Beitragvon schwizermeischterfcz » 30.10.21 @ 12:37
Die NZZ hat bei uns vorbeigeschaut
NZZ.ch
Wie FCZ-Ultras die Sicherheitsleute im Letzigrund austricksten und warum die meisten wohl ungeschoren davonkommen
Gewaltbereite FCZ-Chaoten warfen beim Derby Pyrofackeln auf die Zuschauer im GC-Sektor. Das sorgt auch innerhalb der Fankurve für Kritik.
Peter B. Birrer, Nils Pfändler, Florian Schoop
30.10.2021, 05.05 Uhr
Da ist sie wieder, die Fangewalt.
Rund 50 FCZ-Ultras rennen nach dem Zürcher Derby letzten Samstag auf die Tartanbahn des Letzigrunds. Liefern sich einen Nahkampf mit den Securitys des Stadions. Werfen Petarden in den GC-Fansektor. Machen sich nur Minuten später wieder aus dem Staub und verschwinden in der anonymen Masse.
Aus nächster Nähe erlebt ein Vater das Geschehen. Mit seinem Sohn schaut er das Spiel. Vom Familiensektor aus, gleich neben der GC-Fankurve. Nach Abpfiff rennt der 12-Jährige mit anderen Kindern zur Bahn hinunter – in der Hoffnung, mit den GC-Spielern abklatschen zu können. So wie immer.
Von oben sieht der Vater kurz darauf, wie plötzlich mit Helmen und Schlagstöcken ausgerüstete Delta-Securitys aufmarschieren. «Ich dachte: Was wollen die denn bei den Kindern?» Dann bemerkt er, wie die Ultras angerannt kommen. Uniformiert mit weissen Sneakers, blauen Jeans, mit blauen Jacken, Aufschrift «FCZ». Viele tragen Einweghandschuhe. Alle sind vermummt.
Die vordersten peitschen auf die Sicherheitskräfte ein – mit etwas, das aussieht wie schwarze Gürtel. Die Securitys, überrascht vom Angriff, können die Horde nicht aufhalten. Auch nicht, als einige beginnen, mehrere tausend Grad heisse Pyros in den Fansektor von GC zu schleudern.
Nur wenige Meter daneben steht der Sohn des Augenzeugen. Zusammen mit rund 20 Kindern. Anstatt mit ihren Idolen abzuklatschen, müssen sie sehen, wie sich direkt vor ihnen die Gewalt entlädt. Einige rennen zurück auf die Tribüne, springen über die Stühle, immer weiter nach oben. Andere bleiben wie angewurzelt stehen. Der Augenzeuge sagt: «Eltern eilten zur Tartanbahn und brachten ihre Kinder in Sicherheit. Auch ich.»
Dutzende von gewaltbereiten Fans schaffen es, in einem koordinierten Angriff nicht nur Sperrzäune und Sicherheitskräfte in Vollmontur zu überwinden. Ihnen gelingt es auch, wieder davonzukommen.
Eine Woche später findet am Samstagabend mit dem Klassiker gegen den FC Basel bereits das nächste Hochrisikospiel im Letzigrund statt. Die gewaltbereiten Ultras dürften auch wieder im Stadion sein. Sie haben nach der Tat von letzter Woche kaum etwas zu befürchten. Denn trotz riesigem Sicherheitsaufgebot und modernster Überwachungstechnik im Stadion kommen die meisten wohl ungeschoren davon.
In der Schaltzentrale
Bei Fussballspielen steht im Stadion Letzigrund eine halbe Armee von Sicherheitsleuten im Einsatz. Bei einem gewöhnlichen Meisterschaftsspiel sind es rund 130 Personen. Bei einem Hochrisikospiel wie dem Derby oder dem Duell Basel gegen FCZ noch einige Dutzend mehr. Diese Mannschaft besteht aus Securitys, Einlasskontrolleuren und Sanitätern, aber auch Fanverantwortlichen und Sozialarbeitern. Derzeit kommen die Kontrolleure für die Covid-Zertifikate hinzu.
Zuoberst im Stadion, hoch über den Köpfen der Zuschauer, arbeitet das Videoteam in der Sicherheitsloge. Der Raum, ausgerüstet mit zahlreichen Bildschirmen, Armaturen und Servern, gilt als einer der modernsten in den Schweizer Fussballarenen. Hier ist die heimliche Schaltzentrale des Stadions.
Zuschauer und auch Journalistinnen erhalten kaum je Einblicke in die Loge. Gegenüber der NZZ gibt jedoch ein langjähriger Mitarbeiter, der bis vor kurzem regelmässig im Videoteam tätig gewesen ist, Auskunft über die Arbeit. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.
