Beitragvon zberg » 14.02.07 @ 10:50
die medien können auch anders:
bravo
GEWALT IM FUSSBALL
Feindbild Ultras
Von Dario Venutti
Eigentlich ist es verwunderlich: Nachdem mutmasslich ein 17-jähriger Ultra[90] einen Polizisten in Catania getötet hatte, warnte hier zu Lande kaum ein Fussballfunktionär oder Politiker vor italienischen Verhältnissen. Vielleicht wurde die Aufmerksamkeit schnell wieder abgelenkt durch das Testspiel der Schweizer Nationalmannschaft in Deutschland, vielleicht war der Zeitpunkt einfach nicht günstig genug. Die Rückrunde der Meisterschaft beginnt erst an diesem Wochenende.
Jedenfalls gehört es in der Schweiz seit Jahren zum guten Ton, mehr Härte im Umgang mit Ultras[100], den bedingungslosen Fans, zu fordern. Seit der Europäische Fussballverband (Uefa) die Europameisterschaft 2008 an Österreich und die Schweiz vergeben hat, bestimmt nebst dem Geld das Thema Sicherheit die öffentliche Diskussion. Dadurch hat sich die Wahrnehmung verändert: Die Gewalt an Fussballspielen in der Schweiz erscheint als ein neuartiges Problem, das sich häufe und zuspitze, zuletzt bei den Krawallen nach dem Spiel Basel - Zürich am 13. Mai 2006. Dabei ist Gewalt im Stadion so alt wie der Fussball selbst. Noch in den 70er-Jahren beispielsweise standen rivalisierende Fans nicht in getrennten Sektoren, sondern vermischten sich im ganzen Stadion. Dabei kam es immer wieder zu Schlägereien, sie wurden durch die Medien allerdings nicht weiterverbreitet.
Ultras[100] in der Schweiz sind nicht grundsätzlich gewaltbereit - jedenfalls nicht mehr, als es jener Zuschauer auf der VIP-Tribüne des St.-Jakob-Parks war, der nach der Niederlage des FC Basel am 13. Mai den damaligen FCZ-Präsidenten Sven Hotz attackierte; als Folge davon leidet Hotz noch heute unter Rückenschmerzen. Die Mehrheit der Schweizer Ultras[100] will eine selbstbestimmte Fankultur leben, die sich zusammensetzt aus Gesängen, Choreografien und bengalischen Fackeln. Sie gehen deshalb kaum an Spiele der Nationalmannschaft, weil dort die Sponsoren Fahnen zur Verfügung stellen und die Zuschauer diese auf Geheiss des Stadionsprechers schwenken. Die Ultras[100] der Zürcher «Südkurve» aber lehnten Angebote des Vereins, ihre Choreografien zu sponsern, ab; sie finanzieren sich lieber durch Spenden aus den eigenen Reihen und den Verkauf eigener Fanartikel.
Skin und Secondo
Die Dämonisierung dieser Jugendsubkultur trägt dazu bei, dass gewaltbereite Personen in die Kurve der Ultras[100] gehen. Sie werden angezogen vom Eindruck, die Kurve sei ein rechtsfreier Raum, ein Ort für Prügeleien und ein Schauplatz des Primitiven. Dabei wollen die Ultras[100] selbst diese Leute gar nicht im Stadion haben: Am letzten Derby in Zürich kam es in der «Südkurve» zweimal zu Schlägereien, worauf Exponenten der Ultras[100] eingriffen und die Situation beruhigten.
Solche positiven Beispiele werden von Funktionären, Politikern und Medien in der Regel übersehen oder ignoriert. Der Wahrnehmung, die Gewalt nehme zu, steht die Tatsache gegenüber, dass rassistische Sprüche in den letzten Jahren praktisch verschwunden sind. Im Gegensatz zu Italien hört man in Zürich oder Basel kaum mehr Affengeräusche, wenn ein schwarzer Fussballer am Ball ist. Und ebenfalls im Gegensatz zu Italien sind faschistische Ultras[100] in der Schweiz eine kleine Minderheit. Die meisten Kurven sind politisch neutral, sodass es etwa in der «Südkurve» möglich ist, dass ein Skin neben einem Secondo steht. Überhaupt ist die Zürcher «Südkurve» ein heterogenes Gebilde, das aus Akademikern, Schülern, Maurern und Sozialfällen besteht. Was die Kurve zusammenhält, ist nebst dem FCZ die virtuelle Identität, «asoziale Zürcher» zu sein - der Abschaum von Zürich, dessen Heimat das Langstrassenquartier ist. Dies bringen die Zürcher Ultras[100] in ihren Gesängen zum Ausdruck und provozieren dadurch bewusst den bürgerlichen Geschmack.
Einbahnstrasse
Die Gewalt im Schweizer Fussball wird durch die Art des Umgangs mit ihr eher verschärft. Kaum ein Funktionär ist jemals in eine Kurve gestanden, um sich ein Bild zu machen. Sämtliche Verbands- und Vereinsgremien, die sich mit Fans befassen, betrachten diese ausschliesslich als Sicherheitsrisiko. Dementsprechend tragen die meisten Sicherheitsbeauftragten auch noch den Zusatz Fanbeauftragter, und gleichzeitig wird in diesen Gremien über den Umgang mit Fans gesprochen, ohne sie in die Diskussionen einzubeziehen. Ein beredtes Beispiel dafür war jüngst die Sicherheitskonferenz von Bundesrat Samuel Schmid im Hinblick auf die Euro 2008: Alle betroffenen Kreise nahmen daran teil, mit Ausnahme der Fans. Ein hilfloser Versuch, das Problem anzugehen, ist der Brief von Fussballverbandspräsident Ralph Zloczower an alle Klubpräsidenten, in dem er sie zu einem «Pakt gegen Auswüchse» auffordert.
Die Verbands- und Vereinsfunktionäre unterschätzen, dass sie die Ultras[100] in die Radikalität treiben, wenn sie deren Freiräume ersticken. In der ersten deutschen Bundesliga dagegen ist die Gewalt in den Stadien praktisch verschwunden, nachdem sich Fans und Vereine zur Zusammenarbeit aufgerafft hatten und die Regeln nicht mehr einseitig von den Funktionären bestimmt werden. Zahlreiche Projekte und eine gut organisierte Fanschaft haben dazu beigetragen, die Lage zu beruhigen. Wo hingegen das Geld für solches fehlt, vor allem in den unteren Ligen, ist Gewalt an der Tagesordnung.
Vielleicht könnte die Schweiz von Deutschland lernen, statt Italien zu fürchten.
Aus den Ultras[100]-Kurven in Zürich und Basel hört man kaum mehr rassistische Sprüche.