Beitragvon Jerkovic » 16.04.07 @ 10:40
Aus dem neusten Eisnull
Eigentlich sollte auf diesen Seiten eine Titelstory erscheinen, die positiv ist. Die informiert. Die exklusive News rund um den Stadtclub bringen soll. Aber es ist auch unsere Aufgabe, die nicht positiven Dinge zu schildern und den Fans näherzubringen. Es ist auch unsere Aufgabe, als Teil dieser Gesellschaft über Schicksale zu berichten, die einerseits erschüttern, aber auch helfen sollen, auf Negatives hinzuweisen und zu versuchen, es zu bekämpfen.
Pressetext 10 vor 10 4.April 2007
FCZ Schläger verhaftet
Der Zürcher Staatsanwalt Edwin Lüscher bestätigte heute 10vor10-Recherchen, dass der 23-jährige Schläger K. gestern nachmittag verhaftet worden ist.
K. hatte im letzten Mai nach der FCZ Meisterfeier den 28-jährigen Roland Maag niedergeschlagen, der als Unbeteiligter versucht hatte, einen Streit zu schlichten.
Roland Maag ist seit dem Faustschlag völlig gelähmt und muss künstlich ernährt werden.
K. hatte im Januar dieses Jahres erneut einen Mann niedergeschlagen. Lüscher bestätigte gegenüber 10vor10, dass der Haftrichter deshalb heute wegen Verdunkelungsgefahr Untersuchungshaft angeordnet hat. In einem späteren Haftrichterverfahren werde allenfalls die Wiederholungsgefahr zu prüfen sein.
Roland Maag wurde heute von Spielern und vom Medienchef des FCZ besucht.
Blerim Dzemaili, Hannu Tihinen, Marc Schneider und Gökhan Inler wollten mit ihrem Besuch ein Zeichen gegen Gewalt setzen. Medienchef Alexander Kuszka sagte gegenüber 10vor10: «Wir haben uns kurz geschlossen mit dem Verwaltungsrat und planen im Sommer ein Benefiz-Spiel für Roli – und in den nächsten Wochen planen wir eine grössere Kampagne gegen Gewalt.»
Diese Pressemitteilung verschickte das Schweizer Fernsehen am 4. April 2007. Die Bilder am Abend schockierten und rüttelten auf. Vier Spieler eines Fussball-Clubs besuchen in einem Spital einen Fan. Dieser wurde in der wohl schönsten Nacht seines Lebens (Meistertitel seines Clubs) von einem anderen Fan niedergeschlagen und ist seither gelähmt. Klingt nüchtern, klingt fast schon beängstigend. Solche Zeilen will man gar nicht lesen. Vor allem nicht, wenn man Roland Maag in der Rehaklinik in Bellikon besucht und auch kurz nach der Tat den Roli im Universitätsspital gesehen hat.
Es tut weh und vor allem tut es weh, dass solche Taten längst zur «Routine» unserer Gesellschaft gehören. Man könnte zum Beispiel den Ostermontag nehmen. Um 16 Uhr laufen die Spieler des FC Zürich mit einem zehn Meter langen Plakat mit der Aufschrift «Der FC Zürich sagt NEIN zur Gewalt» ins Stadion und um 17:55 Uhr, zehn Minuten nach dem Spiel müssen Hundertschaften von Polizisten Gewaltexzesse von rivalisierenden Anhängern des FCZ und des FC Basel stoppen und unschuldige Familien mit kleinen Kindern schützen. Es kommt Tränengas zum Einsatz, Wasserwerfer müssen alarmiert werden und dem Grossteil der «Südkurve » muss geraten werden, ihren Sektor nicht zu verlassen.
Fünf Tage nach dem Bericht im 10vor10, vier Tage nach den Meldungen in der Presse. Man müsste sich einfach fragen, in welcher Welt wir eigentlich leben. In welcher Gesellschaft.
Mittwoch, 4. April 2007. Die FCZ Spieler Hannu Tihinen, Marc Schneider, Blerim Dzemaili und Gökhan Inler treffen sich um 11:45 Uhr an der Saalsporthalle und fahren gemeinsam zur Rehaklinik nach Bellikon. Es ist kalt und SF-Redaktor Mario Poletti und ich warten draussen auf das Quartett. Schon von weitem kann man das Krankenzimmer im 1. Obergeschoss von Roli sehen. Die Schals, Fahnen, Bilder und Andenken lassen erahnen, dass hier ein treuer, stolzer Fan des FC Zürich stationiert ist. Um punkt 12:30 Uhr kommen die FCZ Profis und wir passieren gemeinsam den Haupteingang. Charles Romeo Kobelt, Marketingleiter der Klinik, sagt uns, wie es um Roli steht. Er könne alles verstehen, alles sehen und wir sollten uns keinen Kopf machen, sollte er zu fest zucken. Es wäre ein Ausdruck der Freude und er wäre schon ganz nervös, da sein Stiefvater ihm das Kommen der FCZ Spieler mitgeteilt hatte.
