Beitragvon Tschik Cajkovski » 15.05.15 @ 15:32
zeilen über unseren verehrten trainergott lucien favre (aus der neuesten weltwoche):
Der Schollentreue
Lucien Favre wird in Deutschland als geerdetes Gegenmodell zum Tiki-Taka-Guru Pep Guardiola vom FC Bayern gefeiert. Die steile Karriere des Waadtländer Bauernsohns lässt sich bereits aus seinen Anfängen als Trainer der Schülermannschaft von Echallens erklären.
Von Peter Hartmann
Er ist ein Vaudois, ein Bauernsohn. Eine Krawatte trug er ein einziges Mal in seinem Leben, bei seiner Hochzeit mit Chantal. Auch sie kennt er aus dem Dorf, sie machte das Buffet bei einer Chilbi, und das ist nun schon über dreissig Jahre her. Ferien brauchen sie keine, sie fahren einige Wochen nach CH-1040 Saint-Barthélemy, zurück zu den Wurzeln, in ein Nest mit 785 Einwohnern zwischen Lausanne und Yverdon, wo fast alle Favre heissen. «Lulu» setzt sich dann ins Gras und atmet die Natur und denkt über das Leben nach, also über Fussball. Saint-Barthélemy hat nicht einmal ein Bistro, ist aber ein erstaunlicher Leuchtpunkt auf der Weltkarte. Hier hat in seinem Labor ein anderer Favre, der Lebensmittelingenieur Eric Favre, die Nespresso-Maschine erfunden. Hier ist auch Stan Wawrinka, der Tennisspieler, aufgewachsen; sein Vater und Lucien Favre gingen zusammen zur Schule.
Dass er jetzt, mit 57, in Deutschland mit Lobreden und Komplimenten überhäuft wird als geerdetes Gegenmodell des fast schon entzauberten Tiki-Taka-Gurus Guardiola beim FC Bayern (den er im März mit Borussia Mönchengladbach in München 2:0 besiegte), nimmt Favre wie der Bauer das Wetter. Seine Karriere ist schon aus den Anfängen erklärbar. Er begann im grösseren Nachbarort Echallens die Schüler zu trainieren, und nach vier Jahren landete er mit der Dorfmannschaft in der Nationalliga B. Der nächste Schritt führte ihn einige Kilometer weiter: nach Yverdon, dem Provinzhauptort, und zum Aufstieg in die Nationalliga A, mit einem brasilianisch anmutenden leichtfüssigen Stil, so wie er selber gespielt hatte, ehe ihm Gabet Chapuisat mit einer Amok-Attacke das Knie zerstörte.
Sprung aus der Muttersprache
Er dachte schon als Spieler, als Nummer 10, wie ein Trainer. Karl-Heinz Rummenigge, der heutige Vorstandsvorsitzende von Bayern München, war sein Mitspieler bei Servette Genf und Zimmerpartner bei Auswärtsspielen. Favre raubte ihm den Schlaf mit stundenlangen Taktikvorträgen. Vielleicht, nichts ist unmöglich im Fussball, hört er sich Favre eines Tages wieder an – auf der Suche nach einem Nachfolger für Guardiola. Borussia Dortmund wollte ihn bereits für Jürgen Klopp aus Mönchengladbach weglocken, Favre, der Schollentreue, blieb.
Vor zwölf Jahren lenkte Sven Hotz, der langjährige Präsident des FC Zürich, seine Schicksalskugel. Hotz erinnert sich: «Ich war mit Jogi Löw in allen Punkten einig. Wir sassen in meinem Büro, er hätte nur noch unterschreiben müssen. Aber er zögerte und zögerte. Ich hatte noch einen weiteren Kandidaten, und als ich ihn im Training beobachtete, war mir klar: Das ist unser Mann.» Löw wurde Assistent des kurzzeitigen deutschen Bundestrainers Jürgen Klinsmann und dann selber Nationaltrainer und letztes Jahr Weltmeister. Lucien Favre aber, der zuvor mit dem FC Servette Genf den Schweizer Cup gewonnen hatte, wagte erstmals den Sprung aus der Muttersprache heraus in eine fremde Arbeitswelt und brachte den FCZ mit den Meistertiteln 2006 und 2007 in die Erfolgsspur zurück.
In Berlin, mit Hertha, stiess er nochmals in eine neue Dimension vor. Vierter Platz in der Bundesliga auf Anhieb, danach die Entlassung und 2011 der Job als Nothelfer in Mönchengladbach im Ruhrgebiet, 250 000 Einwohner und eine Legendenvergangenheit mit Trainern wie Weisweiler und Lattek und Spielern wie Netzer, Bonhof, Stielike, Heynckes. Favre rettete den Klub.
In der Bundesliga wird die Offensive zur höchsten Tugend verklärt, je mehr Tore, desto glücklicher Publikum, Reporter und Fernsehen. Favre wurde anfänglich als Ideologe des «Konzeptfussballs» gebrandmarkt, das Schimpfwort für taktische Vorsicht und Defensive. Er selber sagt, sein Schlüsselerlebnis seien die zwei Wochen im Jahr 1993 als Hospitant bei Johan Cruyff in Barcelona gewesen, dem Propheten der Barça-Schule, die Barça gerade überwindet. Favre lässt längst einen bis ins letzte Detail geschliffenen Fussball spielen (Hitzfeld, halb bewundernd: «Alles einstudiert»), auf Abnützung des Gegners und messerscharfe Konter ausgerichtet wie einst in den sechziger Jahren Inter Mailand unter dem «Magier» Helenio Herrera. Nur statt Catenaccio ein engmaschiges, unerbittliches Pressing.
Zum grossen, bewundernswerten Trainer macht Favre die Gabe, Spieler zu verbessern, ihnen Selbstvertrauen einzuflössen. Sind sie Könner geworden wie Reus und Neustädter oder jetzt Kruse und Kramer, werden sie verkauft. Er findet neue Balltalente. Wie den Brasilianer Raffael Caetano mit dem melancholischen Clownsgesicht, den er in Chiasso als 18-jährigen Desperado entdeckt hatte – sein Star beim FC Zürich, den er mitnahm nach Berlin und später nach Gladbach holte. Raffael schoss die beiden Tore gegen Bayern. Er ist sein Talisman.
"we do these things not because they are easy, but because they are hard" jfk