Ist ein gut geschribener und Interessanter Artikel!
Rauchschwaden über dem Parlament
Haschisch verlangsamt die Reaktionszeit - auch dann, wenn man bloss darüber redet.
Der Nationalrat hat spürbar Angst davor, endlich die Hanfliberalisierung zu diskutieren. Wieso eigentlich?
Von Jean-Martin Büttner, Bern
Wir sehen die besten Köpfe unserer Generation, vom Hanf betäubt, lethargisch in der Schulbank liegen. In den Vorortszügen ist die Luft zum Schneiden, auf der Strasse ist das freie Kiffen angesagt. Sackweise wird der Stoff über die Grenze geschafft, eine hilflose Polizei muss zusehen, wie die Schweiz sich als Exportland für Hanfprodukte unangenehm empfiehlt. Lehrer warnen, Eltern klagen, Experten und Laien fragen sich: Wird man vom Kiffen blöd? Bekommt man eine Psychose? Macht das Kraut süchtig? Oder wenigstens depressiv und ein bisschen seltsam?
Inkonsequent, willkürlich, unlogisch
Wir reden hier nicht von der Zukunft einer enthemmten Drogenschweiz, wir reden über die Gegenwart, wie sie sich unter dem herrschenden Betäubungsmittelgesetz präsentiert. Dieses ist zwar dermassen streng formuliert, dass es selbst den Konsum illegaler Substanzen unter Strafe stellt und damit eine ganze Generation kriminalisiert. Andererseits orientiert sich das Gesetz weder an der Suchtgefahr noch am Gesundheitsrisiko, kein Wunder: Tabak und Alkohol müssten gleich verboten werden.
Nun wird dieses Gesetz seit längerem nicht angewandt beziehungsweise, was schlimmer ist: in reiner Willkür vollzogen. Da wird jahrelang eine offene Szene geduldet, dann fährt die Polizei ein, macht die Hanfläden zu, vernichtet die Felder und transportiert die Ernte ab. Da wird jugendlichen Kiffern bedeutet, dass sie sich strafbar machen, nur werden sie dafür bloss in den eher ländlichen Kantonen verfolgt, während sich anderswo niemand mehr darum kümmert, bis es einen kantonalen Polizeichef wieder einmal packt. Auf den Konsum haben solche Aktionen keinen Einfluss, auf die Glaubwürdigkeit der Autoritäten keinen guten.
Dennoch sind die Hardliner in der Drogenpolitik wieder im Kommen. Dreissig Jahre erfolglose Repressionspolitik sind ihnen nicht genug. Die völlige Überlastung von Justiz und Polizei mit Bagatellfällen ist kein Argument für sie. Die steigende Zahl junger Drogenkonsumenten dient ihnen bloss als Vorwand dafür, noch härter gegen sie vorzugehen. Seit der Ständerat vor bald zwei Jahren und nach angenehm nüchterner Debatte beschloss, das Betäubungsmittelgesetz zu liberalisieren und dabei Anbau, Verkauf und Konsum von Hanfprodukten sehr beschränkt zuzulassen, hat ein massives, geldintensives und wirksames Lobbying gegen die Drogenliberalisierung eingesetzt.
Permanentes Pressing
Seither beklagen sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier darüber, mit unzähligen Mails und Zuschriften belästigt zu werden, die sehr ähnlich abgefasst sind und alle dasselbe wollen. Medien und Parlament werden mit Broschüren, teuren Inseraten und Telefonaten bearbeitet. Was den Lobbyisten nicht gelungen ist, vollstreckt die SVP mit ihrem Druck auf die rechte Mitte. Jetzt wollen Teile des Freisinns und die Mehrheit der CVP von der Hanffreigabe nichts mehr wissen.
Die Gegner einer Liberalisierung haben ein anderes Ziel: Sie wollen unbedingt verhindern, das Referendum gegen die Revision ergreifen zu müssen. Das wäre aufwändig, teuer und unsicher. Alle Abstimmungen, die eine härtere Drogenpolitik verlangten, sind verloren gegangen. Um eine weitere Niederlage zu verhindern, will die Rechte das Betäubungsmittelgesetz heute im Nationalrat an den Ständerat zurückweisen mit dem Auftrag, es wieder zu verschärfen; gleich sechs Nichteintretensanträge sind eingereicht worden.
Mitte und Linke werden versuchen, auf das Gesetz einzutreten und es dann auf eine Warteschlaufe zu schicken; die Kommission soll Fragen zum Jugendschutz, zur Lenkungsabgabe und zum kontrollierten Handel abklären. Freimütig räumen die Initianten des Kompromisses ein, dass auch Taktik eine Rolle spielt. So kurz vor den Wahlen will man nicht in Gefahr geraten, eine so wichtige, in langen Jahren erarbeitete Revision in Gefahr zu bringen. Der Ausgang der Debatte ist völlig offen, die Gegner im strategischen Vorteil. Nein zu sagen, war schon immer einfacher als Ja, aber.
Zeit für die Alternative
Dabei garantiert nur eine streng kontrollierte Hanfliberalisierung eine glaubwürdige und damit wirksame Prävention. Erst die Entkriminalisierung weicher Drogen wird Justiz und Polizei helfen, die Drogensyndikate zu bekämpfen. Erst die konzentrierte Repression setzt die Gelder frei, die für die andern Schwerpunkte der Drogenpolitik gebraucht werden: Schadensminderung, Therapie, Prävention.
Wer einer modernen Schweizer Drogenpolitik zustimmt, verharmlost die Gefahren des Drogenkonsums keineswegs, sei dieser Konsum nun legal oder nicht. Wer die kontrollierte Hanffreigabe unterstützt, will Jugendschutz und Prävention gerade dadurch stärken. Umgekehrt wird kein Gegner der Liberalisierung behaupten können, die Repression der letzten dreissig Jahre habe funktioniert, in der Schweiz oder anderswo. Es ist Zeit, einen anderen Versuch zu wagen. Die Fakten sind umstritten, aber bekannt, die neuen Studien widersprechen einander ebenso heftig wie die alten, die politische Diskussion kann geführt werden. Das ist das Parlament seinen Wählerinnen und Wählern schuldig - ob sie nun kiffen oder nicht.