8. Juni 2005, Neue Zürcher Zeitung
«Keine Anonymität für gewaltbereite Fans»
Die Stadtpolizei Zürich zu Aktionen vor Fussballspielen
80 Prozent der Fussballfans, die im Dezember 2004 vor dem Spiel zwischen dem GC und dem FC Basel vorübergehend festgenommen worden waren, sind gemäss Stadtpolizei Zürich dem Kreis der «erlebnis- und gewaltorientierten» Fans zuzuordnen (NZZ 7. 6. 05). Mediensprecher Marco Cortesi sagt, welche Schlüsse die Polizei daraus zieht.
Herr Cortesi, wie kommt die Stadtpolizei zur Einschätzung, die Mehrheit der Personen, die vor dem Spiel GC gegen den FC Basel beim Bahnhof Altstetten vorübergehend festgenommen worden waren, sei «erlebnis- und gewaltorientiert»?
Zu diesem Schluss haben Auswertungen von Fotos, Videos und Fernsehaufnahmen geführt, vor allem auch solchen, die bei den Ausschreitungen am Spiel FC Zürich gegen Basel Ende Oktober letzten Jahres gemacht worden waren. Damals hatten die Fans ja ziemlich gewütet. Unsere Hooligan-Experten haben ihr Wissen und ihre Szenenkenntnisse einfliessen lassen, so dass es gelungen ist, gewisse Vorkommnisse einzelnen Personen zuzuordnen.
Im Pulk der Gewaltorientierten
Was heisst «erlebnis- und gewaltorientiert»?
Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen vier Fangruppen: normalen Fussballfans, die einfach ein Spiel anschauen gehen, Ultras, besonders eingefleischten Fans, Hooligans sowie erlebnis- und gewaltorientierten Fans. Die Hooligan-Gruppen treffen sich gezielt mit anderen Hooligans und suchen die Auseinandersetzung, ohne dass Aussenstehende tangiert werden. Die erlebnisorientierten Fans laufen, ohne selber aktiv zu werden, im Pulk der Gewaltbereiten mit, die Sachbeschädigungen begehen, andere Matchbesucher angreifen und die Polizei attackieren. Die Gefahr besteht, dass die Erlebnisorientierten ins Lager der Gewaltbereiten kippen. Des Landfriedensbruchs strafbar macht sich übrigens auch, wer im Pulk mitläuft und sich nicht eindeutig von Gewaltanwendung distanziert. Für die Polizei ist es zuweilen leider sehr schwierig, einzelnen Fans Sachbeschädigungen nachzuweisen, weil die Urheber häufig vermummt unterwegs sind oder in der Anonymität der Masse verschwinden.
Wie viele Hooligan-Experten beschäftigt die Stadtpolizei Zürich, und was ist deren Aufgabe?
Wir beschäftigen sechs Hooligan-Experten, die sich hauptsächlich mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Dabei handelt es sich um profunde Kenner der Szene, die über jahrelange Erfahrungen verfügen. Sie sind an praktisch jeder Sportveranstaltung anzutreffen, an der man mit Ausschreitungen oder gewaltbereiten Fans rechnen muss, sei es zum Beispiel an Fussball- oder an Eishockeyspielen. Die Hooligan-Experten der Zürcher Stadtpolizei tauschen sich regelmässig mit Kollegen anderer Polizeikorps aus; im konkreten Fall, als es um die FCB-Fans ging, gab es zum Beispiel intensive Kontakte mit der Basler Polizei.
Viele friedlich - wenige gewalttätig
Der Polizeieinsatz vom Dezember 2004 wurde von vielen Betroffenen, aber auch vom FC Basel scharf kritisiert. Wie werten Sie die gewonnenen polizeilichen Erkenntnisse in Bezug auf die Kritik?
Man darf nicht vergessen, dass es an einem Fussballspiel Tausende von Zuschauern gibt, die sich friedlich verhalten. Nur ein verhältnismässig kleiner Teil ist gewaltbereit. Uns geht es darum, diese Leute aus der Anonymität zu holen, weshalb wir auch auf eine nationale Datenbank hoffen. Unsere Auswertung hat gezeigt, dass der Polizeieinsatz trotz Kritik verhältnismässig, richtig und wichtig war.
Interview: ekk.