Beitragvon idurletram » 24.04.06 @ 10:23
Tages-Anzeiger vom 24.04.2006
Goalgetter Rafael in der Fussballunterwelt
Der FCZ siegte in St. Gallen 3:2, bangte aber um Stürmer Rafael, der mit brasilianischen Agenten verschwand. Erpressung war im Spiel, die Polizei kam der Sache jedoch schnell auf die Spur.
Von Bernhard Brunner, St. Gallen, und Thomas Schifferle
Die Partie hatte ein Vor- und ein Nachspiel - ein übles, so oder so. Auch wenn die Fakten teilweise ungeklärt sind. Es fing damit an, dass der begnadete und vor allem junge 21-jährige brasilianische Stürmer Rafael (12 Tore in dieser Saison) in St. Gallen nicht auf dem Matchblatt figurierte und dafür vorerst «persönliche Gründe» angeführt wurden. Sportchef Fredy Bickel verwies für weitere Erläuterungen auf die Pressekonferenz nach dem Spiel.
Beide Trainer referierten dort zuerst über das Spiel, das die Zürcher, ersatzgeschwächt genug (vier Stammspieler fehlten gesperrt oder verletzt), nach zweimaligem Rückstand durch Tore ihres Captains Marc Schneider in der 77. und 85. Minute erstaunlicherweise noch zum 3:2-Sieg gewendet hatten. Danach ergriff Trainer Lucien Favre das Mikrofon und sagte mit versteinertem Gesicht den erstaunlichen Satz: «Rafael ist gekidnappt worden.» Mehr könne er nicht sagen. Mehr sagte dann Bickel: dass Stürmer Rafael «nach erpresserischen Versuchen zweier brasilianischer Agenten in den Tagen zuvor» morgens um zehn Uhr bei der Besammlung für das Meisterschaftsspiel nicht aufgetaucht sei.
Was war passiert? Am Freitagmorgen hatten sich laut Bickel zwei brasilianische Spieleragenten beim FCZ gemeldet (einer davon ist der offizielle Fifa-Spielervermittler Andre Cury Marduy) und versuchten, vom Klub für Rafael einen besseren Vertrag zu erpressen, weil die Transferrechte bei ihnen lägen und der Transfer in die Schweiz zu Chiasso damals «unrechtmässig» erfolgt sei.
FCZ-Vertrag bis 2009
Rafael war über den brasilianischen Klub CA Juventus São Paulo zum Tessiner Challenge-League-Klub gekommen. Seit Dezember liegen seine Transferrechte beim FC Zürich, der die im Leihvertrag enthaltene Option einlöste und Rafael bis ins Jahr 2009 verpflichtete.
Wegen der Begehrlichkeiten der zwei Spieleragenten versuchte sich der Schweizer Spielervermittler Max Urscheler als Schlichter einzuschalten. FCZ-Präsident Sven Hotz wollte davon nichts wissen, weil er mit Urscheler früher keine guten Erfahrungen gemacht hatte. Bickel und Hotz versuchten in einer Sitzung am Samstagnachmittag um halb vier Uhr, die Sache zu regeln, versprachen, alle rechtsgültigen Papiere vorzuweisen und das Missverständnis aufzulösen. Die Agenten aus Brasilien hätten darauf gedroht, Rafael würde «unter diesen Umständen» (Bickel) nicht mehr auftauchen.
Chiassos Präsident Marco Grassi findet es «eine Schweinerei, dass solche Leute im Fussball auftreten, einem jungen, talentierten Spieler den Kopf verdrehen und das Leben ruinieren». Laut Grassi versuchten die Agenten, Rafael einerseits einzuschüchtern und ihn andererseits mit Versprechungen zu locken, in der Heimat könnte er bei Flamengo oder Corinthians mehr Geld verdienen. Gestern Sonntagmittag nun reichte der FCZ auf Betreiben von Sven Hotz - nachdem Rafael am Morgen nicht zur Besammlung erschienen war - bei der Stadtpolizei eine Vermisstmeldung ein und erstattete Anzeige wegen versuchter Erpressung. «Es muss alles auf den Tisch und aufgeklärt werden», sagt Hotz.
Chiasso bangt mit
Grassi sagte, die Agenten seien am Donnerstagabend von Brasilien in der Schweiz eingetroffen und in Rafaels Wohnung vorstellig geworden. Grassi hatte auch versucht, Rafaels Vater zu erreichen - vergeblich. Der Präsident der Tessiner Vereins, früher selbst Stürmer des FCZ, versicherte, dass der offizielle Spieleragent Stefano Cionnini aus Grosseto (It) sei, und er habe die Brasilianer gefragt: «Wo seid ihr in den letzten drei Jahren gewesen, wenn ihr behauptet, das Mandat für Rafael zu haben?» Grassi allerdings verfolgt auch die Interessen seines Vereins. Chiasso braucht das Geld aus dem Verkauf von Rafael an den FCZ, um für die nächste Saison eine Lizenz zu erhalten. Bis zum 30. Juli sind die restlichen 238 000 von 500 000 Franken fällig - doch so lange der Fall nicht geklärt ist, wird Hotz nicht zahlen. Das ist Grassi bewusst.
Rechtlich scheint der Transfer Rafaels zu Chiasso wie auch zum FCZ nicht auf wackligem Fundament zu stehen - die Swiss Football League kann die Lizenz für Spieler nur erteilen, wenn alle nötigen Unterschriften vorhanden sind.
Rafael muss aufpassen, dass er nicht seine Karriere aufs Spiel setzt. Kann er nicht nachweisen, dass er gegen seinen Willen dem Spiel fern geblieben ist, droht ihm von der Fifa eine Sperre. «Gekidnappt» tönte ohnehin übertrieben. Und tatsächlich erhielt der FCZ spät am Abend die Information, dass die Polizei den Aufenthaltsort von Rafael kenne. Vielleicht kommt das abstruse Theater zu einem schnellen Ende.