Seit dem Fackelwurf am Derby zwischen GC und dem FCZ und seit dem schweren Petardenunfall am Rande des Auswärtsspiels gegen Lazio Rom stehen die Anhänger des Zürcher Fussballklubs in der Kritik. Die Südkurve wird angegriffen. In den Kommentarspalten von Tagesanzeiger.ch war von «Südkurvendumpfbacken» von «Vollidioten», ja sogar von «Totengräber der Fankultur» die Rede.
Doch DIE Südkurve gibt es nicht. Sie ist vielmehr ein Überbegriff für eine Vielzahl verschiedener Gruppierungen. Südkurve heisst die Fangemeinde erst seit 1995, als erstmals ein Transparent mit dem Schriftzug «Zürcher Südkurve» am Zaun der Kurve im Fussballstadion Letzigrund aufgehängt wurde. Davor wurde die Fanecke schlicht «Züri-Egge» genannt.
Gemeinsames Gremium, aber kein Sprecher
Die Kurve fasst an die 4000 Personen. Südkürvler sind zwischen 15 und 35 Jahre alt und vorwiegend männlich. Die Gruppierungen, die der Südkurve angerechnet werden, tragen Namen wie Boys, Hallygally, Locoz, Blauer Bock oder Paradox. Zwar gibt es seit über zehn Jahren ein Gremium mit Vertretern der verschiedenen Gruppen, das sich regelmässig zu Sitzungen trifft. Einen Südkurven-Sprecher gibt es nicht und offizielle Stellungnahmen auf der Homepage der Südkurve sind höchst selten.
So unterschiedlich die Namen der Untergruppen sind, so verschieden sind auch ihre Interessen und Ursprünge. «Die Boys sind die wichtigsten Mitglieder der Südkurve. Sie stellen auch den sogenannten Capo, der während des Spiels die Gesänge choreografiert», sagt ein Kenner der Szene und langjähriger FCZ-Matchbesucher, der anonym bleiben möchte.
«Es gibt keine rechtsradikale Szene in der Südkurve!»
In der Gruppe der Locoz hätten sich die südamerikanischen Einwandererkinder organisiert. Bei den Hallygallys seien vor allem Kreative anzutreffen: Hip-Hopper, Grafiker, Filmemacher, Skater, aber auch Gastronomen, so der Insider. Dieser Gruppe ist auch die Musikband Radio 200’000 entsprungen. Die Hallygallys galten neben den Boys zu den kreativsten Untergruppen der Südkurve.
Daneben gebe es noch zahlreiche kleinere Gruppen wie beispielsweise die Reservoir Dogs, die in der Südkurve aber eine relativ unbedeutende Rolle spielen. «Auch die Fussballprolls gehören in diese Kategorie. Sie kommen aus der Punk-Rock- und Oi!-Skinheads-Szene. Aber es sind keine Rechtsradikalen. Es gibt keine rechtsradikale Szene in der Südkurve!», sagt der Insider.
Früher gehörte auch die Gruppe K4 der Südkurve an. «Sie sind aber zu Outsidern geworden. Unter anderem weil sie vor drei Jahren in einem Auswärtsspiel Fackeln in den Familiensektor der Basler Fans geworfen haben.» Danach habe die Selbstregulierung in der Südkurve gut funktioniert, so der Insider.
Die Mitglieder von K4 stehen nun neben der eigentlichen Südkurve. Generell gelten ungeschriebene Gesetze, was die Platzierung der einzelnen Gruppen in der Südkurve anbelangt: Die Boys und der Blaue Block stehen beispielsweise nahe beieinander in der Kurve. Weniger aktive Gruppen sitzen am Rande.
Kreativ, vielfältig und leidenschaftlich
Einigkeit gibt es allerdings bei allen Gruppen in ihrer Haltung zum Fussball. «Der Südkurve sind die Prinzipien der Ultra-Bewegung ‹heilig›», sagt Michael Lütscher, Autor des Buches «FCZ – Eine Stadt, ein Verein, eine Geschichte». Man unterstütze das eigene Team bedingungslos, sei aber dem Klub gegenüber kritisch eingestellt und bleibe immer unabhängig. «Zu ihrem Verständnis von Unabhängigkeit gehört auch, dass die Ultras nicht mit den Medien reden», so Lütscher weiter. «Mich erinnert die Südkurve stark an die Jugendbewegung der Achtzigerjahre – in ihrer ganzen Kreativität und Leidenschaftlichkeit, in ihrer Ablehnung von Kommerz, Establishment und Polizei und in ihrer Neigung zur Gewalt.»
Auch Giovanni Marti, Mediensprecher des FCZ, ist von der Leidenschaft und Vielfalt der Südkurve fasziniert. «Anwälte, Strassenbauer, Künstler finden sich im Stadion zusammen und jeder von ihnen ist dem Klub auf seine Art verbunden. Die Liebe zum Verein verbindet sie miteinander», sagt er gegenüber Tagesanzeiger.ch. Vor allem die Sprechchöre aus der Kurve gehen ihm nahe. Vor jedem Match wird das Südkurvenlied gesungen («Ob als Gast oder au dihei: mir lönd eu sicher nie allei»). «Unten auf dem Spielfeld spürt man diese extreme Unterstützung durch diese Fans. Das weckt enorme Emotionen – bei den Spielern und bei den Funktionären.»
Gut und differenziert.
übrigens vom Tagi