Ausweg aus der Paranoia

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Der Grieche
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Ausweg aus der Paranoia

Beitragvon Der Grieche » 14.02.07 @ 1:31

Unsere Lieblingsabendzeitung „heute“, welche einem mittlerweile nachgeworfen wird, wenn man nach verrichtetem Tagewerk in aller Ruhe nach Hause fahren will, titelt in ihrer heutigen Ausgabe: „In der Fussball-Szene wird im Moment mehr über Sicherheitsthemen als über Tore diskutiert (…) Nach den Vorfällen vom letzten Weekend in der Schweiz schliesst Liga-Präsident Peter Stadelmann Geisterspiele oder gar die Einstellung des Spielbetriebs nicht aus, wenn die Gewaltorgie nicht gestoppt werden kann“. Mit Gewaltorgie wird wohl unsere Pyroshow, diejenige von GC und anderer Vereine, sowie auch der Wurf eines Gegenstandes aus dem YB-Fanblock gemeint sein. Natürlich hat „heute“ auch seine Online-User (gibt es das wirklich?) dazu befragt und herausgefunden, dass 52% von ihnen einer Einstellung des Spielbetriebs zustimmen, wenn diese Gewaltausbrüche nicht aufhören. Zur Visualisierung dieser Gewaltexzesse ist unten noch ein Bildchen vom letzten Derby abgedruckt, das die GC-Fans beim Abbrennen von 2-3 Fackeln zeigt.
In der Folge wird auch Leipzigs Chef der Polizeigewerkschaft zitiert, der nach den tragischen Vorfällen von Leipzig schwarz sieht: „Wenn Fussball zur Tarnung von Mordlust wird, ist dieser Sport bald am Ende“. Diese Aussage unterschreibe ich gerne sofort. Was ich allerdings empörend finde, ist, dass in einem Zeitungsartikel die verletzten Polizisten in Leipzig in einen Kontext mit den Pyroshows vom letzten Wochenende gesetzt werden. In einem einzigen kurzen Zeitungsartikel wird ein Begriff wie Mordlust, welcher sich auf den Polizistenmord in Catania, wie auch auf die Hooliganattacke in Leipzig bezieht, auf die Schweizer Fussballkultur projiziert, als ob man den sozialen Hintergrund Siziliens und Ostdeutschlands, der solche Taten gedeihen lässt, direkt auf die Schweizer Realität beziehen könnte. Und anstatt dass die Schweizer Fussballliga, die Axpo und alle Klubpräsidenten „heute“ verklagen auf üble Nachrede gegenüber des Produktes „Axpo Super League“, fordert Herr Stadelmann die Klubs auf, die Repressionen gegenüber dem Kunden dieses Produktes zu verschärfen. Eine solche Denkweise kann nur als paranoid bezeichnet werden. Doch leider ist Herr Stadelmann da nicht alleine. Wenn das Unwort „Hooligan“ fällt, das heutzutage als Synonym für jeden Zuschauer verwendet wird, der sich nicht wie ein Operngast verhält, ist die Politik bereit jegliche Massnahme und Gesetzesänderung auch wider die Freiheitsrechte der Bürger zu genehmigen, um diesem Monster vermeintlich Einhalt zu gewähren.
Zu meiner aktiveren Zeit (einige Jahre her) nahm ich gelegentlich an Sitzungen der UFO teil, der unabhängigen Fan-Organisation. Die UFO sah sich als Lobbying-Organisation an, welche die Interessen der Fussballfans gegenüber dem SFV und sonstigen Organen/Medien vertrat. An einer solchen Sitzung war auch Herr Helbling vertreten, der damals die Bewerbung der Schweiz und Österreichs für die Euro 08 begleitete. Aus irgendeinem Grund wollte er uns die Sicherheitsmassnahmen präsentieren, welche das Bewerbungsdossier beinhaltete. Die darin vorgetragenen Punkte könnt ihr euch gut vorstellen. Zu 90% waren sie repressiver, also polizeilicher Natur: Hooligandatenbank, Gefängniszellen in Stadien, Instant-Gerichtsverfahren, Rayonverbote usw. Die restlichen 10% waren alternative Massnahmen wie Fanbotschaften und Konzerte in den Innenstädten. Unseren Einwand, dass wir nicht verstehen weshalb alle Matchbesucher als potentielle Kriminelle vorverurteilt werden, wollte er nicht verstehen. Wir haben demzufolge auch nichts mehr von ihm gehört. Er scheint aber mit seinem Ruf als harter Hund in der Folge eine steile Karriere gemacht zu haben bis zum letzten Sommer, wo er mit seinen lächerlichen Massnahmen betreffend des Kartenverkaufs bei Auswärtsspielen scheiterte. Zum ersten Mal bekamen der SFV und die Liga zu spüren, dass die treusten Kunden sich nicht aufgrund eines einseitigen Kollektivverdachts kriminalisieren und registrieren lassen wollen, nur um den Spielen ihres Lieblingsvereins beizuwohnen.
Bevor ich nun aber zu meinem Schlussplädoyer ansetzen werde, noch folgendes für die Ordnungsfanatiker unter euch: Ich bin gegen Schlägereien und Vandalismus in und um Stadien. Ich bin gegen das Werfen von Gegenständen irgendwelcher Art auf das Spielfeld wie auch in Zuschauerränge. Ich bin gegen Rassismus und Sexismus im Fussball. Ich bin gegen die Gefährdung harmloser Zuschauer durch Überreaktionen inkl. Tränengas- und Gummigeschossattacken einer überforderten Polizei. Ich bin gegen kollektive Verdächtigung und Bestrafung von Fangruppierungen und ganzer sozialer und kulturellen Gruppen (siehe K4, Prolls, Altstetten, Fotobus im Letzi). Ich bin für optischen und akustischen Support der Mannschaft, was das kontrollierte Abbrennen von pyrotechnischem Material beinhaltet. Ich glaube an die integrative und regulierende Kraft der Kurve (organisierte und nicht organisierte Fans gemeinsam). Mit einseitigen Schnellschüssen, blanker Repression und ohne Einbezug der Fans lässt sich nichts erreichen. Die soeben erwähnten Probleme lassen sich ohne Anhörung und ohne Unterstützung der aktiven Fans nicht lösen. Verehrter Herr Stadelmann, lieber Verwaltungsrat, sie können noch soviel die Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen fordern und die Fans kollektiv strafen mit was für Massnahmen ihnen auch noch so in den Sinn kommen werden. Indem sie die korrekten, kreativen und leidenschaftlichen Anhänger in einen Topf mit Kriminellen werfen, helfen sie der Kurve in keinster Weise, ihre regulierende Arbeit zu verrichten. Im Gegenteil, sie werfen uns noch mehr Steine in den Weg.
Zuletzt geändert von Der Grieche am 14.02.07 @ 7:31, insgesamt 1-mal geändert.


