https://www.nzz.ch/sport/fussball/fc-zu ... ld.1311550Nachdem Michael Frey im Sommer 2017 von YB zum FC Zürich gewechselt war, sagte der FCZ-Trainer Uli Forte: «Er ist ein richtiges Mentalitätsmonster, solche Spieler braucht jedes Team.»
Nachdem Frey im Sommer 2016 von Luzern zu YB gewechselt war, sagte der YB-Trainer Adi Hütter: «Er muss unsere Art und Weise von Fussball noch ein bisschen besser kennenlernen. Wir haben eine Mannschaft, die zuletzt sehr gut gespielt hat – und da muss man sich erst einmal einen Platz erkämpfen.»
Etwas ist anders.
Der FCZ hat einen Spieler bekommen, den es bei YB gar nicht mehr gab.
«Ich war sicher sehr enthusiastisch, aber ich gab Vollgas und konnte auch etwas bewirken, darauf bin ich stolz.»
Aber beginnen wir am Bärenstutz in Münsingen, Kanton Bern, hier wuchs Frey auf, und diese Strasse machte aus ihm, was er heute ist: einen Strassen- und Instinktfussballer, der sein Wissen nicht von einer Eliteschule hat, sondern vom Leben. Der Grossvater, ein ehemaliger Nationalligafussballer, Kurt Frey, wohnte im selben Haus, «mit ihm gab's Spezialtraining», sagt Michael Frey. Er wechselte von Münsingen zu Thun, von Thun zu YB, er machte Schnupperlehren als Landschaftsgärtner und Steinmetz und belegte den Vorkurs an einer Kunstschule.
2012 debütierte er in der Super League, erstes Tor im zweiten Spiel; er habe schon sehr vieles erlebt, sagt Frey, «wenn du mit 17 in dieses Geschäft kommst, wird von allen Seiten auf dich eingeredet, vom Morgen bis am Abend». Die YB-Kollegen erlebten ihn als Energiequelle, doch er verausgabte sich derart auf dem Feld, dass er bald schon ausgepumpt war, «ich war sicher sehr enthusiastisch, kann man so sagen, aber ich gab Vollgas und konnte auch etwas bewirken, darauf bin ich stolz».
Frey, heute 23, redet schnell, und in seine Sätze packt er vieles, manchmal ein Eingeständnis, immer aber auch wieder diese Überzeugung, dass richtig ist, was war und wie er's macht. Wenn es um Stärken und vielleicht auch Schwächen geht, sagt er, andere Leute behaupteten zwar immer, er habe eine schlechte Technik, «aber für meine Grösse und meine Wucht habe ich eine sehr gute Technik, würde ich sagen; mit dem einen oder anderen Trick kann ich meine Gegenspieler auch überraschen».
Frey weiss, was die Leute sagen. Aber manchmal liegen sie halt falsch.
Die Frage des Scheiterns
Hütters Worte begleiteten Frey durch die Saison 2016/17, keine einfache Saison, aber Frey würde es nie so sagen. In dieser Geschichte gab es mehr Zweifel, als manche glauben. Wer mit Weggefährten aus Bern redet, müsste nach diesem Jahr einen hadernden Menschen erwarten. Frey sagt: «Wie man sieht, hat es mir nicht zugesetzt, es hat mich stärker gemacht. Ich bin in der Form meines Lebens.» Nach vier Ligaspielen mit dem FCZ verbucht Frey zwei Tore und ein Assist, die Zürcher sind Leader, am Samstag empfangen sie YB zum Spitzenkampf, er freue sich, sagt Frey, «ich werde wie immer 90 Minuten rackern und machen, bis wir die drei Punkte haben. Wir sind Erste, ich bin glücklich, der Rest interessiert mich nicht.»
