Im Rahmen einer Task Force beteiligte sich die Zürcher Südkurve an der Suche von Lösungsansätzen in der Pyrofrage. Die ernüchternde Bilanz eines lange Zeit konstruktiven Dialogs: Nulltoleranz!
Im September 2010 wurde in Zürich die Task Force "Sport ohne Gewalt" ins Leben gerufen. Das Teilnehmerfeld erstreckte sich von Polizisten und Staatsanwälten über Vertreter des Sportamts der Stadt Zürich bis zu Vereinsfunktionären, Fanarbeiter und Fanvertreter. Die Task Force wurde in die Arbeitsgruppen „Sicherheit“ und „Prävention“ untergliedert, wobei wir, die Zürcher Südkurve, in der Präventionsgruppe Einsitz nahmen. Das Ergebnis der Task Force fällt aus unserer Sicht zutiefst ernüchternd aus: Schien lange ein kontroverser aber lösungsorientierter Dialog auf Augenhöhe unter Einbezug auch unpopulärer und unkonventioneller Denkansätze stattzufinden, so setzte sich am Ende ein eindimensionales Sicherheitsdenken durch. Die alte Task Force wurde quasi aufgelöst und eine neue Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, deren einziger Zweck in der Ausarbeitung einer „Strategie zur Umsetzung der Nulltoleranz in Sachen Pyro“ besteht. Fanarbeiter und Fanvertreter sind in dieser Arbeitsgruppe nicht mehr erwünscht und die über Monate hinweg in mühsamer Kleinarbeit ausgearbeiteten Konzepte der Gruppe „Prävention“ wurden pauschal als untauglich verworfen. Stattdessen werden vermutlich altbekannte und mehrfach gescheiterte Massnahmen präsentiert, um dem "Pyroproblem" Herr zu werden:
- Identifizierung sämtlicher Matchbesucher
- Verbot von Schwenk- und Zaunfahnen
- Verbot von Doppelhaltern
- Ans Erscheinungsbild geknüpfte Zutrittsvoraussetzungen
- Spielunter- bzw. abbruch bei Verwendung von Pyrotechnik
- Kurvenstürme durch die Polizei
- Kurvenstürme durch private Sicherheitsdienste
- Hohe Ausgaben für neue Videoüberwachung
Wir sind entschieden der Auffassung, dass ein immer repressiverer Weg mit immer mehr Vorschriften, Verboten, Kontrollen und Kollektivstrafen in eine Sackgasse führen wird. Dies lehren uns Erfahrungen aus der Vergangenheit: Die immer wieder geforderten „verschärften Eingangskontrollen“ zum Beispiel, führten insbesondere vor den Sektoren der hochgelobten modernen Stadien zu unhaltbaren Zuständen, einer aggressiven und militarisierten Grundstimmung und echten Gefährdungssituationen, wie z.B. massenpanikartigen Tumulten. Einige repressive Lösungsansätze wie zum Beispiel die im Abstimmungskampf mit Krawallbilder aus Belgrad propagierte Datenbank GAMMA existieren heute nicht mehr. Und Ligapräsidenten, die mit Statements wie „ich will in einem Jahr keine einzige Pyro mehr in den Stadien sehen“ den Goodwill der Medien auf sich zogen, sind nach zwei Jahren Amtszeit von der Bildfläche verschwunden.
Es würden sich noch unzählige weitere Beispiele für das Fehlschlagen bestimmter Massnahmen oder das Scheitern bestimmter Exponenten, die ebensolche Massnahmen propagierten, aufführen lassen. Der Kurs der verschärften Repression und der Ankündigungspolitik wird nun schon seit Jahren, seit dem Zuschlag für die Euro 2008 gefahren, ohne dass er auch nur eine der beteiligten Interessengruppen zufrieden gestellt hätte – weder Vereine noch Fans, weder Verband noch Behörden. Dass sich dennoch immer wieder Vorreiter finden lassen, die den Weg in die Sackgasse beschreiten, dürfte nicht zuletzt auf die Mechanismen der heutigen Medienlandschaft zurückzuführen sein. Mehr oder weniger schwere, in jedem Fall aber aufsehenerregende Vorfälle werden an prominenter Stelle oft tage- ja wochenlang medial bearbeitet. Aus Einzelfällen entsteht eine Grundstimmung und das verzerrte Bild „kriegsähnlicher Zustände in den Stadien“ beherrscht die Öffentlichkeit. Ein solches Klima bildet einen idealen Nährboden für Kurzschlusshandlungen von Politikern, Funktionären und Sicherheitsverantwortlichen. Und in einem solchen Klima wird die Pyrofrage zum Glaubenskrieg.
