06.01.2008
Ende der Schonfrist für Hertha-Trainer Favre
WELT ONLINE
Von DANIEL STOLPE
Bisher wurde Herthas neuem Trainer Lucien Favre eine "Kennenlernphase" zugestanden. Doch die ist nun vorbei, mit dem Beginn der Rückrunde wird er mit den brachenüblichen Maßstäben gemessen. Er muss mehr aus dem Kader herausholen als bisher. WELT ONLINE nennt die Problemfelder der Berliner.
Berlin - Mit Beginn der Vorbereitung von Hertha BSC auf die Rückrunde der Saison 2007/08 ist die Kennenlernphase nun abgeschlossen: Fortan muss Favre mit branchenüblichen Maßstäben gemessen werden. Dieter Hoeneß formuliert die Vorgabe folgendermaßen: "Wir müssen die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal ausschöpfen." Im Klartext: Parallel zur Suche des Managers nach Verstärkung von außen, ist es an Favre, dem bestehenden Kader jenes Potenzial auf Dauer zu entlocken, das im Verlauf der Vorrunde nur phasenweise erkennbar wurde.
Weil Dominanz auf dem Platz einhergeht mit mentaler Stärke, ist Favre gut beraten, von einem fatalen Hang zu Defätismus Abstand zu nehmen. Ganz zu Beginn seiner Tätigkeit in Berlin ebenso wie zum Ende der Hinrunde hatte der Trainer wiederholt das Potenzial des ihm zur Verfügung stehenden Personals in Zweifel gezogen. Anfangs stellte er die Bundesliga-Tauglichkeit infrage, vor dem ersten Punktspiel bei Eintracht Frankfurt versammelte Kapitän Arne Friedrich die Mannschaft zum Kreis und sagte: "Gehen wir raus und zeigen es all denen, die nicht an uns glauben." Nach überraschend gutem Start beklagte Favre mit zunehmender Dauer erneut leidlich unverhohlen, mit den vorhandenen Spielern sei seine Vorstellung von Systemfußball nicht umsetzbar.
Gilberto – ein sensibles Thema
Berechtigt war indes die Kritik, es habe den Spielern zu häufig an Lauf- und Einsatzbereitschaft gemangelt. Dies zu verbessern, ist ebenfalls Favres Aufgabe. Die nötige Fitness will ebenso gebildet sein wie ausreichender Teamgeist. Es spricht nur bedingt für das Klima innerhalb der Mannschaft, wenn zu Auswärtsspielen nahezu jeder Profi mit MP3-Player in den Ohren in die Kabine trottet - ähnlich zusammenhanglos präsentierte sich das Ensemble in fremden Stadien dann zumeist auch. In puncto Fitness stellt Mittelfeldspieler Gilberto die sensibelste Aufgabe für Favre dar. "Sechs Monate permanent platt" sei der Brasilianer nach der Copa America im Sommer gewesen, beklagte der Trainer. "Mit ihm werden wir in der Vorbereitung behutsam arbeiten müssen." Das allerdings widerspräche dem bisherigen Grundsatz des Schweizers, alle Spieler unabhängig von ihrer Wertigkeit für die Mannschaft gleich zu behandeln. Erfolgt die Abkehr von dieser Vorgabe, werden ähnlich bedeutsame Spieler wie Marko Pantelic, Josip Simunic oder Friedrich ähnliche Vergünstigungen einfordern - ein Drahtseilakt.
Daneben fallen drei ähnlich feinfühlige Problemfelder auf. Im Tor hat der als Stammkraft ausgerufene Zugang des Sommers Jaroslav Drobny kaum Pluspunkte sammeln können. Der vom Tschechen auf die Bank verdrängte Christian Fiedler hingegen erwies sich als der wohl vorbildliches Teamplayer der Mannschaft, nicht ein kritisches Wort kam ihm in Bezug auf die Leistungen seines Rivalen über die Lippen. Da ist es nur fair, wenn Favre ihm in der Vorbereitung die Chance gibt, den verloren gegangenen Platz neu zu erkämpfen. Immerhin, die Ankündigung dazu steht: "Auch die Position des Torwarts werden wir in der Winterpause ganz genau analysieren."
Im Angriff wartet Favre auf Wunschstürmer Raffael von seinem Ex-Klub FC Zürich, dessen Verpflichtung sich unverändert kompliziert gestaltet. Platzt der Transfer, muss der Trainer darauf vorbereitet sein. Dazu ist ausreichend viel über die Schweizer Liga hinausreichende Fußball-Fachkompetenz ebenso nötig wie gesteigerte Entschlussfreudigkeit in der Wahl einer Alternative. Intern wird nicht gern gesehen, wie schwer Favre bei Transfers die Abwägung von Für und Wider fällt.
Detailarbeit mit Lima und Okoronkwo
Weil nicht auszuschließen ist, dass ein neuer Stürmer erst spät zur Mannschaft stößt, muss der bislang enttäuschende André Lima (zehn Spiele, ein Tor) körperlich ausreichend fit gemacht werden, um Bundesliga-Ansprüchen genügen zu können. Genauso muss Favre den als Joker treffsicheren Solomon Okoronkwo (vier Tore) so disziplinieren, dass der sich auf und neben dem Platz nicht zu häufig selbst im Wege steht.
Der Psychologe in Favre ist außerdem im Umgang mit Arne Friedrich gefragt. Ihm ist zu vermitteln, dass im Verein nicht schlecht sein kann, was in der Nationalmannschaft die einzige sich realistisch bietende Alternative auf einen Stammplatz ist: die Position des Rechtsverteidigers. Allzu deutlich hat Friedrich seinen Unmut über seine wiederholte Versetzung aus der von ihm bevorzugten Abwehrzentrale geäußert, in der Rückrunde droht die permanente Verschiebung auf die Außenposition. Doch ist eine starke Rückrunde mit Hertha BSC nicht die beste Vorbereitung auf die danach anstehende Europameisterschaft?
Kwelle:
http://www.herthabsc.de/index.php?id=15885