Es gibt grundsätzlich zwei Varianten.
Die erste würde ich Südkurven-Brügglifeld-Romantik nennen. Es wird von einem einfachen Stadion geträumt für 20'000 Zuschauer, mit Kiestribünen, irgendwo ausserhalb, mit pyroverträglichen Materialien gebaut, möglichst viel Stehplätze, möglichst heruntergekommen, mit idealem Aufmarschweg für Muttenzerkurve, Rechtsradikale und Antifas.
Ich kann Euch sagen, bei diesem Konzept reicht auch eine Kapazität von 5'000. Denn mehr werden bei einem solchen Schauspiel und solchen Verhältnissen langfristig nicht kommen. Sportlich werden die Zürcher Teams im Vergleich zu YB oder St.Gallen zurückfallen und ins Mittelmass absinken. Zürich wird für immer Fussballprovinz. Aber NEBEN dem Platz wird es für einen Teil der etwa Tausend Südkurvler und ihre Opponenten auf der Gegenseite sicher der Plausch sein.
Die zweite Variante ist ein attraktives Stadion, das durch seine besondere Architektur, seine überdurchschnittlich gute Verkehrsanbindung, seinen Komfort, und seine Einbettung in ein relativ zentral gelegenes und belebtes Gebiet eine starke Magnetwirkung auf möglichst viele unterschiedliche sportinteressierte Menschen ausübt: alte, junge, mittlere, Frauen, Männer, Künstler, Handwerker, Akademiker.
Diesem Profil entspricht das geplante Stadion Zürich im Industriequartier in idealer Weise. Zudem hat dieses Projekt den Riesenvorteil, dass es schon viele juristische Hürden und eine Volksabstimmung übersprungen hat. Wenn man es mit einem 400 Meter Lauf vergleicht, biegt man nun langsam auf die Zielgerade ein. Es wäre mehr als dumm, nochmals auf einem neuen Standort ganz von vorne zu beginnen. Dann kann man das ganze Prozedere nochmals von vorne beginnen – Konzept entwickeln, Investoren finden, Architekturwettbewerbe nach WTO-Norm, allenfalls Volksabstimmung(en) falls nötig, ein grosses Seilziehen mit VCS etc. und allen Anwohnern – da kann man dann mit den juristischen Streitigkeiten wieder auf der untersten Ebene anfangen (beim Hardturm-Projekt ist man nun immerhin schon auf der Bundesgerichtsebene angelangt). Kurz und gut: bis das Stadion Zürich steht, geht es sicher noch 3-4 Jahre. Bis ein Fussballstadion an einem anderen Ort stehen würde, ginge es sicher mindestens 10 Jahre.
Die CS wird die Entwicklung des gesamten Quartiers im Auge behalten. Sie wollen ja auf den jetzigen Trainingsplätzen Wohnungen erstellen. Ausserdem würde ich nicht ausschliessen, dass auch dort die Begeisterung für den Fussball und für spezielle Architektur eine gewisse Rolle spielt – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse minimale (6,5% ist ja nun wirklich nicht die Welt) Rendite erwirtschaftet werden kann.
Das hat auch nichts mit „Profitgier“ oder dem System, in dem wir leben zu tun, wie zum Teil angetönt wurde. Die Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeit besteht in absolut jedem möglichen Wirtschaftssystem – egal ob Clanwirtschaft der Steinzeitmenschen, genossenschaftliche Organisationsformen, totalitäre Planwirtschaft oder freie Marktwirtschaft – die Wirtschaftlichkeit ist eine von der Natur gegebene Grundvoraussetzung - denn „von nichts kommt nichts“. Das einzige was sich mit dem „System“ ändern kann, sind die Macht- und Besitzverhältnisse – nicht aber die wirtschaftlichen Grundprinzipien.
Für die beiden Clubs, die Stadt und alle die, die von ihr den Lohn oder andere Leistungen beziehen, ist das Stadion Zürich Projekt ideal – es wird privat finanziert – das heisst, es muss nirgendwo sonst etwas eingespart werden, um für das Stadion Mittel freizuschaufeln. Es werden ganz im Gegenteil neue Steuereinnahmen durch die darin angesiedelten Geschäfte und Firmen generiert. Fussball- und Architekturfans sind zudem begeistert von den Entwürfen - vor allem solche aus dem Ausland - bei uns muss wohl zuerst das Ganze wirklich gebaut werden, bis es alle merken, was das für ein tolles Projekt ist.
