Beitragvon peden » 05.11.08 @ 12:47
Schattenmänner im Stadion
Sie infiltrieren das Wettsystem, kontrollieren Fanblöcke, rekrutieren Ultras als Prügelknaben - und legen einem Sportdirektor schon mal einen Ziegenkopf vor die Tür. Mafiosi verdienen an Italiens Fußball Unsummen. Entdeckt werden ihre Geschäfte selten: dank immer subtilerer Methoden.Zementblöcke versperren die Straßen. Flammen lodern aus einem umgestürzten Omnibus. Junge Männer werfen Steine auf Löschfahrzeuge. Sie haben ihre Gesichter in die hellblauen Fanschals des SSC Neapel gehüllt.
Ihre Kumpane bedrohen Kameramänner internationaler Fernsehstationen. Sie wollen die Aufnahme von Bildern verhindern, die später zur Identifizierung führen könnten.Die jungen Männer sind geübt in Randale. Sie gehören den härtesten Ultra-Gruppierungen in Neapel an, den "Teste Matte" (verrückte Köpfe) und den "Niss" - das steht für "Niente incontri, solo scontri", auf Deutsch etwa: "nie zusammentreffen, stets zusammenschlagen". Der Name ist Programm.
Die Hooligans inszenieren ihre Schlacht nicht am Rand eines Fußballstadions oder auf der Ab- und Anreise zu einem Spiel, wie man es sonst kennt - sondern in Wurfweite zu einer historischen Müllhalde im Hügelland vor Neapel. Sie sind von Männern engagiert, die eigene politische und ökonomische Interessen verfolgen. Die Ultras, gewöhnlich stolz auf ihre Unabhängigkeit, sind als Legionäre in Aktion.
Als Infanterie der Camorra.
Die Müllhalden-Randale werden inzwischen vom profilierten Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ardituro untersucht, der im elften Stockwerk des Justizpalastes von Neapel sitzt - und die Ermittlungen deuten klar darauf hin, dass sich die organisierte Kriminalität in Italien zusehends mit dem schönen bunten Fußballspektakel vermengt."Die Camorra interessiert sich für alles, was ökonomischen Profit verspricht", sagt Ardituro. Natürlich auch für Fußball.
Die Verbindung ist nicht mehr so offensichtlich wie in den achtziger Jahren, zu Zeiten des Diego Maradona. Mit dem argentinischen Dribbelwunder sollen sich seinerzeit die Ehrenwerten des Giuliano-Clans geschmückt haben - als Beleg wird stets ein Foto von 1986 herangezogen, das Maradona in der Muschelbadewanne Seite an Seite mit zwei der sechs damals recht einflussreichen Giuliano-Brüder zeigt.
Gute Margen im Wettgeschäft
Die Camorra war in jenen Jahren so mächtig, dass sie angeblich sogar Spiele verschob. So soll sie in der Saison nach dem Titel 1987 den favorisierten SSC Neapel gegen Ende der italienischen Meisterschaft verlieren lassen haben, um große Wettgewinne einzustreichen. Die Paten hatten gegen den heimischen Club gesetzt. Staatsanwalt Ardituro hält die Gerüchte nicht für aus der Luft gegriffen, sagt aber: "Wir haben keine Beweise, die diese Vermutung unterstützen könnten."
Im Wettgeschäft ist die Camorra noch heute aktiv. Sie organisiert nicht mehr die illegalen Wetten wie vor 20 Jahren, sie soll aber inzwischen das Management staatlich lizenzierter Wettbüros in die Hand genommen haben.
"Die Camorra leitet über Strohmänner viele der SNAI-Büros in der Stadt. Das Wettgeschäft ist eine ideale Möglichkeit für die Geldwäsche", sagt Ardituro. Auch der illegale Tickethandel war fester Bestandteil der Business-Aktivitäten der Clans - bis zum Verbot der Ausgabe von Gratiskarten an Fanclubs, das nach den tödlichen Ausschreitungen in Catania im Februar 2007 erlassen wurde.
Die Karten, die in Hunderterpacks an die Camorra abgegeben wurden, wurden auf offener Straße weiterverkauft. "Aber die neue Vereinsführung unter Präsident de Laurentiis hat das nach unseren Erkenntnissen wirksam unterbunden", sagt Ardituro.
"Wohin gehen diese Ehrenkarten?"
In Palermo, einer historischen Hochburg der sizilianischen Cosa Nostra, haben es die lokalen Unterweltgrößen selbst in dieser Saison noch per Freikarten ins Stadion geschafft. "Ich habe mich immer gefragt, wohin diese 300 bis 400 Ehrenkarten pro Heimspiel gehen", sagte Vereinspräsident Zamparini, ein über den mafiösen Verdacht erhabener Unternehmer aus Norditalien. Seit Ende September weiß er es. Mindestens hundert gingen an die Mafiafamilie Lo Piccolo, die diese Tickets an andere Clans verteilte. Das hatte ein geständiger Mafioso der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft von Palermo erzählt.
