Beitragvon Merida » 27.10.05 @ 16:40
Philipp Anz - Beobachter vom 27.10.05
Hohe Eintrittspreise, Stadionverbote, schlechte Presse: Schweizer Fussballfans fühlen sich verschaukelt. Und fürchten, dass ihr Beitrag zur Fussballkultur bald unerwünscht ist.
Das kurze, aber eindrückliche Schauspiel löst bei den Besuchern auf den Sitzplätzen spontanen Applaus aus: Die Südkurve, der Stehplatz-Sektor des Zürcher Letzigrunds, wird von einem grossen Bild abgedeckt, das elf «FCZ-Gladiatoren» zeigt und fordert: «Ziit zum Kämpfe». Ein gutes Dutzend Fans hat zwei Tage lang an dieser Choreografie, kurz: Choreo, gearbeitet (siehe «Glossar der Fanbegriffe», Seite 18), die nun vor dem Anpfiff des Spiels FC Zürich gegen FC Basel für zwei, drei Minuten zu sehen ist.
An jedem Fussballwochenende sind im St. Galler Espenmoos, im Basler St.-Jakobs-Park, aber auch in kleineren Stadien wie dem Aarauer Brügglifeld oder dem Thuner Lachen solch kreative Inszenierungen zu bewundern. Sie haben es sogar der Swiss Football League (SFL) angetan. Für ihre im November erscheinende Jahresdokumentation wählt sie jeweils ein Spezialthema, in diesem Jahr sollten es Fanchoreografien sein. Die Fanklubs wurden um Bilder angefragt, doch nur gerade aus Aarau und Vaduz gab es Zusagen. Statt Fotos schickte ein YB-Fanklub einen Brief an die SFL: «Für Choreografien und dafür, die Kurve lautstark zu halten, sind die Fans gut genug. Für alles andere würde man sie am liebsten nicht mehr im Stadion sehen.»
Feindbild Nummer eins: «Pyromanen»
Die Reaktionen auf die SFL-Anfrage zeigen das Unbehagen und den Frust vieler aktiver Fussballfans. «Wochenende für Wochenende werden wir als Chaoten hingestellt, werden unsere Anliegen torpediert. Aber dann, wenn sie was von uns brauchen, dann kommen sie», sagt St.-Gallen-Fan Moritz*. Die Anliegen der aktiven Fans sind: faire Eintrittspreise, einheitliche Anspielzeiten, Erhalt von Stehplätzen, ein Anhörungsrecht bei Stadionverboten, ein in einem gewissen Rahmen erlaubtes Abbrennen von so genannter Pyro und ein Dialog zwischen Swiss Football League, Vereinen und Fans.
«Bis jetzt nimmt niemand diese Fans und ihre Forderungen ernst», sagt Polo Magnaguagno, ehemaliger Mitarbeiter des GC-Fanprojekts. «Sie spüren, dass ihr Freiraum durch die Kommerzialisierung des Fussballs enger wird, und verteidigen ihre Fankultur.» Ihre Fankultur, das heisst: laute und leidenschaftliche Unterstützung der Mannschaft, eigene Fanartikel, Inszenierungen wie Choreos oder Pyro.
Vor allem Pyro-Aktionen sorgen seit längerem für heisse Köpfe. Für viele der aktiven Fans gehört Pyro, also Rauch und Feuerwerk, «einfach dazu» * obwohl in den Schweizer Stadien sämtliches Feuerwerk bis hin zu Wunderkerzen verboten ist. Trotz dem Verbot schmückte bis vor nicht allzu langer Zeit mancher Verein seine Homepage gern mit Bildern von rot leuchtenden Fankurven. Heute sind die «Pyromanen» das Feindbild Nummer eins.
In dem Papier «Anliegen der Fans» meinen verschiedene GC-Fanklubs dazu: «Pyrotechnik bringt durchaus Risiken mit sich, innerhalb der Fanszenen ist man aber auch sehr bemüht, dass das Material nur in Hände gelangt, die damit umgehen können.» Das Fanprojekt des FC Basel fordert: «Es gilt zu überprüfen, ob die kritischen Begleiterscheinungen um Pyro-Aktionen nicht eher mit einer kontrollierten Legalität statt mit einer Nulltoleranzstrategie angegangen werden sollten.» Thomas Helbling, Präsident der Sicherheits- und Fankommission der SFL, lehnt dies ab: «Vorerst bleibt das Reglement so. Vor allem die alten Stadien in der Schweiz sind denkbar ungeeignet für das, was die Fans möchten.»
«Alles betrunkene Chaoten»
Wer beim Abbrennen von Pyro erwischt wird, wird mit einem Stadionverbot belegt. Das ist nach Reglement korrekt, führt aber auch dazu, dass in der öffentlichen Wahrnehmung solche Fans mit Hooligans und Gewalttätern gleichgesetzt werden, auch wenn das in vielen Fällen nicht zutrifft.
Aktive Fans beklagen nicht zuletzt deshalb eine «undifferenzierte Medienberichterstattung». «Für die Medien sind das alles betrunkene Chaoten», sagt Moritz, «auch wenn bejubelte Choreo-Künstler und verhasste Pyromanen manchmal identisch sind.» Schlechte Erfahrungen mit den Medien * die Fans des FC Basel waren nicht bereit, für diesen Artikel mit dem Beobachter zu sprechen.
