitzfeld müsste mal eine unpopuläre Massnahme treffen»
Auch der ehemalige Nationalspieler Raimondo Ponte macht sich Sorgen um die Zukunft der Nationalmannschaft. «Wer einmal Fussball gespielt hat, weiss, dass eine schlechte erste Halbzeit wie in Sofia mal vorkommen kann», sagt der erfolgreiche Trainer des FC Chiasso und nimmt mit dieser Feststellung die Spieler ein bisschen in Schutz. Aufgrund verschiedener Medienberichten macht er innerhalb der Mannschaft jedoch zwischenmenschliche Probleme aus. «Es kann ja nicht sein, dass ein Spieler vor einem solchen Schicksalsspiel öffentlich seine Rücktrittsgedanken hegt», so Ponte. Ein solcher Spieler sei nicht auf das Spiel fokussiert.
Ponte weist auch auf Sonderrechte hin, die Hitzfeld gewissen Spielern gewähre. Er könne sich durchaus vorstellen, dass deshalb die Chemie nicht mehr stimme. «Vielleicht muss Hitzfeld mal eine unpopuläre Massnahme treffen und sich von einem Spieler trennen», sagt Ponte. Auch wenn dieser noch so wichtig für die Mannschaft sei. «Wichtig ist nur das Kollektiv und die Gruppendynamik und niemals ein einzelner Spieler», so Ponte. Köbi Kuhn, Hitzfelds Vorgänger, hatte übrigens einst mit Ciri Sforza und Johann Vogel zwei seiner Leistungsträger aussortiert.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)