Was die Kapazität angeht: St.Gallen hat über 20'000, Bern 30'000 und Basel auf knapp 40'000 ausgebaut – da sollen 30'000 in der mit Abstand grössten Schweizer Agglomeration (1.1 Millionen) zu viel sein? Die Erfahrung in der Schweiz hat gezeigt, dass durch ein neues Stadion die Zuschauerzahl sich mehr als verdoppelt. Wenn es also in Zürich gleich abläuft wie in Basel, Bern oder Neuchâtel, dann wird der FCZ einen Schnitt von über 20'000 haben und bei Spitzenspielen und Derbies wird das Stadion mit 30'000 ausverkauft sein.
Die Fankurven sind ohne Zweifel diejenigen, die im Stadion am meisten Stimmung verbreiten, aber sie sind unter den potentiellen Stadionbesuchern zahlenmässig trotzdem eine kleine Minderheit. Teile dieser Minderheit sorgen zudem dafür, dass viele potentielle Zuschauerschichten nicht (mehr) ins Stadion kommen und verhindern ein grösseres Wachstum der Zuschauerzahlen. Ein Beispiel dieses „Kulturkampfes“ zwischen einem Teil der Kurve und dem Rest der zahlenden Zuschauer konnte ich bei der Hardturm-Dernière mitverfolgen. Gegen Ende des Spieles wurde in der GC-Kurve massenweise Pyro gezündet. Die Zuschauer auf der Tribüne Ost direkt darüber wurden richtiggehend vergast. Der Gestank war fürchterlich und einige bekamen Atemprobleme. Es kam zu einer beinahe panikartigen Massenflucht, die mich ein bisschen an Bilder von Hillsborough und ähnlichem denken liessen. Glücklicherweise handelte es sich nur um rund 300-400 Leute, die gleichzeitig losgestürmt sind, und die Securitas öffneten reaktionsschnell alle Tore – so kamen sie aneinander vorbei. Männer schimpften wutentbrannt mit den Securitas, dass sie nichts gegen die Pyro unternehmen, den meisten Frauen standen Tränen in den Augen, drei von ihnen brachen zusammen und mussten medizinisch versorgt werden. Viele verliessen das Stadion, obwohl das Spiel noch lief. Die meisten von ihnen werden wohl nicht so schnell wieder an einen Match kommen.
Zudem ist es etwas undifferenziert, die Fankurven pauschal als die „treuesten Fans“ zu bezeichnen. In Tat und Wahrheit gehört nur ein Teil der Kurve zu den wirklich treuen Fans, genau gleich wie auf den anderen Tribünen, gibt es auch in der Kurve einen ständigen Wandel und sehr unterschiedliche Grade von Beteiligung.
Das Projekt des Stadions Zürich im Industriequartier ist nicht eingeschlafen. Es ist auf seinem langen Instanzenweg schon sehr weit gekommen. Es wäre nun im Sinne des Fussballs wirklich genau das Verkehrteste, sich von all den Instanzen, die gesetzlich nun mal möglich sind, und die ein Teil der Fussballstadion-Gegner weiterhin genüsslich ausreizt, und den entsprechenden Wasserstandsmeldungen in den Medien, zermürben zu lassen.
Das Fussballstadion ist ja bei weitem nicht das einzige Projekt in unserem Land, dem es so ergeht. Da muss sich gesetzlich etwas tun. Einsprachen sind schön und gut – aber es kann nicht sein, dass das Ganze zeitlich so extrem verzögert werden kann – es braucht weniger Instanzen. Auch sollten meines Erachtens auf an der Urne gefällten Entscheide in baulichen Fragen keine Einsprachen mehr möglich sein.
Es ist einfach eine Katastrophe, dass sich Einzelne so unsolidarisch und wie Könige aufführen können. Sie leben mitten in der Stadt, mit direktem Tram- und N1-Autobahnanschluss und gleichzeitig einem eigenen grossen Garten vor der Haustür (!), sie profitieren von allen Annehmlichkeiten, Einrichtungen und Infrastrukturen einer Stadt: dem Hauptbahnhof, dem Sihlcity, der Feuerwehr, Polizei, Unispital, Grossschulen, Vergnügungsviertel, Kehrichtverbrennungsanlage etc. – und das alles sollen bitte die anderen Quartiere tragen – die Bernoulli-Häuser hingegen sollen weiterhin eine ruhige Alpweide mitten in der Stadt sein – und es soll ja niemandem aus den anderen Quartieren in den Sinn kommen, dort in der Nähe zum Einkaufen vorbeizukommen. Und wenn die grosse Mehrheit der Stimmbevölkerung ein neues Fussball-Stadion will, dann kümmert das die Bernoulli-Könige nicht, denn die Stimmen der anderen Leute sind ihnen egal. Sie wollen stattdessen ihre eigenen persönlichen Projekte („ökologisch-sozial wegweisendes Projekt“) auf einem Stück Land realisieren, das ihnen nicht gehört.