Er sagt, dass sich während der Spiele neben dem Videoteam noch weitere Sicherheitsangestellte in der Loge befänden. Sie überblicken durch eine Glaswand das ganze Stadion, beobachten mit Feldstechern die Zuschauerränge und erteilen per Funk Anweisungen an die Sicherheitskräfte.
Die Mitarbeiter des Videoteams sitzen vor mehreren Monitoren, auf denen sie die Bilder von je zwölf Kameras überwachen. Die meisten sind am Dach des Stadions befestigt und lassen sich mit Joysticks von der Sicherheitsloge aus steuern.
Entsteht Unruhe auf den Rängen, müssen die Mitarbeiter innert Sekunden entscheiden, auf welchen Fan sie sich fokussieren. Ziel ist, ein lückenloses Video aufzuzeichnen, mit dem Ermittler fehlbare Personen eindeutig identifizieren können.
Keine einfache Aufgabe. Denn die hochauflösenden Digitalkameras können zwar so nahe an die Personen heranzoomen, dass Gesichter problemlos erkennbar sind. In den meisten Fällen haben sich die Täter aber vermummt, und manchmal verhindert der Rauch von Petarden eine freie Sicht auf die Zuschauerränge.
«Es gibt immer solche, die sich ertappen lassen», sagt der ehemalige Mitarbeiter. Viele tauchten aber unerkannt in der Menschenmasse unter.
Ausgetrickst
Die Sicherheitsvorkehrungen im Stadion sind aufwendig, personalintensiv – und teuer. Allein die externen Sicherheitsfirmen kosten bei einem Hochrisikospiel 50 000 bis 60 000 Franken. Bei einem Derby kommen rund 250 000 Franken an Polizeikosten hinzu. Diese Summen nannten die Sicherheitsverantwortlichen der beiden Zürcher Klubs im Rahmen einer Stadionführung für Journalisten im September 2019.
Anhand von Videoaufnahmen und Aussagen von Personen im Stadion haben wir rekonstruiert, wie die 50 gewaltbereiten Ultras am letzten Samstag alle Sicherheitsvorkehrungen austricksten.
Kurz vor Spielende verliessen sie die Südkurve und versammelten sich in einer Toilette. Dort, am einzigen Ort im Stadion, an dem es keine Kameras gibt, vermummten sie sich. Im Schutz der Masse und der einheitlichen Uniform verliessen sie das Stadion, um es kurze Zeit später durch einen anderen Eingang wieder zu betreten.
Die Ultras nutzten den Moment, als die Tausende von Zuschauern nach dem Schlusspfiff durch die offenen Tore aus der Arena strömten. Sie betraten das Stadion durch den Familiensektor. Dort, wo keine Absperrung die Tribüne vom Spielfeld trennt, gelangten sie auf die Rennbahn. Augenblicke später flogen die Fackeln.
Die Identifikation der Täter dürfte trotz allen Vorkehrungen schwierig werden. Alle waren vermummt, alle hatten die gleiche Kleidung an. Zusätzlich lag der Rauch der Petarden in der Luft. Der ehemalige Mitarbeiter des Videoteams sagt: «Je mehr Chaoten es sind, desto schwieriger wird die Aufklärung.» Seine ehemaligen Kollegen müssten wohl auf einen «Glücksfund» hoffen.
Wird einer der Ultras tatsächlich gefasst, droht eine harte Strafe. Vor neun Jahren verurteilte das Bezirksgericht Zürich einen FCZ-Anhänger zu einer Busse und einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Bei der sogenannten «Schande von Zürich» im Jahr 2011 hatte er sich geprügelt und ebenfalls eine Fackel in den gegnerischen Fansektor geworfen.
Mit Sicherheit bestraft wird der FCZ. Derzeit läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Verein. Der Stadtklub muss mit einer Busse, der Schliessung eines Sektors oder einem Geisterspiel rechnen.
Die Grasshoppers wiederum kündigten am Freitag an, das Sicherheitskonzept für Hochrisikospiele zu verbessern. Die Klubleitung forderte die eigenen Fans nachdrücklich auf, nicht auf die Vorfälle zu reagieren, sondern mit positivem Beispiel voranzugehen.
«Wir sind wieder der Arschloch-Klub Nummer 1»
Die FCZ-Südkurve empfing die Täter beim Derby mit Applaus in ihren Reihen und gewährte ihnen Schutz vor den Augen der Securitys und den Linsen des Videoteams. Doch die gefährliche Aktion weckte auch in Fankreisen Kritik. Im FCZ-Forum, wo online über Spiele, Transfers und Gerüchte diskutiert wird, entbrannte in den Tagen nach dem Spiel eine hitzige Diskussion.
