Von Dario Venutti
Wenn es stimmt, dass man den Kern einer Gesellschaft an ihren Rändern erkennt, dann sind Ultras, eingefleischte Fussballfans, Seismografen zeitgenössischer Verwerfungen. Ultras sind häufig kreative Köpfe, die mit Choreografien und Sprechgesängen ihre Identifikation mit dem jeweiligen Verein auf fröhliche Art zum Ausdruck bringen. Ultras wollen auch irritieren und gegen die Forderung nach bürgerlich- gesittetem Benehmen verstossen, indem sie Schmäh- und Hasslieder auf den Gegner und seine Anhänger singen, bengalische Fackeln anzünden oder, einer morbiden Logik folgend, die Eroberung des gegnerischen Raumes durch symbolische Inbrandsetzung seiner Tribünen dokumentieren. Archaisches Verhalten ist im kurzen Zeitfenster eines Fussballspiels ihr Ventil für den Druck, der sich durch die Zwänge der Zivilisation anstaut. In ihrem Berufsund Familienalltag hingegen ordnen sich auch Ultras den dominanten Leitwerten unter, denn sie wollen funktionieren können.
Ort der Krise
Archaisches Verhalten bis hin zu Gewalt an Fussballspielen ist so alt wie der moderne Fussball selber. Deshalb ist die Geschichte des Fussballs auch die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen staatlicher Macht und Zuschauern. Bereits im 19. Jahrhundert wurden Knochenbrüche und Schlägereien registriert, wenn rivalisierende Spieler und Zuschauer der Unterschichten ihre sozialen Konflikte auf dem Fussballplatz austrugen. Meistens war dabei die Polizei involviert. Aus ihrer Sicht ist das Stadion ( und die Zufahrtswege dorthin) ein Ort der Krise. Im Stadion trifft sich die Masse und mit ihr ein potenzieller Gegner geregelter Ordnung. Das Stadion ist ein verletzlicher Ort, weil grosse Menschenansammlungen unberechenbar sind. Die Masse in Schranken zu halten, ist deshalb zu einer wichtigen Polizeiaufgabe geworden: damit das Unerwünschte bei der Ansammlung erregter Menschen sich nicht ereignet.
Mit Ausnahme von Gewalttaten sind archaische Manifestationen bisher geduldet worden. In den letzten Monaten scheint sich hingegen Grundlegendes verändert zu haben: Nicht mehr allein die Kontrolle der Masse ist das Ziel der Repressionsorgane. Die Bemühungen gehen neuerdings in die Richtung, der Forderung nach bürgerlich- gesittetem Verhalten auch im Stadion zum Durchbruch zu verhelfen. Davon zeugt die Verhaftung eines Zürcher Ultras durch die Kopenhagener Polizei und dessen Verurteilung, weil er die Initialen « FCZ » an die Scheibe einer S- Bahn geschrieben hatte. Dänische Polizisten wollten den Ultra daraufhin verhaften und trugen so massgeblich zu einer Eskalation bei, in deren Folge es zu Ausschreitungen gegen die Polizei kam. Dutzende von FCZ- Fans wurden verhaftet, zwei weitere zu ebenfalls unbedingten Strafen verurteilt ( TA vom 5. Oktober).
Auch im Schweizer Eishockey lassen sich Beispiele finden für den hygienischen Anspruch, dem die Verhältnisse in und um Stadien unterworfen werden sollen. Seit kurzem will die Nationalliga die Ächtung des Fluchens durchsetzen. Verbandsmitglieder mischen sich inkognito unter das Publikum und ahnden Ehrverletzungen mit 300 Franken, für die der jeweilige Verein aufkommen muss. Für die Ultras der ZSC Lions bedeutet dies, dass sie auf ihren lieb gewordenen Schmähruf « Sitz, du Sau » , eines ihrer Erkennungsmerkmale, verzichten müssen. Die meisten Medien beobachten die Zunahme der Repression mit Wohlwollen. Sie transportieren oft ausschliesslich die Perspektive der Polizei: Nach der Verhaftungsaktion der Stadtzürcher Polizei gegen Basler Fans im letzten Dezember war fast durchwegs von « Gewalttätern » die Rede. Nach den Vorkommnissen in Kopenhagen konnte man über die Verhaftung von « 115 Hooligans » lesen. Indem Medien Ultras auf diese Weise entmenschlichen, liefern sie den Repressionsorganen eine Legitimationsgrundlage für ihr Handeln: Die Behandlung von Ultras als Menschen zweiter Klasse soll gerechtfertigt erscheinen.
Kein Platz für Randständige
Polizei und Sportfunktionäre begründen die Massnahmen mit dem Bestreben, gewalttätige Fussballanhänger von friedfertigen auszusondern. Doch im Grunde geht es um etwas anderes: Das Vorgehen gegen Ultras spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung, die dadurch geprägt ist, dass das Störende, Dreckige und Abnorme ausgegrenzt wird. In den Innenstädten etwa soll eine Wohlfühl- Atmosphäre geschaffen werden für den Konsum von Kultur, Essen, für Einkaufsbummel, spazierende Familien und Touristen. Randständige wie Bettler, Alkoholiker oder Punks haben da keinen Platz mehr.
Mit Wegweisungsartikeln, wie ihn einige Schweizer Städte kennen und wie er derzeit im Kanton Zürich im Rahmen der Polizeigesetz- Revision diskutiert wird, kann man sich ihrer scheinbar entledigen: Statt die sozialen Probleme und ihre Ursachen zu beheben, geht die Entwicklung in die Richtung, Barrieren zu errichten und Polizisten zwischen sich und die sozialen Probleme zu stellen. Der Ansatz, Randständige durch Resozialisierungsmassnahmen oder Überzeugungsarbeit in die Mitte der Gesellschaft zurückzuführen, ist in Zeiten der Verunsicherung und der Geldknappheit der öffentlichen Hand im Verschwinden begriffen. Man begnügt sich mit der Eindämmung der Probleme.
Die Bemühungen, eine Wohlfühl- Atmosphäre zu schaffen, haben auch die Stadien erfasst. Mit zunehmender Kommerzialisierung des Fussballs verändert sich die Funktion des Stadions: Es ist nicht mehr allein der Ort eines Fussballspiels, sondern ein Konsumtempel, in dem Boutiquen, Restaurants, Bars, Coiffeurläden und Wohnungen eingebaut worden sind. Erhielt die Masse, insbesondere die Ultras, dort früher ihren Ort zugewiesen für archaische Manifestationen, sollen die Zuschauer neuerdings in erster Linie Eintrittszahler sein und die Kulisse für Fernsehbilder darstellen. Schmäh- und Hassgesänge, Provokationen und Primitivismen sind nicht opportun in einem Umfeld, in dem Sponsoren ihre Gäste ins VIP- Zelt einladen und Firmen für Konsumgüter werben. Erwünscht sind « positive Emotionen » .
Entfremdung
Wahrscheinlich wird sich die Situation zwischen Polizei und Ultras in den nächsten Jahren zuspitzen. Im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008, welche die Schweiz zusammen mit Österreich austrägt, werden Kommerzialisierung und, als Reaktion darauf, Entfremdung der Ultras zunehmen. Zu erwarten ist eine fortschreitende Skandalisierung des Problems unter Ausblendung des sozialen Hintergrunds und eine steigende Gewaltbereitschaft Die Prophezeiung, welche Verfechter von Hooligan- Datenbanken und Präventivhaft anstellen, könnte sich selber erfüllen.
Quelle: tagi