FC Tsüri

Beitragvon FC Tsüri » 14.02.07 @ 3:10

da meld ich mich doch glatt zurueck aus der versenkung...

weltklasse grieche! wiedermal ein erstklassiger text von dir. ausgezeichnet und perfekt ergreifst du die vorliegende problematik und schilderst allen verstaendlich und differenziert die aktuelle lage. ich wuesste nicht wie man treffender analysieren koennte. herzlichen dank!

sfv, sicherheitsverantwortliche und unser verwaltungsrat sollten sich diese gedanken (nicht nur jene in diesen zeilen, sondern auch die gespraeche zwischen vereinen und kurven) zu herzen nehmen.

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Demokrit
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Beitragvon Demokrit » 14.02.07 @ 7:26

merci für deine sicht der dinge.
in meinem umfeld ist nicht mehr osama die achse des bösen, sondern hooligans, also jeder fussballmatchbesucher der verbal und gestikulierend sein team unterstützt.
macht spass!
Die Kritik an anderen hat noch keinem die eigene Leistung erspart. Noël Coward, britischer Dramatiker (1899 - 1973)

cucinotta
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Beitragvon cucinotta » 14.02.07 @ 8:43

Endlich mal wieder ein Posting mit Substanz, danke Grieche. Die vielen Sinnlos-Posts hier drin lassen ja leider auch auf den "Erfolg sei dank" hohen Prozentsatz an "hey ich bin im Fall jetzt auch ein ganz krasser FCZ-Fan" schliessen...

Was momentan läuft ist eine unheilige Allianz von Interessengruppen die sich gegen ein gemeinsames Feindbild, den bösen gemeinen Fussballanhänger - zur Vereinfachung gerne Hooligan oder Ultra genannt -profilieren können. Das Statement von SFL-Präsident Stadelmann im Tagi von gestern "wenn die bösen Fans nicht sofort mit dem Abbrennen von Pyro und anderen Gewaltexzessen aufhören, wird die Politik den Spitzenfussball verbieten" ist das absolut lächerlichste was ich seit Jahren von einem Funktionär gehört habe. Ja das werden sie sicher machen, am besten gleich noch vor der EM!
Die Propagandakampagne - es ist nichts anderes als das - welche momentan in den Medien gezielt geführt wird, soll den Boden vorbereiten um dem Stimmvolk mit dem Argument EM 08 (Stichworte Image der Schweiz, Sicherheit der Matchbesucher usw.) noch weitere repressive "Notstands"-Massnahmen schmackhaft zu machen. Bald wird auch noch Sämi Schmid's Armee gefordert werden um den braven Schweizer Bürger vor den einfallenden Ultra-Horden (v.a. aus Sizilien) zu schützen. Die Polizei und die Sicherheitsverantwortlichen der Stadien kriegen so ihre geforderten höheren Budgets und Personalressourcen durch. Ebenso wird es eine Frage der Zeit sein bis der neue VR des FCZ die Stehrampen im neuen Letzi in Frage stellen oder grad ganz kippen wird - mit Verweis auf die Sicherheit und das "ungebührliche Verhalten" der bis vor kurzem noch hochgeschätzten Fans (danke unserer Super-Südkurve für die Super-Choreos...). Dafür kann dann das Eventpublikum in der "Eichhof-Fankurve" Platz nehmen und auf Aufforderung des Speakers die verteilten Fahnen schwenken. Wer schauen will wie dann in einem einstmals gefürchteten Tempel die Hölle los ist besuche einen Match der GC-Hockeysektion im neuen Hallenstadion.

