Unsere Lieblingsabendzeitung „heute“, welche einem mittlerweile nachgeworfen wird, wenn man nach verrichtetem Tagewerk in aller Ruhe nach Hause fahren will, titelt in ihrer heutigen Ausgabe: „In der Fussball-Szene wird im Moment mehr über Sicherheitsthemen als über Tore diskutiert (…) Nach den Vorfällen vom letzten Weekend in der Schweiz schliesst Liga-Präsident Peter Stadelmann Geisterspiele oder gar die Einstellung des Spielbetriebs nicht aus, wenn die Gewaltorgie nicht gestoppt werden kann“. Mit Gewaltorgie wird wohl unsere Pyroshow, diejenige von GC und anderer Vereine, sowie auch der Wurf eines Gegenstandes aus dem YB-Fanblock gemeint sein. Natürlich hat „heute“ auch seine Online-User (gibt es das wirklich?) dazu befragt und herausgefunden, dass 52% von ihnen einer Einstellung des Spielbetriebs zustimmen, wenn diese Gewaltausbrüche nicht aufhören. Zur Visualisierung dieser Gewaltexzesse ist unten noch ein Bildchen vom letzten Derby abgedruckt, das die GC-Fans beim Abbrennen von 2-3 Fackeln zeigt.
In der Folge wird auch Leipzigs Chef der Polizeigewerkschaft zitiert, der nach den tragischen Vorfällen von Leipzig schwarz sieht: „Wenn Fussball zur Tarnung von Mordlust wird, ist dieser Sport bald am Ende“. Diese Aussage unterschreibe ich gerne sofort. Was ich allerdings empörend finde, ist, dass in einem Zeitungsartikel die verletzten Polizisten in Leipzig in einen Kontext mit den Pyroshows vom letzten Wochenende gesetzt werden. In einem einzigen kurzen Zeitungsartikel wird ein Begriff wie Mordlust, welcher sich auf den Polizistenmord in Catania, wie auch auf die Hooliganattacke in Leipzig bezieht, auf die Schweizer Fussballkultur projiziert, als ob man den sozialen Hintergrund Siziliens und Ostdeutschlands, der solche Taten gedeihen lässt, direkt auf die Schweizer Realität beziehen könnte. Und anstatt dass die Schweizer Fussballliga, die Axpo und alle Klubpräsidenten „heute“ verklagen auf üble Nachrede gegenüber des Produktes „Axpo Super League“, fordert Herr Stadelmann die Klubs auf, die Repressionen gegenüber dem Kunden dieses Produktes zu verschärfen. Eine solche Denkweise kann nur als paranoid bezeichnet werden. Doch leider ist Herr Stadelmann da nicht alleine. Wenn das Unwort „Hooligan“ fällt, das heutzutage als Synonym für jeden Zuschauer verwendet wird, der sich nicht wie ein Operngast verhält, ist die Politik bereit jegliche Massnahme und Gesetzesänderung auch wider die Freiheitsrechte der Bürger zu genehmigen, um diesem Monster vermeintlich Einhalt zu gewähren.
Zu meiner aktiveren Zeit (einige Jahre her) nahm ich gelegentlich an Sitzungen der UFO teil, der unabhängigen Fan-Organisation. Die UFO sah sich als Lobbying-Organisation an, welche die Interessen der Fussballfans gegenüber dem SFV und sonstigen Organen/Medien vertrat. An einer solchen Sitzung war auch Herr Helbling vertreten, der damals die Bewerbung der Schweiz und Österreichs für die Euro 08 begleitete. Aus irgendeinem Grund wollte er uns die Sicherheitsmassnahmen präsentieren, welche das Bewerbungsdossier beinhaltete. Die darin vorgetragenen Punkte könnt ihr euch gut vorstellen. Zu 90% waren sie repressiver, also polizeilicher Natur: Hooligandatenbank, Gefängniszellen in Stadien, Instant-Gerichtsverfahren, Rayonverbote usw. Die restlichen 10% waren alternative Massnahmen wie Fanbotschaften und Konzerte in den Innenstädten. Unseren Einwand, dass wir nicht verstehen weshalb alle Matchbesucher als potentielle Kriminelle vorverurteilt werden, wollte er nicht verstehen. Wir haben demzufolge auch nichts mehr von ihm gehört. Er scheint aber mit seinem Ruf als harter Hund in der Folge eine steile Karriere gemacht zu haben bis zum letzten Sommer, wo er mit seinen lächerlichen Massnahmen betreffend des Kartenverkaufs bei Auswärtsspielen scheiterte. Zum ersten Mal bekamen der SFV und die Liga zu spüren, dass die treusten Kunden sich nicht aufgrund eines einseitigen Kollektivverdachts kriminalisieren und registrieren lassen wollen, nur um den Spielen ihres Lieblingsvereins beizuwohnen.
Bevor ich nun aber zu meinem Schlussplädoyer ansetzen werde, noch folgendes für die Ordnungsfanatiker unter euch: Ich bin gegen Schlägereien und Vandalismus in und um Stadien. Ich bin gegen das Werfen von Gegenständen irgendwelcher Art auf das Spielfeld wie auch in Zuschauerränge. Ich bin gegen Rassismus und Sexismus im Fussball. Ich bin gegen die Gefährdung harmloser Zuschauer durch Überreaktionen inkl. Tränengas- und Gummigeschossattacken einer überforderten Polizei. Ich bin gegen kollektive Verdächtigung und Bestrafung von Fangruppierungen und ganzer sozialer und kulturellen Gruppen (siehe K4, Prolls, Altstetten, Fotobus im Letzi). Ich bin für optischen und akustischen Support der Mannschaft, was das kontrollierte Abbrennen von pyrotechnischem Material beinhaltet. Ich glaube an die integrative und regulierende Kraft der Kurve (organisierte und nicht organisierte Fans gemeinsam). Mit einseitigen Schnellschüssen, blanker Repression und ohne Einbezug der Fans lässt sich nichts erreichen. Die soeben erwähnten Probleme lassen sich ohne Anhörung und ohne Unterstützung der aktiven Fans nicht lösen. Verehrter Herr Stadelmann, lieber Verwaltungsrat, sie können noch soviel die Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen fordern und die Fans kollektiv strafen mit was für Massnahmen ihnen auch noch so in den Sinn kommen werden. Indem sie die korrekten, kreativen und leidenschaftlichen Anhänger in einen Topf mit Kriminellen werfen, helfen sie der Kurve in keinster Weise, ihre regulierende Arbeit zu verrichten. Im Gegenteil, sie werfen uns noch mehr Steine in den Weg.