Den Spielern wird ein letztes Mal bewusst, welche Rolle sie im Leben von Roli spielen.
Wir fahren mit dem Lift hinauf in den 1.Stock und werden dort schon von den leitenden Ärzten und Rolis Stiefvater empfangen. Es ist eine ganz spezielle Stimmung. Die Spannung wächst. Bei den Spielern und natürlich bei Roli. Es ist nicht zu beschreiben, was einem durch den Kopf geht. Was würde passieren? Wie würde man selbst reagieren? Wie würde man handeln? Wir gehen in ein kleines, aber gemütliches Zimmer. Rechts unten auf einem typischen Spitalbett liegt Roli. Er ist angespannt. Sein Stiefvater redet mit ihm, weiht ihn ein: «He Roli, schau mal wer da ist. Kennst du die Jungs?» Hannu, Blerim, Marc und Gökhan schauen auf Roli. Schauen auf einen FCZ Fan, der seit dem 14. Mai 2006 auf fremde Hilfe angewiesen ist. Rolis Augen kugeln aufgeregt. Sein rechter Arm, den er angeschmiegt hat, vibriert und jeder Spieler begrüsst Roli persönlich.
Hannu Tihinen stellt sich mit «Hallo Roli, ich bin Hannu, ein hässlicher Finne» vor. Roli lacht. Man hört es nicht. Man spürt es. Der Stiefvater fordert «sein Kind» auf, die Namen der Spieler zu sagen und er weiss sie bis auf den von Gökhan. Er kann sie aussprechen. Wir freuen uns ob dieses Glückes. «Erst vor drei Wochen hat er wieder angefangen zu sprechen. Vorher war er stumm», sagt Rolis Stiefvater und verrät mir später einen Grund für das Schweigen. Mir wird bewusst, dass da ein Mensch liegt, der von grossen Emotionen geprägt ist. Ich möchte an dieser Stelle diesen Grund nicht erwähnen, da er rein privater Natur ist.
Mittlerweile schauen sich die Spieler im Zimmer um, schauen sich Fotos, Fanartikel und Geschenke an. Sie schmücken das komplette Zimmer. Die leitenden Ärzte, die den «hohen Besuch für Roli» aufmerksam an der Türschwelle verfolgen, werden jetzt befragt. Sie sagen, dass Roli künstlich ernährt werde, aber täglich Fortschritte zu erkennen sind. Er werde bald verlegt werden können. In ein Pflegeheim. In einen neuen Ort. Aber mit seinen ganzen Sachen, die hier oben in Bellikon die Wände zieren.
Mittlerweile ist es 13 Uhr und wir befolgen den Rat der Ärzte, doch bitte zu gehen. Roli werde jetzt immer nervöser und es wäre für ihn zu strapaziös. Es war eine halbe Stunde. Eine Ewigkeit aber für Roli. Er durfte seine Lieblinge sehen. Er durfte Kraft schöpfen. Kraft schöpfen für sein Leben, das er jetzt führt und führen wird.
Der FC Zürich wird im Sommer auf jeden Fall ein Benefizspiel für Roli veranstalten. Und vielleicht kommt es einem ganz guten Zweck zugute. Denn heute – acht Tage nach unserem Besuch – erreichte mich ein Mail aus Brasilien, wo ein alter Bekannter von Roli ein kleines Hotel führt. Sobald es Roli besser gehe, könne er sich bei ihm erholen und so lange bei ihm bleiben, wie es geht. Er hätte einfach nicht das Geld, den Flug zu bezahlen. Es wäre schön, wenn wir Roli diesen Traum erfüllen könnten. Und eine zweite gute Nachricht erreichte uns heute auch.
Roli hat die Rehaklinik Bellikon verlassen und wurde ins Pflegezentrum Nidelbad nach Rüschlikon verlegt.
«Der FC Zürich sagt NEIN zu Gewalt» – und das mit aller Vehemenz. Oder wie sagte es Blerim Dzemaili treffend: «So was will ich nie wieder sehen.» Wir alle im Verein haben eine grosse Aufgabe, der wir uns stellen werden. Helfen auch Sie mit, dass wir Schicksale wie das von Roli nie wieder in Kauf nehmen müssen. Wir müssen uns stellen und werden das in den kommenden Wochen mit einer grossen Kampagne machen.
NEIN zu Gewalt – JA zum FC Zürich – In Gedanken an Roland Maag
Alexander Kuszka