Beitragvon Robin » 02.06.16 @ 8:59
Die unheimliche Macht der Kurve
Die Fankurve des FC Zürich gebärdet sich zunehmend als Machtorgan des Vereins, vor dem Spieler und Klubverantwortliche kuschen. Von ungefähr kommt dieses Gehabe allerdings nicht.
Die Szene könnte aus einem Mittelalter-Schwank stammen, in dem devote Bauern einem reizbaren Vogt den Zehnten abzuliefern haben: Die FCZ-Spieler Alain Nef und Gilles Yapi schleichen zur Fankurve des FC Zürich, bieten dort einen Silberpokal dar und trollen sich wie geschlagene Hunde. Ihre Herren in der Südkurve nehmen das Geschenk ohne grosse Regung zur Kenntnis, wer übermässig jubelt, erntet böse Blicke. Dabei hat die Mannschaft soeben den Schweizer Cup-Final gewonnen.
Was in den letzten Tagen rund um den FCZ geschehen ist, sagt viel aus über das Selbstverständnis gewisser Zürcher Fussballfans – und über die Macht, die sie inzwischen über Spieler und Klubführung ausüben. Der bizarre Cup-Final war dabei nur der Höhepunkt einer langen Serie von einschlägigen Demonstrationen. Bereits als der FCZ vor einem Jahr mit 1:5 gegen den FC Basel unterging, nötigten einige Ultras die Mannschaft dazu, ihre Trikots abzugeben, als Strafe für die beschämende Leistung. Und als sich der Abstieg in den letzten Wochen immer mehr abzeichnete, mussten sich die Spieler von ihren Anhängern belehren und zusammenstauchen lassen wie Schulbuben, wobei ihnen kaum verhohlen mit Gewalt gedroht wurde. All das nahmen sie kleinlaut hin.
FCZ-Präsident Ancillo Canepa, ohne dessen Millionen in den letzten Jahren nicht viel gelaufen wäre, bekam derweil von allen Seiten zu hören, dass er an allem schuld sei und künftig besser die Finger von sportlichen Angelegenheiten lasse. Sonst, so wurde ihm am Cup-Final per Plakat mitgeteilt, werde man ihm diese Finger eben verbrennen. Was passiert wäre, wenn der FCZ auch noch den Cup verloren hätte, bleibt offen. Die Erleichterung darüber, dass die verletzten Gefühle der Fans nicht noch mehr strapaziert wurden, war jedenfalls mehr als deutlich spürbar.
Die verklärten Lieblinge der urbanen Schickeria
Wie kann ein Teil der Fan-Szene ein derartiges Selbstverständnis entwickeln und ein derartiges Gewicht erhalten? Sicher ist: Die Südkurve ist zwar bis heute kein geschlossener Block, sondern ein heterogenes Gebilde, in dem sich verschiedene Gruppierungen tummeln, die sich in Ausnahmesituationen wie dem Cup-Final auch einmal mit anderen Fans prügeln. Aber sie ist in den letzten Jahren militanter und verbissener geworden, auch weil sich der FCZ vom belächelten Verlierer-Klub zum ambitionierten und erfolgreichen Fussballverein entwickelt hat. So wurde er nicht nur zum Magneten für Hipster und Modefans, sondern auch für Jugendliche, die sportlichen Misserfolg als persönliche Beleidigung und Gewalt und Drohung als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Bedürfnisse betrachten (ein kleiner Teil der Szene mischt zudem immer wieder bei linksextremen Gewaltausbrüchen und Angriffen auf Polizisten mit).