Populismus und Eitelkeit statt Pragmatismus und Nachhaltigkeit
Die alltägliche Realität ist indes eine gänzlich andere: Eine überwiegende Mehrzahl der Spiele der höchsten Ligen verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle – und dies obwohl Woche für Woche hunderte, ja tausende Fussballfans durch die ganze Schweiz reisen. An der Basis herrscht in der Regel ein gutes und sachliches Einvernehmen zwischen Fans und Vereinen, die sich ihrer gegenseitiger Abhängigkeit bewusst sind. Und was die Pyrotechnik betrifft, so wird diese in schweizerischen Stadien schon seit Jahrzehnten regelmässig verwendet. Gravierende Zwischenfälle liessen sich dabei an einer Hand abzählen. In den Kurven wird immer wieder auf das Risikopotential aufmerksam gemacht und klar zwischen dem Gebrauch und dem Missbrauch von Pyrotechnik (Werfen etc.) sowie zwischen der Verwendung von Fackeln und unerwünschten Knallern differenziert. Die absolute Sicherheit und der Ausschluss jeglicher Missbräuche vermag aber auch eine solche Selbstregulierung nicht zu gewährleisten – genauso wenig wie dies repressive Massnahmen wie das seinerzeit als Patentlösung verkündete Hooligan-Konkordat vermögen.
Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die seltenen Zwischenfälle mit Pyrotechnik absurde behördliche Bevormundungen, wie Kleidervorschriften oder Intimkontrollen, die in einem freiheitlichen Rechtsstaat in anderen gesellschaftlichen Bereichen undenkbar wären, rechtfertigen. Noch absurder erscheint es, wenn man die physische Integrität der Spielbesucher, die durch das fachgerechte Abbrennen von Pyrotechnik nur in Ausnahmefällen tangiert wird, durch mit Blockstürmen unweigerlich verbundene Eingriffe in eben jene physische Integrität zu schützen versucht. Dass verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Verhältnismässigkeit scheint im Zusammenhang mit Sicherheits- und Fanfragen je länger je mehr aufgehoben.
In diesem Zusammenhang taucht von verschiedener Stelle immer wieder die Kritik an uns Fans auf, dass wir lediglich zu kritisieren wüssten, selbst aber nie Hand für Lösungen bieten würden. Abgesehen davon, dass eine solche Kritik meist in Unwissen über die von uns wöchentlich verrichtete Basisarbeit erfolgt, zeigt doch gerade unser Einsitz in der Eingangs erwähnten Task Force, dass wir dialogbereit und gewillt sind, uns bei der Lösungssuche einzubringen. Im Rahmen unserer Mitarbeit bei der Task Force erarbeiteten wir ein Arbeitspapier, welches unter der Berücksichtigung der Sicherheitsfrage mögliche Wege der Entkriminalisierung von Pyro aufzeigen sollte. Wir hatten die Hoffnung, dass in einer Stadt, in welcher verschiedene Herausforderungen in der Vergangenheit oft mit liberalen und pragmatischen Ansätzen (Drogenabgabestellen, Strassenstrichzonen, die erkämpften Freiräume verschiedener Jugendbewegungen) gelöst wurden, eine Umkehr aus der Sackgasse möglich wäre.
Einige Wochen nach der Präsentation unseres Konzepts wurden wir gemeinsam mit anderen Fanvertretern von den zwei zuständigen Stadträten zu einem Gespräch eingeladen. Dort wurde uns mitgeteilt, dass der Vorschlag zwar gut sei, man sich in der Pyrofrage aber für den Weg der Nulltoleranz entschieden habe. Dies auch in Bezug auf die Abstimmung zum neuen Stadion in Zürich West, vor allem aber aufgrund des politischen und medialen Drucks. Eine entlarvende Begründung, die den Sieg von Populismus und Eitelkeit über Pragmatismus, Nachhaltigkeit und echter Dialogbereitschaft nicht eindrücklicher vor Augen führen könnte.
ZÜRCHER SÜDKURVE
http://www.suedkurve.ch