Wenn es wie im Bahnhof Zürich-Altstetten letztes Jahr oder in Kopenhagen beim Uefa-Cup-Spiel Bröndby gegen FCZ zu Massenverhaftungen kommt, erfolgt oft eine öffentliche Pauschalverurteilung der Betroffenen, selbst wenn sich die Mehrheit als unschuldig erweist. Viele Fans befürchten, dass diese Repression gegen nicht gewalttätige Anhänger mit der Einführung einer Hooligan-Datenbank im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008 noch zunehmen wird. «Je näher die EM rückt, desto mehr willkürliche Stadionverbote werden verteilt», kritisiert FCZ-Fan Flavio*.
Die aktiven Fans sind sich durchaus bewusst, dass es in und um Fussballstadien Probleme gibt * etwa was die Gewalt betrifft. Doch für eine Lösung seien alle gefordert. «Man kann nicht einerseits eine Selbstregulierung innerhalb der Fankurven verlangen und sich anderseits dem Dialog mit den Fangruppen verweigern», meint Flavio. Flavio wie auch Moritz erklären, dass sich zwar der Austausch zwischen Fans und Verein in letzter Zeit verbessert habe. Trotzdem: «Die Offiziellen begreifen nicht, dass wir all unsere Zeit in den Verein investieren, da dieser unser Lebensinhalt ist», sagt Flavio. «Das Einzige, was wir als Gegenleistung für unser Engagement verlangen: die Freiheit, uns so zu entfalten, dass wir unseren Verein am besten unterstützen können.»
Die Fans sind durchaus bereit, mit SFL und Vereinen an einen Tisch zu sitzen: «Mit Trötzeln allein kommt man nicht weiter», stellt Moritz fest, «man müsste ins Gespräch kommen.» Thomas Helbling von der SFL: «Das kann ich unterstreichen. Deshalb haben wir unsere Klubs Anfang Jahr verpflichtet, Fanverantwortliche zu stellen. Die Erfahrungen mit diesen Ansprechpersonen für Fans sind bis jetzt gut.»
Weltweite Solidarität
Trotzdem fühlen sich die Fans nach wie vor nicht verstanden: «Die Funktionäre wollen ein Produkt verkaufen, sie wollen Konsumenten * und keine leidenschaftlichen Fans», sagt Flavio. In den modernen Fussballarenen habe es keinen Platz mehr für sie, glauben viele Fans. Als «Horrorbeispiel» dieser Entwicklung gilt Austria Salzburg. Der österreichische Verein wurde in diesem Jahr von Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz gekauft. Die traditionellen Klubfarben Weiss-Violett wurden gegen die Red-Bull-Farben ausgetauscht, Stehplätze im Schnelldurchlauf in Sitzplätze umgewandelt und im Stadion bezahlte Stimmungsmacher angestellt.
Ein Teil der Austria-Fans protestierte dagegen, unterstützt durch Solidaritätstransparente à la «Wozu Flügel, wenn man keine Seele hat», in unzähligen Fankurven in der Schweiz, in Deutschland, Norwegen, Portugal, ja sogar in den USA. Doch die neue Klubführung hatte kein Gehör für das Traditionsbewusstsein der Anhänger. Und so haben sich diese nun nach gescheiterten Verhandlungen wohl für immer aus dem Stadion verabschiedet, weil sie sich mit dem neuen Austria Salzburg nicht mehr identifizieren können. Vielleicht werden sie «ihren» Verein in einer tieferen Liga neu gründen * ein Vorgang, für den es in England bereits einige Beispiele gibt.
«So ist der moderne Fussball: Die Romantik geht, der Profit kommt», meint YB-Fan Kaspar* lapidar. Mit dem Berner Stade de Suisse konnte er sich bis jetzt nicht anfreunden: «Das neue Stadion ist kalt, es ist schwierig, Emotionen aufkommen zu lassen.» Bei YB sollte die neue Arena zu einem Zuschauerboom führen, doch bis jetzt blieb der Andrang unter den Erwartungen. Dafür nervten sich Fans über einen schlecht funktionierenden Vorverkauf, zu spät verschickte Saisonkarten und lange Wartezeiten an den Eingängen. «Das hat sich zwar verbessert», so Kaspar, «aber die Bürokratie hat wohl endgültig Einzug gehalten im Verein.»
Auch anderswo sorgt die Eintrittspolitik für Ärger: Sowohl in Basel wie in Zürich wurde gegen die nach Meinung der Fans zu hohen Eintrittspreise bei internationalen Spielen protestiert. FCB-Fans hielten gegen Werder Bremen das Transparent «45 Franken für Bremer Stadtmusikanten» hoch, FCZ-Anhänger gegen Legia Warschau eines mit der Aufschrift «50 Stutz für de billigscht Platz * eus platzt jetzt dänn de Chrage». Auch bei Länderspielen wie Schweiz * Frankreich ist es für viele «normale» Fans fast nicht mehr möglich, an Tickets zu kommen, weil ein Grossteil der Kontingente an Funktionäre und Sponsoren verteilt wird. In den Augen der aktiven Fans ein Sakrileg: «Für die ist das Spiel doch ein Event wie Kino oder Oper», sagt Flavio, «für uns aber ist das Fussball.»
Fischer - eine vo ois!