Beitragvon Tschik Cajkovski » 02.10.14 @ 10:52
und hier noch ein weiterer bericht über lulu aus der nzz:
Voilà, Lulu
Lucien Favre ist der angesehenste Schweizer Fussballtrainer - die Geschichte eines Bauernsohns in der Bundesliga
Mit Gladbach trifft der 56-Jährige heute Donnerstag in der Europa League (21 Uhr) auf den FCZ. Es ist nach sieben Jahren seine Rückkehr nach Zürich.
Flurin Clalüna
Es ist eine kleine Zirkusnummer, und eigentlich mag er solche eitlen Shows nicht. Aber wenn Lucien Favre möchte, schliesst er die Augen und ist ganz still. So wie andere Menschen Musik hören, hört er dann dem Fussball zu. Allein vom Geräusch, wie ein Fuss auf einen Ball trifft, weiss Favre, ob ein Pass gelingt oder nicht. Ja, solche Dinge kann er, aber er spricht nicht gerne darüber, meistens sind es seine Freunde, die diese Geschichten erzählen. Favre, 56, kann mit seiner charmanten, leicht unbeholfenen Art immer noch etwas schüchtern wirken, fast so wie früher. Dabei ist er nun ein reifer Trainer mit graumelierten Haaren, aber etwas in ihm ist kindlich geblieben. «Wenn ich einen Ball sehe, muss ich mit ihm spielen. So bin ich.»
Manchmal wartet er, bis der Trainingsplatz in Mönchengladbach abgesperrt wird. Dann jongliert er für sich mit einem Fussball, ganz allein, eine halbe Stunde oder noch länger. Wenn er gefragt wird, ob er besser jonglieren könne als einige seiner Spieler, sagt er: «Ja.» Manchmal erschrickt man fast, wie selbstbewusst der zurückhaltende Romand in der Bundesliga geworden ist. Irgendwann hat er angefangen, sich selber gut zu finden und das auch auszusprechen. Es ist erst ein paar Jahre her.
Spiel ohne Fouls
Favre ist der angesehenste Trainer aus der Schweiz und der einzige, dem man etwas fast Genialisches zuschreibt. Früher, Mitte 2000, hat es einmal so etwas wie einen Glaubenskrieg gegeben, wer der bessere Trainer sei: Favre, der frühere FCZ-Coach, oder Christian Gross, der damalige Basler Trainer. Heute weiss man, welcher Fussball visionärer war: Es ist Favres Stil, der schnelle, flache Pass-Fussball, der ohne Fouls auskommen will, vielleicht weil seine Spielerkarriere 1985 von einer brutalen Attacke zerstört worden ist, von Gabet Chapuisat, dem Vater von Stéphane.
Favre sagt: «Ich sage meinen Spielern nie: <Los, gewinnt Zweikämpfe, brecht jemandem ein Bein>. Sorry, das ist nichts für mich.» Favres Knochen wurden zertrümmert, und Bänder rissen. Er spielte noch ein paar Jahre weiter, wurde aber nie mehr derselbe, nie mehr diese wunderbare Nummer 10, die als Aussenverteidiger begonnen hatte, Stürmer und Aussenläufer spielte und am Ende der Karriere Innenverteidiger war - bei Servette, zusammen mit dem Stürmer Karl-Heinz Rummenigge. Favre konnte alle Positionen spielen, «kein Problem». Rummenigge, heute Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, teilte damals das Zimmer mit ihm und sagte einmal: «Favre ist mir fast auf die Nerven gegangen, weil er immer nur über Fussball reden wollte.» Auch Alex Frei, früher Favres Spieler bei Servette und heute Sportchef in Luzern, sagt, der Trainer habe «nervig» sein können. Aber das habe ihn weitergebracht.
Es ist das fast schon Pedantische, das auch Favres Sohn Loïc beschreibt, der sagt, sein Vater sei für ihn fast zu perfektionistisch gewesen. Loïc war Spieler unter Favre Ende der neunziger Jahre in Yverdon. Die Mannschaft nannte man damals «Yverdinho», weil sie so brasilianisch spielte; sein heutiges Team Mönchengladbach hiess auch schon «Borussia Barcelona»; und auch in Zürich spielte Favres Mannschaft aufregend, bloss fiel vor lauter Staunen niemandem ein Name für diesen Stil ein.
Nur bei Hertha Berlin war die Spielweise eher nüchtern, aber das bedeutet eigentlich nur, dass Favre anpassungsfähig ist, denn seine Spieler damals liessen nichts anderes zu. Favre winkt meistens verlegen ab, wenn man ihm sagt, wie die Zeitungen schwärmerisch über den Spielstil seiner Teams schreiben. Aber dann fragt er doch: «Haben die das wirklich geschrieben?» Er versteckt die Eitelkeit recht gut, aber es schmeichelt ihm. Als Kind hatte er auf den Wiesen des Waadtländer Bauerndorfes Saint-Barthélemy immer wie Pelé oder Beckenbauer sein wollen. Als Erwachsener spielte er mit der gleichen Eleganz, fast wie eine Mischung aus den beiden.