Leider zeigen einige Fans aber mit ihrem dummen Verhalten (damit meine ich nicht das Abbrennen von Pyro) - welches den Vertretern einer voll kommerziallisierten, amerikanisierten Fussball-Konsumkultur voll in die Hände spielt - kein Gespür für die Situation.

Dennoch: Mit dem altbewährten Mittel der Kollektivstrafe sollen die Fans innerhalb der Kurve und die Kurve mit der Osttribüne auseinanderdividiert werden. Behalten wir alle - auch der grösste Hitzkopf - kühlen Kopf und lassen wir das nicht zu!

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laissa
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Beitragvon laissa » 14.02.07 @ 8:46

Demokrit hat geschrieben:merci für deine sicht der dinge.
in meinem umfeld ist nicht mehr osama die achse des bösen, sondern hooligans, also jeder fussballmatchbesucher der verbal und gestikulierend sein team unterstützt.
macht spass!


Das empfinde ich auch so. Intelligente Menschen die mir nahe stehen, argumentieren einseitig, dickköpfig und den selben Ausdrücken, mit denen sich unsere journalistische Elite bedient.

Aber danke dem Griechen für die objektive und auf den Punkt bringende Ausführung. Wieso finden solche Texte den Weg nicht in die Medien?

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komalino
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Beitragvon komalino » 14.02.07 @ 8:57

cucinotta hat geschrieben:Leider zeigen einige Fans aber mit ihrem dummen Verhalten (damit meine ich nicht das Abbrennen von Pyro) - welches den Vertretern einer voll kommerziallisierten, amerikanisierten Fussball-Konsumkultur voll in die Hände spielt - kein Gespür für die Situation.

!

Dies ist wohl die Kernaussage Deines lesenswerten Posting, wobei für mich die Frage offen bleibt ob man diese Gruppe wirklich als Fans bezeichnen kann, und noch dies: Selbstregulation funktioniert nicht, weder gestern noch heute und auch nicht morgen--LEIDER!
Zuletzt geändert von komalino am 14.02.07 @ 12:07, insgesamt 1-mal geändert.
Mal verliert man,mal gewinnen die Anderen.

rote karte
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Beitragvon rote karte » 14.02.07 @ 12:00

Zuerst ein Grosses DANKE dem Griechen, sehr guter Text, und schliesse mich voll deinen Zeilen an.

Zweitens zu den ewigen Selbstregulierungs Kritikern.
Manchmal glaube ich, ihr versteht das Wort nicht ganz, eine Selbstregulierung ist ein immer anhaltender Prozess der nie zu ende ist und mal mehr und mal weniger greift. Es braucht Zeiten, des nicht so sichtbaren Erfolges, um eine Auseinandersetzung z.b. hier im Forum oder/und zwischen Freunden zu Hause, im Stadion oder sonst wo zu führen und Verhaltensregeln zu definieren. Momentan finden diese statt betreffend Sachen aufs Feld zu werfen. Und Glaubt mir, in absehbarer Zukunft werden weniger Sachen auf dem Feld landen, und dies hat nicht nur mit der Montage von Kameras und der Erhöhung von Sicherheitsaufkommen zu tun, sonder mit einer öffentlicher Auseinandersetzung, und dem Willen des Verbandes dies zu Thematisieren. Leider gehen in letzter Zeit, gerade diese Organisationen den Weg der Repression und nicht des Dialoges, was sich verheerend und Gewalt fördernd herausstellen wird. (Was uns die Geschichte lehrt) Gewohnheiten zu ändern braucht seine Zeit, sind sie noch so stupid. Wer glaubt, dass bei uns in der Kurve keine erfolgreiche Selbstregulierung stattfindet ist wahrscheinlich ein Anhänger eines Polizei- und Militärstaates, oder schaut nicht wirklich hin. Es ist viel geschehen in letzter Zeit, auch dass wir Meister geworden sind und die Kurve oft aus allen Nähten platzt. Denkt mal nach....


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