Beitragvon Philippescu » 06.08.06 @ 11:43
«SonntagsZeitung» vom 6.8.2006, Seite 29
Rote Karten und rote Köpfe
Nach dem Sieg des FCZürich über die Young Boys verlor Trainer Lucien Favre die Beherrschung
VON BERNHARD BRUNNER
ZÜRICH Zugegeben: Schiedsrichter Jérôme Laperrière zog einen schwarzen Tag ein. Zugegeben, viele seiner Entscheide waren schwer nachzuvollziehen. Vor allem die, als er in der 66. Minute Zürichs Tihinen vom Feld stellte. Der Finne hatte Häberli wohl gefoult, nicht aber als letzter Mann. Vor zehn Jahren musste er in seiner Heimat ein erstes Mal vorzeitig vom Platz. Der Abwehrhüne schüttelte noch lange nach der Partie den Kopf und lächelte verständnislos, mochte nur ein Adjektiv sagen: «Unglaublich.» Immerhin blieb ihm eine Prise Schalk in den Augen.
FC Zürich - YB 3:1
Anderen nicht mehr. Trainer Favre verlor die Beherrschung und holte zum Rundschlag aus. Er wisse zwar aus dem Training, wie schwierig es sei, eine Partie zu leiten – «Ich könnte das nicht» –, was aber zu viel sei, sei zu viel. Zu viel war für Favre, dass der Schiedsrichter fünf Minuten vor Schluss nach einem Tackling Gohouris im Strafraum gegen Raffael nicht auf Elfmeter, nach Protesten seinerseits stattdessen entschied, den Zürcher Trainer hinter das Absperrgitter zu verbannen. Favre beurteilte den Platzverweis Tihinens «als Skandal », verstieg sich dann aber in eine Art Verschwörungstheorie.
Der FCZ und insbesondere Raffael und Keita würden «kontinuierlich benachteiligt», gar das Wort Rassismus nahm er in den Mund, und Favre sprach von einem Video, das die Schiedsrichter über ihn angefertigt hätten, «sie warten nur darauf, mich auf die Tribüne zu schicken». Viele hätten «keine Ahnung vom Fussball ». Immerhin wäre Favre bereit, «ihnen in Bern alles zu erklären ». Er meinte das bitterernst. Dabei hätte es Favre nicht nötig gehabt, nach diesem Spiel zu lamentieren, in dem der FCZ seine momentane Vormachtstellung untermauerte. Gegen YB war sein Team in vielen Belangen überlegen. Die Technik war besser, ausgereifter, was zu Ballsicherheit führt, die Raumaufteilung war effizienter, und auch von der individuellen Qualität her bewegten sich die Zürcher auf einem höheren Niveau.
Von Bergen bediente Abdi nach nur zehn Minuten auf direktem Weg durch die Mitte (Wo nur hielten sich Gohouri und Milicevic auf?): 1:0 – der junge Mann aus dem Mittelfeld hatte zentral vor dem Tor alle Zeit der Welt. Fünf Minuten später tanzte Raffael im Strafraum Hodel und Gohouri aus und traf zum 2:0. Trainer Lucien Favre sprach von einem «sehr, sehr starken Beginn », lobte sein Team für eine «einwandfreie charakterliche Leistung». Es sei nicht einfach gewesen, nach dem Ausscheiden in der Champions-League-Qualifikation gegen Salzburg «wieder in die Meisterschaft zurückzufinden », meinte er.
YB hatte erst gegen Ende das Spiels die guten Torchancen
YB bestand aus einzelnen Spielern, die nie zur Einheit fanden, aus einzelnen Rädchen, die nicht ineinander griffen. Selbst Trainer Gernot Rohr analysierte, dass der Gegner «überlegen» gewesen sei, «vielleicht hätte uns der 3:2 Anschlusstreffer ins Spiel zurückgebracht ». Vielleicht, aber Chancen hatten erst Häberli und Milicevic vier und drei Minuten vor dem Ende, als alles eigentlich schon zu spät war. So hatte Varela als Einziger getroffen – zum 2:1 nach 25 Minuten.
Und zuletzt fiel in der zweiten Halbzeit noch das 3:1, mittels Penalty, den YB-Goalie Marco Wölfli verschuldet hatte: Er verspekulierte sich nach einem Pass Abdis in die Tiefe, liess den Ball an sich vorbeigleiten und riss dann Keita vor dem Torschuss zu Boden riss und deswegen vom Feld verwiesen wurde. Cesar verwandelte den Penalty cool zum 3:1 – immerhin bei diesen Verdikten hatte Jérôme Laperrière richtig gelegen.