«Das hätte nie passieren dürfen», schreibt ein User und zieht ein ernüchtertes Fazit: «Wir sind wieder der Arschloch-Klub Nummer 1 in der Schweiz.» Manche hoffen darauf, dass andere FCZ-Anhänger die Täter zur Rechenschaft ziehen werden. «Wer weiss, was das intern für Konsequenzen haben wird», schreibt einer. «Wir können nur hoffen, dass die Kurve sich im Spiel gegen Basel eine angemessene Entschuldigung ausdenkt», meint ein anderer.
Viele fürchten, dass nun alle Fans die Folgen tragen müssen. «Die grossen Gruppierungen, die mit Leib und Seele dabei sind, haben sehr viel dafür getan, dass es keine weiteren Repressionen gibt», schreibt ein Fan. «Denen wurde durch diese feige und gefährliche Aktion jetzt ein dicker Strich durch die Rechnung gemacht.»
Die Sorge ist begründet. Am Donnerstag kommunizierte die Swiss Football League, dass sie eine Schliessung der Gästesektoren prüfe. Gestraft wären damit nicht nur die Übeltäter, sondern auch Tausende von friedlichen Fans. Allerdings hätte die Massnahme verhältnismässig geringe Folgen, weil nur Klubs wie der FC Basel, YB oder der FC Zürich von viel Volk begleitet werden.
Der FC Lugano oder der FC Lausanne-Sport sind dagegen um jede Person froh, die mit ihnen durch die Schweiz tourt. Zudem ist die Rechnung für die Veranstalter ökonomisch erstaunlich simpel: Wegen der Sicherheitsvorkehrungen kosten Gästefans in vielen Fällen mehr, als sie einbringen. Zudem müssten die SBB hinterher keine Extrazüge sanieren und die Polizei keine Fantransporte begleiten. Erst am letzten Sonntag, am Tag nach dem Zürcher Derby, kam es im Bahnhof Luzern zu einem Polizeieinsatz vor der Abfahrt des St. Galler Sonderzugs.
Skeptisch gegenüber Massnahmen
Ein anderes Mittel wären personalisierte Tickets, wie sie in Italien, England oder Belgien zum Einsatz kommen. Doch bei diesem Thema herrscht in der Schweiz selbst in der Führungsspitze der Liga «Skepsis», wie der Liga-CEO Claudius Schäfer gegenüber dem Westschweizer Radio sagte. Im FC Sion ist der Versuch mit personalisierten Billetten und dem geschlossenen Gästesektor nach drei Monaten krachend gescheitert.
Das hat drei Ursachen: Erstens zog kein anderer Klub mit. Das Thema müsste Liga-übergreifend geprüft werden. Zweitens verlor der FC Sion nicht nur eingefleischte Anhänger aus der Fankurve, sondern auch gewöhnliche Zuschauer. Und drittens machten Fans, die nicht ins Stadion kamen, einfach ausserhalb davon auf sich aufmerksam, mit Gejohle, aber auch mit Petarden.
Ein Grund für die lasche Vorgehensweise in der Schweiz ist das Faktum, dass wegbrechende Teile des Publikums nicht einfach ersetzt werden können. Der generelle Publikumszuspruch ist letztlich zu gering und die Klubkasse zu klamm. Abgesehen davon schaffen die Fankurven Atmosphäre in Stadien, die hierzulande selten gefüllt sind. Ein Letzigrund-Spiel ohne die Südkurve wäre eine ziemlich triste Veranstaltung.
Im Wallis ruderte denn auch die Klubführung zurück, nicht die Politik. Der für den Sport und die Sicherheit zuständige Staatsrat Frédéric Favre (fdp.) sagt, dass die Massnahme mit den personalisierten Tickets operationell funktioniert habe, aber im Alleingang nicht durchzusetzen sei.
Man betone immer wieder, dass der gewaltbereite Teil des Publikums klein sei, sagt Favre, «aber es kann doch nicht sein, dass personalisierte Tickets viele friedliche Fans vom Stadionbesuch abhalten – mit der Konsequenz, dass sich die Gewaltbereiten das Recht herausnehmen, andere Personen in Gefahr zu bringen».
Der Politiker ortet zwei Problempunkte: «Die Gruppendynamik und die Anonymität in der Kurve.» Dazu bieten die Bilder des Zürcher Derbys Anschauungsunterricht. Die Randalierer springen nach der Tat wieder in die sie deckende Südkurve zurück. Dort ist der sichere Hafen
Dijbril Sow: „Steven Zuber spielt auch mit mir in Frankfurt, aber der ist ein Hopper, das machts etwas schwierig“