Salvatore Lo Piccolo war Herr der Cosa Nostra in Palermo in der Zeit zwischen der Verhaftung des obersten Paten Bernardo Provenzano im April 2006 und seiner eigenen im November 2007. Er hatte auch auf das Stadionprojekt und einen Supermarkt, den Vereinspräsident Zamparini plant, Einfluss nehmen wollen. Als seine Mittelsmänner fungierten ausgerechnet sein Anwalt Marcello Trapani und der frühere Chef der Nachwuchsabteilung des Clubs, Giovanni Pecoraro.
2. Teil: Patronen an die Geschäftsstelle - Mafiarituale auch im Norden
Trapani und Pecoraro sollen laut der Staatsanwaltschaft Palermo über eine gemeinsame Firma außerdem Gelder des Lo Piccolo-Clans beim Umbau des Adriahafens von Chioggia gewaschen haben. Sie sind seit Ende September in Untersuchungshaft. Daher müssen sie momentan ihre Tätigkeit als Spielervermittler ruhen lassen. Die beiden mutmaßlichen Mafia-Unterstützer dienen sich vor allem den Familien von erfolgversprechenden Nachwuchsspielern an. Derzeit wird ermittelt, ob sie Druck auf Trainer und Sportdirektor ausgeübt hatten, ihre Kader zu bevorzugen. Der abgetrennte Kopf einer Ziege war Weihnachten 2006 vor dem Haus des damaligen Sportdirektors von Palermo, Rino Foschi, abgelegt worden. Auch wenn Urheberschaft und genaue Intention noch nicht geklärt sind - der abgelegte Tierkopf ist ein typisches Drohsignal der Mafia.
Auch im Fußball Norditaliens sind solche Rituale nicht unbekannt. Mailänder Ultras versenden gern Drohbriefe mit Pistolenkugeln an die Geschäftsstellen ihrer Clubs. Doch hier handelt es sich um bizarre Folklore. "Die Ultras ahmen die Gesten der Mafia nach, mehr nicht", sagt Camorra-Jäger Ardituro.Seines Wissens nach ist der gescheiterte Versuch der Camorra, im Jahre 2006 den börsennotierten Verein Lazio Rom zu übernehmen, die einzige nennenswerte Aktivität außerhalb der angestammten Regionen.
Doch korrupt zu sein schafft der Norden auch ohne Mafia. Bestes Beispiel ist die weitverzweigte Bestechungsmaschinerie, die der Juve-Manager Luciano Moggi aufgebaut hatte. Moggi lernte sein Geschäft pikanterweise im Neapel der Maradona-Jahre.
Im Stadion San Paolo, in dem der SSC seine Heimspiele austrägt, ist die Camorra noch immer präsent. "In der Curva A herrscht das Gesetz der Camorra", bekannte im vergangenen Jahr ein Aussteiger aus dem Familienclan der Misso. Der junge Mann, er hört auf den Namen Emiliano Zapata Misso, war bei Heim- wie Auswärtsspielen in der Fankurve anwesend. Er berichtete den Ermittlern, dass die Camorra-Clans bestimmen, an welchem Platz im Stadion die Fanclubs Aufstellung nehmen dürfen.
Polizeichef Antonino Puglisi erzählt im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE von der Odyssee des Fanclubs Masseria Cardone. "Sie waren in der Curva A nicht mehr geduldet. Der Mafiaclan aus dem Stadtviertel Sanitá, die Misso, hatte ihnen den Zutritt verwehrt. Ein Jahr lang schauten sie den Spielen von der Seitentribüne zu, bis sie Aufnahme in der Curva B fanden. Und auch das erst, nachdem die dort herrschenden Familien die Zustimmung gegeben hatten." Zu Gute kommt der Camorra die lokale Gliederung der Fanclubs. Jede Ultra-Gruppierung hat ihr eigenes Einzugsgebiet. Und das ist meist identisch mit dem Herrschaftsbereich eines Clans.
Den Höhepunkt der Synergie zwischen Camorra und Hooligans hat Neapel in diesem Januar erlebt. Da schickte der Capo der Niss seine Männer für Bauunternehmer ins Feuer, die wegen der Wiedereröffnung der Müllkippe einen Wertverlust ihrer – meist illegal errichteten – Immobilien befürchteten. Praktischerweise hat der Anführer der Hooligans in dieser Gegend selbst mit dem Eigenheimbau begonnen.
Der Einfluss der verschiedenen Mafia-Organisationen auf den Fußball wirkt lächerlich klein und unspektakulär. Er ist allerdings so feingesponnen und alltäglich, wie der Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Verwaltung generell.
Diese Art der Durchdringung machte schon nach Ansicht des 1992 ermordeten Mafia-Jägers Giovanni Falcone die Qualität der mafiösen Strukturen aus. Nur gelegentlich kommen diese Aktivitäten ans Licht.
Dann erschrickt, wie überall, auch die Welt des Fußballs.
Wenn das nächste Spiel angepfiffen wird, ist aber schon wieder vergessen, welcher Spieler von der Mafia protegiert wird, welche Einnahmen sie mit Wetten und Ticketverkauf erzielt - und wer eigentlich Chef im Stadion ist.
Q: spiegel.de