«Kein Rasen auf dieser Welt überlebt sieben Konzerte innerhalb von wenigen Wochen»: Der FCZ-Präsident ärgert sich über die Stadt
Der Rasen im Letzigrundstadion ist ramponiert, und der FCZ verliert viel Geld, weil er nach St. Gallen ausweichen muss – auch am Donnerstag gegen Arsenal. Vernachlässigt die Stadt Zürich ihre sportlichen Mieter?
Michael von Ledebur
08.09.2022, 05.00 Uhr
Beim FC Zürich herrscht aus sportlichen Gründen miese Stimmung. Hinzu kommt der Eindruck, es habe sich alles gegen ihn verschworen – sogar der Rasen und die eigene Stadt. Am Samstag, nach einer weiteren Heimniederlage gegen den FC Lugano, sagte Mittelfeldspieler Blerim Dzemaili ins SRF-Mikrofon: «Es ist nicht einfach auf diesem Ackerfeld. Für die Stadt Zürich ist alles andere wichtiger als Fussball, aber es ist okay, wir wissen das.»
Niemand bestreitet, dass sich die Unterlage im Letzigrund in einem miserablen Zustand befindet. Wer ist schuld daran? Die einfache Antwort lautet: Die unzähligen Anlässe, mit denen das Letzigrundstadion belegt ist, fordern ihren Tribut – mit dem trockenen Sommer als erschwerendem Begleitumstand. Neben den Meisterschaftsspielen von GC und dem FCZ war der Rasen unter anderem durch ein Fussballländerspiel des Schweizer Frauen-Nationalteams belegt oder durch die nationalen Leichtathletik-Meisterschaften.
Doch so simpel ist es nicht. Ins Gewicht fallen nämlich in erster Linie die Konzerte. Fünf haben bisher stattgefunden: zweimal Rammstein, zweimal die Büetzer Buebe, einmal die Toten Hosen. Und Mitte September spielt Ed Sheeran zwei Mal auf. Diese lange Liste ist speziell. Denn die Zahl der Konzerte ist eigentlich begrenzt.
So viele Konzerte wie 2022 gab es im Letzigrund noch nie
Gemäss Letzigrund-Gestaltungsplan dürften es vier Open-Air-Konzerte pro Jahr sein und alle drei Jahre maximal ein fünftes Konzert. Diese Beschränkung hat man sich beim Bau des neuen Letzigrund auferlegt. Das Stadion konnte 2007 in kurzer Zeit realisiert werden, weil keine Rekurse von Anwohnerinnen und Anwohnern eingingen. In Zürich ist das keine Selbstverständlichkeit, wie der nicht enden wollende Leidensweg des Stadionprojekts auf dem Hardturm zeigt. Man hat sich die schnelle Realisierung also quasi mit einer Selbstbeschränkung erkauft.
Sieben statt vier Konzerte pro Jahr
Wie kommt es also, dass sich die Stadt über die Vorgabe des Gestaltungsplans hinwegsetzen kann? Die Antwort hat mit der Pandemie zu tun. 2020 und 2021 fielen insgesamt zehn Konzerte aus. Man habe es den Veranstaltern ermöglichen wollen, die vertraglich vereinbarten Konzerte durchzuführen, schreibt das Sportamt. Letzten Sommer sei deshalb eine zeitlich befristete Anpassung des Gestaltungsplans ausgeschrieben worden, damit 2022 ausnahmsweise sieben Konzerte möglich sind. Rechtsmittel seien dagegen nicht ergriffen worden.
Die intensive Belegung hat nicht nur Folgen für die Qualität des Rasens, sondern auch für das Spielprogramm. Davon ist GC nicht betroffen, der FC Zürich aber schon: Er muss mehrere Europacup-Spiele statt im heimischen Letzigrund in St. Gallen austragen.
Auf Anfrage sagt der FCZ-Präsident Canepa, man sei mit der gegenwärtigen Stadion-Situation «gelinde gesagt höchst unzufrieden»: «Dass wir einerseits Europacup-Spiele, die Highlights einer Saison, auswärts austragen müssen, ist schon schwer verdaubar. Dass wir nun andererseits auf einem Rasen spielen müssen, der diese Bezeichnung nicht verdient, ist ein weiterer Tiefpunkt. Kein Rasen auf dieser Welt überlebt sieben Konzerte innerhalb von wenigen Wochen.» Zur Verschiebethematik hat sich Canepa schon früher deutlich geäussert. Als der Auftritt der Toten Hosen dem Klub in die Quere kam, sprach er von «einer Jodler-Gruppe oder so», die den Letzigrund belege.
Dass man sich in Zürich völlig um die Interessen der Fussballklubs foutieren würde, stimmt aber nicht. Im Stadtparlament forderten Luca Maggi (Grüne) und Liv Mahrer (SP) bereits im Mai, sämtliche Fussball-Europacup-Spiele mit Zürcher Beteiligung müssten im Letzigrund stattfinden können. «Weitere Veranstaltungen sollen dabei so geplant werden, dass sie nicht auf einen möglichen Europacup-Termin fallen», so der Wortlaut.
Den Vorstoss mitunterzeichnet haben Politiker von AL, FDP und SVP. Luca Maggi sagt: «Solange die Fussballvereine ihre Heimspiele im Letzigrund austragen, sollten sie bevorzugt behandelt werden, und dies sollte auch vertraglich festgehalten werden.» Klar ist: Der Umstand, dass Zürich noch immer kein reines Fussballstadion hat, ist Teil des Problems.
Kurzfristig ändert sich durch die Anfrage nichts. Der Stadtrat werde sich im Rahmen der Postulatsantwort dazu äussern, heisst es seitens des Sportamts dazu nur. Es bleibt ein Spannungsverhältnis: Die Fussballklubs möchten verlässliche Spieldaten und einen anständigen Rasen, aber aus Sicht der Stadt geht es nicht ohne zusätzliche Anlässe. Selbst mit den Einnahmen muss sie das Stadion mit rund 10 Millionen Franken pro Jahr subventionieren.
«So kann kein Klub überleben»
Klar ist, dass die Europacup-Spiel-Verschiebungen einen finanziellen Schaden hinterlassen – für den FC Zürich. Der Präsident Canepa verortet ihn im siebenstelligen Bereich. Einerseits durch tiefere Matcheinnahmen, weil die Kapazität in St. Gallen um einige tausend Zuschauer tiefer ist als in Zürich. Andererseits durch zusätzliche Miet- und Sicherheitskosten in St. Gallen. Canepa sagt: «Wir investieren viel, damit wir die Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs erreichen, und können dann das vorhandene Einnahmenpotenzial nur beschränkt nutzen. So kann kein Klub überleben.»
Allerdings: Gegen Arsenal hätte der FCZ so oder so ausweichen müssen. In diesem Fall belegt am Donnerstag bekanntlich kein Jodlerchor den Rasen, sondern Weltklasse Zürich. Es ist der einzige Termin im Jahr, an dem der Fussball in jedem Fall zurückstehen muss im Letzigrund, das ja als Leichtathletikstadion konzipiert wurde. Das Datum für das Arsenal-Spiel gesetzt und die Terminkollision provoziert hat der europäische Fussballverband. Dagegen kann selbst die Zürcher Politik nichts ausrichten – und sei sie noch so motiviert.
Ein kleiner Lichtblick gibt es für die beiden Fussballklubs: Nach dem Doppelkonzert von Ed Sheeran sind keine weiteren Auftritte geplant. Und der Rasen wird komplett ersetzt.