Frey will keine schlechten Worte verlieren über YB, schon gar nicht vor diesem Spiel. YB war die grosse Liebe, fünf Jahre lang habe «er sein Herz gegeben für diesen Klub», doch im August 2014 wechselte er kurz vor Transferschluss zu Lille, Ligue 1, grosse Chance, ein normaler Schritt, den manche Fans ihrem Berner Buben nicht verziehen. Es folgten: ein guter Start in Lille, eine schwere Verletzung, ein halbes Jahr in Luzern, und als er 2016 zu YB zurückkehrte, setzte er sich unter grossen Druck; er sei in eine Spirale geraten, so sagt es der YB-Sportchef Christoph Spycher.
Michael Frey bekommt in Zürich offenbar die Nestwärme, die er sich ersehnt hat. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Michael Frey bekommt in Zürich offenbar die Nestwärme, die er sich ersehnt hat. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
Frey lud sich immer mehr auf, es ging um Übergeordnetes: um Wiedergutmachung und um eine Führungsrolle, die Frey sich wünschte, aber nicht auszufüllen fähig war und nicht bekam. Die taktischen Vorgaben des Hütter-Fussballs entsprachen ihm weniger, Frey schoss acht Liga-Tore, aber machte es kaum jemandem mehr recht, sogar allzu überschwänglichen Jubel warfen ihm Fans vor. Und weil das Mentalitätsmonster auch verletzlich ist, blieb nur noch die Lösung, aus dieser Spirale zu fliehen.
«Wenn ich Freude habe, auf der Bank zu sitzen, muss ich den Job wechseln.»
Es heisst, Frey habe das Gefühl gehabt, die Berner wollten ihn nur scheitern sehen, und Frey entgegnet, «ja», vielleicht sei es «ein wenig» so gewesen, aber letztlich sei er nicht gescheitert, sonst hätte er keinen Einsatz gehabt und kein Tor erzielt, «und nun bin ich beim FCZ», der Rest interessiert ihn nicht.
Niemand sagt Frey etwas Schlechtes nach, er ist einfach anders, die einen sagen: «nonkonform», die anderen: «anstrengend». Er hält das Umfeld auf Trab, mit seiner Energie und seinen Ansprüchen, er mag es nicht, Ersatz zu sein, «wenn ich Freude habe, auf der Bank zu sitzen, muss ich den Job wechseln», sagt Frey, «ist doch so. Ich will spielen, und wenn du das nicht mehr darfst, wird mir quasi meine Freiheit genommen, du musst doch um einen Stammplatz kämpfen dürfen. In der letzten Saison konnte ich nicht immer mich sein.»
Es ist fast ein Bonmot, dass Frey einst sagte, er wolle zu einem der weltbesten Stürmer werden; er meinte es wirklich, aber nicht in dieser Absolutheit, wie es ihm nachgetragen wird, man müsse doch Ziele haben, sagt er, und vielleicht weiss er bis heute nicht, wie ernst es ihm war. Aber Frey hat verstanden, dass er polarisiert, «wenn du so bist wie ich, musst du extrem viel aushalten, wenn du durch die Stadt spazierst». Wer Frey will, muss ihn genauso nehmen, wie er ist – und der FCZ zeigte diese Bereitschaft. Bei YB aber waren sie müde geworden. Es kam der Tag, an dem die Leute fanden, dass Frey keine Energiequelle mehr sei, sondern dem Team mehr genommen habe, als er gab – und wenn Frey sagt, er habe 2016/17 nicht immer sich sein können, wirkt es wie ein Bekenntnis, dass er es ebenfalls spürte.
«Das ist menschlich»
Das eine Team braucht Frey heute unbedingt, dem anderen erging es anders. Wenn der FCZ-Sportchef Thomas Bickel erzählt, wie sehr sie Frey das Gefühl gegeben hätten, dass sie ihn brauchten und warum – dann schwingt eine tiefe Überzeugung mit, die nahelegt, dass der FCZ Frey eine ersehnte Nestwärme bot. «Er hat noch mehr Fähigkeiten, als er bisher gezeigt hat», sagt Bickel, «auf dem Platz ist er ein Reisser und physisch präsent. Daneben ist er ein Kumpeltyp, ein Mehrwert im Sozialgefüge.» Solche Worte machen aus Frey einen anderen Spieler, er ist Mittelstürmer, Nummer 9!, und man sagt ihm, dass er wichtig sei.