Wenn man Favre ein Panini-Bild von früher zeigt, kann er die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, «oh, nein, oh, nein», sagt er dann, vielleicht wegen seiner damaligen Frisur. Vielleicht aber auch, weil er kurz erschrickt, wie lange er nun schon Trainer ist - seit 23 Jahren schon, zuerst in Echallens bei den C-Junioren; eines der Kinder damals war Ludovic Magnin, der spätere Nationalspieler. Favre war nicht einmal der Cheftrainer dieser Kinder-Mannschaft, er war bloss Assistent. Und genaugenommen begann die Trainerkarriere schon vorher, bereits mit 25, Favre war Spieler in Toulouse, als die Mannschaft in einer Art Selbstverwaltung das Training übernahm. Zwei Wochen leitete Favre die Übungen, «und die Mitspieler waren ziemlich zufrieden».
Es ist manchmal seltsam mit Favre: Er hat diese natürliche Eleganz und kann doch unbeholfen wirken; er ist sanft und kann doch unnahbar sein; und er kann jemanden ins Vertrauen ziehen und doch misstrauisch sein. Früher gab es Zeiten, da war er sehr distanziert, auch den Spielern gegenüber, da war es nicht einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten, vielleicht weil er sich unsicher fühlte. Sein Ruf als Zweifler, den er so verabscheut, kommt von daher. Doch für einen Zweifler wird er heute kaum mehr gehalten.
Es gibt ein schönes Charakterbild über ihn, es ist im Buch «Flachpass» beschrieben, und es erzählt davon, wie Favre in Zürich einmal mit einem Geländewagen vorfuhr und wie peinlich ihm das gewesen sei. Vorher hatte er ein kleines japanisches Auto gefahren. Und es gibt die Szene, wie nahe er sich den Leuten gefühlt hatte, die in der Bar im alten Letzigrund gearbeitet hatten. Als Favre Zürich 2007 verliess und nach Berlin ging, schrieben sie ihm per SMS, man werde ihn vermissen. Keine fünf Minuten später kam die Antwort: «Keine Angst, es wird gut weitergehen.» Das sind diese Momente der Nähe, die es mit ihm immer wieder gibt, eine Vertrautheit, die nicht gespielt und die für jemanden wie ihn fast intim ist.
Es ist leicht, Favre auf das Bild eines detailversessenen Trainers festzuschreiben, der im Bus früher immer selber die Storen heruntergelassen haben soll, damit die Spieler nicht von der Sonne geblendet werden und nicht zu heiss haben. So erzählt es ein früherer Präsident, der sagt: «Voilà, so ist Lulu.» Oder man kann über Favre sagen, er sei ein Moralist, weil er einmal als Yverdon-Trainer einverstanden war, einen Spieler nicht zu verpflichten, weil dieser mit dem Auto drei rote Ampeln überfahren hatte. Und natürlich gibt es Favres ruhige Seite, wenn er es in einer Halbzeitpause in der Kabine erst einmal ganz still werden lässt. Kampfparolen mag er nicht, «so etwas kann jeder sagen. Solche Dinge interessieren mich nicht.» Zu seiner Art passen die Spaziergänge, die er so liebt, und die langen Fahrten mit dem Fahrrad. Doch etwas fehlt in diesen Beschreibungen: das Schelmische. Es blitzt immer wieder einmal in ihm auf. Vielleicht muss man hierfür weit zurückgehen, bis nach Saint-Barthélemy, wo Favre aufgewachsen ist, als Sohn eines Bauern, in einem Dorf mit damals 200 Einwohnern, in dem sehr viele Familien Favre hiessen. In der Dorfmannschaft spielten fast nur Favres, «der Goalie, die Verteidiger, der linke Stürmer, die Ersatzspieler - fast alle hiessen so», hat er einmal erzählt. Favre ist gern in der Natur, aber die Landarbeit hat ihm nie wirklich gefallen. Als Kind und Jugendlicher sei er «terrible», schrecklich, gewesen, sagte er. Es sind Geschichten, die man fast nicht glauben kann, wenn man ihn nur als erwachsenen Mann kennt.
Die Tochter des Lehrers
Sein Sohn Loïc erzählt, wie Favre als Schüler einmal während der Stunde einen Motorradhelm aufgesetzt habe, um den Lehrer zu ärgern; Favre selber hat einmal verraten, wie ihm der Vater im Kuhstall eine filterlose Zigarette in den Mund gesteckt hat, damit er endlich ruhig ist. Und wenig später ist er im Wald wieder beim Rauchen erwischt worden, mit der Tochter des Lehrers.
Seine Frau Chantal lernte er als Jugendlicher an einer Chilbi kennen; es wurde ein langer Abend, und am nächsten Tag musste er mit Lausanne im Cup antreten: Favre spielte schlecht. Mit etwa 20 entschied er, sich radikal zu verändern, «jetzt bin ich Profi», sagte er sich, «und ich wurde fast extrem».
Favre gönnt sich heute etwas mehr Erholung als früher. Viel Freizeit nimmt er sich zwar immer noch nicht, aber manchmal fährt er nach Belgien ins Kino; der Film «Intouchables» über die Freundschaft eines Tetraplegikers zu seinem Pfleger hat Favre berührt. Oder er besucht ein Konzert, im letzten Jahr sah er Mark Knopfler, den Gründer der Dire Straits. Aber sonst? Nach dem Spiel in Hamburg wollte er im letzten November seinen Geburtstag feiern, «aber wir haben verloren. Also kann man nicht feiern. So bin ich, sorry.»
"we do these things not because they are easy, but because they are hard" jfk