Wie die jüngsten Ereignisse zeigen, sind Fankurve, Klubführung und Spieler offensichtlich nicht wirklich gewillt, sich konsequent von gewalttätigen Gruppierungen zu distanzieren. Vielmehr wird diesen mit devoten Gesten gezeigt, dass man sie als Herren und Richter akzeptiert. Diese duldsame Haltung ist insofern nachvollziehbar, als die hiesigen Klubs nicht wählen können, wen sie gerne im Stadion hätten und wen lieber nicht, zumal das Zuschauerpotenzial im Gegensatz zu Ländern wie England beschränkt ist. Obendrein wäre die Stimmung in den Stadien ohne die Ultras etwa so prickelnd wie in einem reformierten Gottesdienst. Dass das Problem nicht ganz einfach zu lösen ist, zeigt das Beispiel Basel: Dort glaubte man, die gewalttätige Fraktion durch intensive Fanarbeit in den Griff bekommen zu haben – bis sich eine Gruppe Vermummter Anfang April mit einer brutalen Attacke auf Polizisten in Szene setzte. Bei der Zürcher Polizei sind junge Gewalttäter in den Fankurven ein Dauerthema. Der Tenor unter den Einsatzkräften ist klar: Weil die Täter kaum ernsthafte Konsequenzen zu befürchten hätten, entwickelten sie ein besonderes Machtgefühl, das sich in noch mehr Beschimpfungen, Steinwürfen und körperlichen Attacken manifestiere. Dass der Klub zu diesen meist vermummten Anhängern überhaupt noch einen Draht hat, darf bezweifelt werden. Fest steht: Gelingt es nicht, die Entfremdung zwischen Fans und Klub, aber auch zwischen den Fangruppen selber zu entschärfen, droht ein Aderlass von gemässigten und alteingesessenen Zuschauern. Denn dort haben die bizarren Machtdemonstrationen zu einer Art Götzendämmerung in Sachen Südkurve geführt. «Wir wurden selbstgefällig und überheblich», ist in Facebook-Postings zu lesen, oder: «Statt der Liebe zum Verein, die ihr immer besingt, geht es euch letztlich nur um euch selbst und eure beleidigten Gefühle.» Andere klagen darüber, dass der früher typische Hang zur Selbstironie verloren gegangen sei.
Solche Einsichten kommen allerdings reichlich spät. Denn die Südkurve gebärdet sich schon lange als selbstherrliche Diva. Schliesslich wird den Fans von Journalisten, Politikern und Kulturschaffenden seit Jahren versichert, dass sie die Speerspitze des urbanen, kreativen und progressiven Zürich seien, an dessen Wesen bekanntlich das ganze Land genesen soll. Begründet wurde dieser Hype in den 1990er Jahren, als es unter Secondos, Studenten und Antikapitalisten aller Art plötzlich chic wurde, sich die Niederlagen des ehemaligen Stumpenraucher- und Goldketteli-Vereins anzusehen. So wurde der FCZ zur idealen Projektionsfläche des rot-grünen Zürich.
«Mich erinnert die Südkurve stark an die Jugendbewegung der Achtzigerjahre», schreibt etwa Michael Lütscher, Autor des Buches «FCZ – Eine Stadt, ein Verein, eine Geschichte», «in ihrer ganzen Kreativität und Leidenschaftlichkeit, in ihrer Ablehnung von Kommerz, Establishment und Polizei und ihrer Neigung zur Gewalt.» Andere schreiben der Südkurve das Verdienst zu, sie habe den Fussballfan an sich vom traurigen Ruf des dumpf-spiessigen Reaktionärs befreit; und der «Tages-Anzeiger» verstieg sich kürzlich gar zur These, dass sich die Stadt Zürich und der FCZ seit den 1990er Jahren in einem «geisterhaften Synchrontanz» nach oben geschraubt hätten.
Wer will es da gewissen Fans verübeln, dass sie sich für enorm wichtig halten? Obwohl sich Medien und Politiker regelmässig über Petarden- und Steinewerfer empören, gehört es in der Stadt immer noch zum guten Ton, den FC Zürich und die Südkurve gut zu finden, genauso wie man für Urban Gardening, gegen die Macht der Banken oder die Gentrifizierung ist. Ein Bekenntnis zum FCZ und ein Platz in der Südkurve sind gerade für Zugewanderte aus Bütschwil (SG) oder Baden (AG) ein beliebter Beweis dafür, wie urban man doch schon immer gewesen sei.
Und wo bleibt der arrogante Bonzen-Klub?
Stadtrivale GC dagegen, der schon immer vom Anspruch lebte, die Nummer eins zu sein, ist mangels grösserer Erfolge und angesichts des Hypes um den angeblich einzigen «Stadtklub» (dass der FCZ in den Medien derart tituliert wird, ist bezeichnend) ins Abseits geraten. Obwohl das Image des gepflegt arroganten Bonzen-Klubs im politisch korrekten Zürich viel subversives Potenzial hätte, setzt die Klubleitung lieber auf austauschbare, gmögige Volkstümlichkeit. Schlimmer noch: GC muss seit dem Abbruch des Hardturms im mässig fussballtauglichen Stadion des FCZ spielen, und die GC-Fan-Szene wird von ähnlich humorlosen Ultras dominiert wie diejenige des Stadtrivalen. Die Zeiten sind hart für Zürcher Fussballfans.
Quelle: NZZ 2.6.2016