«Ich passe schon in ein Schema, ich versuche so zu spielen, dass wir gewinnen.»
«Wir vertrauen seinem Charakter und seiner Mentalität, das stärkt ihn, das ist menschlich», sagt Bickel. Im FCZ trifft Frey mit Forte auf einen Trainer aus ehemaligen YB-Zeiten, und er muss sich den Platz nicht erkämpfen, oder besser: Er kann es auf seine Art tun, mit Willen und Stolz; «rackern und machen» und sich in der Form des Lebens fühlen.
Auf die Feststellung, dass er sich nicht gerne in ein Schema pressen lasse, sagt Frey, er sehe es genauso, «wobei: Ich passe schon in ein Schema, ich versuche so zu spielen, dass wir gewinnen. Vielleicht mache ich es nicht in allen Momenten so, wie es der Trainer will, sondern eher, wie ich es situativ für richtig empfinde» – aber vor den letzten Spielen habe ihn der Trainer «perfekt eingestellt». Sie hören es nicht gerne im FCZ, weil es suggeriert, dass Forte kein Taktikfuchs ist: Aber womöglich passt Frey auch darum besonders gut in dieses Team – weil Forte anderen Wert legt auf taktische Fragen als Hütter und dem Strassenfussballer mehr Auslauf gibt.
Frey brauchte diesen Schritt, weg aus Bern und der Wahrnehmung, dass alle gegen ihn sind. Im FCZ gibt's noch keinen Anlass, an ihm zu zweifeln. Es ist Freys zweiter Anlauf: sich selber zu bleiben, aber nichts zu tun, das eines Tages gegen ihn verwendet werden könnte.
Forte: «Endlich ein richtiger Brocken»
ram. · «Oha, das Interesse ist offenbar gross», sagt Uli Forte am Freitag vor der Medienkonferenz. Also trägt der FCZ-Trainer eigenhändig Stühle herbei. Leutselig geniesst er die Aufmerksamkeit, das Heimspiel gegen die Young Boys ist nicht nur sein erstes Spiel gegen den Klub, der ihn vor zwei Jahren entlassen hat.
Es geht immerhin um die Tabellenführung, auch wenn Forte sofort relativiert, die Rangliste besitze nach vier Spielen wenig Aussagekraft. «Der Start war gut, aber gegen YB wartet der erste Test», sagt Forte, nun komme «endlich ein richtiger Brocken». Auch mit dem Punktemaximum kann sich Forte nicht ganz sicher sein, wie stark der FCZ nach der Saison in der Zweitklassigkeit tatsächlich ist.
Gegen Thun oder Sitten etwa hätte das Pendel auch zuungunsten der Zürcher ausschlagen können. Forte erwartet auch deshalb eine erste Standortbestimmung: «Neben dem Resultat interessiert mich, ob wir nur dem Ball hinterherrennen oder selber das Spiel bestimmen.» YB soll Gradmesser für den Stand der eigenen Entwicklung sein. Dem alten Arbeitgeber verteilt Forte dicke Blumensträusse und hebt ihn so weit in den Himmel, dass er YB «ganz klar stärker» einschätzt als den FC Basel: «YB ist für mich Titel-Favorit.» Und der FCZ selber?
Der hat gerade den dänischen Innenverteidiger Rasmus Thelander von Panathinaikos geholt und soll eine 10-Millionen-Offerte für den Stürmer Raphael Dwamena von Brighton ausgeschlagen haben. Die eigenen Ambitionen trägt Forte derzeit besser nicht zu offensiv vor sich her. Schliesslich weiss er aus seiner YB-Zeit, dass ein guter Saisonstart zu gefährlichen Träumereien verführen kann: 2013 gewann er mit YB die ersten fünf Meisterschaftsspiele, danach verflachte die Leistungskurve bis zum Tiefpunkt, dem 1:4 im Cup gegen Le Mont. Brav und demütig sein, so soll das Motto lauten für die noch junge FCZ-Saison. Oder in den Worten Fortes: «Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.»