Beitragvon billy » 21.05.06 @ 10:24
Sie kriegen die Kurve nicht
Würden die Klubs ihre jungen Fans ernster nehmen, gäbe es weniger Zwischenfälle
«Sie machen mit uns, was sie wollen », schimpft ein Anhänger des gerade Meister gewordenen FC Zürich. Und die anderen im Raum, alles FCZ-Fans, stimmen ihm besorgt zu. Was ist los?
Der FCZ muss, weil der Letzigrund abgebrochen wird, nächste Saison im Hardturm spielen, dem Stadion des Stadtrivalen GC, und die Fans werden keine eigene Kurve mehr haben. Die Leute aus der berühmt-berüchtigten Südkurve werden in der Estrade Ost stehen müssen, dem Territorium der hart gesottenen GC-Fans.
FCZ und GC haben das beschlossen, zusammen mit der Stadt Zürich und der Polizei; günstige Saisonkarten gibts nur für die Estrade Ost, für beide Fangruppen. Einbezogen wurden diese nicht. Erst als das Vorhaben praktisch beschlossen war, als sich Widerstand in Form einer Unterschriftensammlung bemerkbar machte, wurden sie an eine Sitzung eingeladen. Dort wurde erklärt, es liesse sich nichts mehr ändern.
Am Freitagabend trafen sich die harten Fans aus der Südkurve in der Flachpass-Bar im Letzigrund, um sich zu beraten. Die FCZ-Ultras möchten in der Estrade West stehen, dort, wo sie als Gäste bei den Spielen des FCZ im Hardturm seit Jahr und Tag ihre Mannschaft anfeuern. Junge Männer, die 1981, beim letzten Titel des FCZ, noch nicht geboren waren, sprechen vom Verlust von Werten, von Tradition und Stolz.
Rauchgeschwängerte Luft, rauchende Köpfe, eine uferlose Diskussion mit Voten, aus denen Unzufriedenheit und Frust triefen. In der Luft eine latente Aggression. Man wähnt sich an einer Vollversammlung der Jugendbewegung, ein Vierteljahrhundert früher.
Ein paar der Älteren mahnen zu Vernunft. Die Ausschreitungen in Basel am Samstag vor einer Woche bedeuteten eine Zäsur, sagt einer, nun würde durchgegriffen; alle, die sich schlecht benähmen, würden mit Stadionverboten bestraft, und diese würden nun auch durchgesetzt. Mit dem Kopf durch die Wand wollen bringe nichts. Leichter Applaus.
Vielleicht stille Proteste – oder Tränengas und Gummischrot
«Dann müssen wir halt unseren Grind hinhalten», sagt ein junger Mann, gross, athletisch, mit Flackern in den Augen. Applaus. Eine Abstimmung ergibt: Die Mehrheit will auf die Estrade West. Wie man das Ziel zu erreichen gedenkt, bleibt offen. Klar ist nur: Ein Konflikt bahnt sich an, der vielleicht in stillen Protesten, mit einer leeren Fankurve beim ersten FCZ-Spiel im Hardturm, oder aber mit fliegenden Steinen, Tränengas und Gummischrot endet.
Es ist ein weiteres Kapitel im Kulturkampf, der die Fussballstadien erschüttert. Jung gegen etabliert, Adoleszenz gegen Staatsgewalt, Subkultur gegen Kommerz, Fans gegen Funktionäre.
«Die Sicherheit», sagt GC Sicherheitschef Peter Landolt, sei der Grund für die Lösung mit einer Fankurve für beide. Es gäbe sonst Probleme für die Gästefans, und es gäbe Probleme, wenn Sponsoren und VIPs am selben Eingang anstehen müssten wie die vielleicht pöbelnden Gästefans.
Die Fans aus der Südkurve schimpfen über den GC-Sicherheitschef, der eigenen Vereinsleitung gegenüber zeigen sie sich gnädiger. Von einem «fehlenden Bezug zur Fankultur» spricht Luca Salomon, einer der Sprecher der Südkurve. Hätte der FCZ wirklich gewollt, so hätte er den Wunsch der Fans erfüllen können. Aber offenbar sei die Sicherheit wichtiger als die Fankultur.
GC und FCZ könnten vermutlich beides: die Wünsche ihrer Fans erfüllen und für Sicherheit sorgen. Aber sie müssten Geld ausgeben, für zusätzliche Zäune und Eingänge. Das wollen sie nicht – obwohl sie nächste Saison keine Stadionmiete bezahlen, denn die Betriebskosten werden von der Stadt Zürich getragen.
Diverse Zwischenfälle der letzten Zeit hätten vermieden werden können, hätten die Vereine die Gefühlslage ihrer Fans ernster genommen. So weigerte sich der FC Basel für das Spiel vom letzten Samstag, vor der Muttenzerkurve ein Gitter zu errichten, mit dem Hinweis, seine Fans hätten zu Hause noch nie das Feld gestürmt; ausserdem sei ein Gitter gefährlich und provoziere. Doch: Ein Gitter wäre von den Fans begrüsst worden (Interview Seite 18).
Nach dem letzten Heimspiel des FCZ gegen Yverdon rissen Fans Hunderte von Sitzen aus den Tribünen – als Souvenir. Der FCZ hatte es versäumt, die Fans aufzufordern, mit der Souvenirjagd zuzuwarten, weil das dem Abbruch geweihte Stadion noch für ein Länderspiel und das Leichtathletikmeeting gebraucht wird.
Ähnliche Umstände hatten Ende Mai 2005 FCB-Fans dazu verleitet, Teile der Stehrampe im Zürcher Hardturm zu demontieren und anzuzünden. Im Internet waren Gerüchte kursiert, dass das Stadion danach abgebrochen wer de. GC hatte zu spät und wohl zu zurückhaltend dementiert.
Zu den Ritualen des Fussballbetriebs gehört, dass sich Funktionäre und Kommentatoren von gewalttätigen Anhängern distanzieren, indem sie erklären, diese seien gar keine Fans. Diese pauschale Unterstellung greife zu kurz, findet Thomas Busset vom Centre International d’Etude du Sport an der Universität Neuenburg. Diverse Untersuchungen in ganz Europa hätten ergeben, dass Ultras sehr wohl Fans seien, also wegen des Fussballs ins Stadion gingen. Natürlich müsse man klar machen, dass gewalttätiges Verhalten nicht in Frage komme.
Der Fussball selbst sei nicht frei von Gewalt, sagt Busset. Auf dem Feld wird gefoult, provoziert, es fallen Schimpfwörter. Darum sei es teilweise verständlich, dass Teile des Publikums den Gegner mit abschätzigen Begriffen eindeckten.
Ein Patentrezept zur Lösung des «Gewaltproblems» gebe es nicht. Busset, der über Hooliganismus forscht, empfiehlt den Klubs, «mehr im präventiven Sinn» zu machen und «Fangruppen, auch nicht offizielle», mehr einzubeziehen. Fanprojekte «in einem gesamtstädtischen Rahmen » sollten als Anlaufstellen für Jugendliche dienen.
In der Schweiz gibt es zurzeit nur das Fanprojekt des FC Basel. Dessen Erfolg sei schwierig einzuordnen, sagt FCB-Sprecher Josef Zindel. «Es geht auch darum, die Fans, die auf dem Grat stehen, auf die richtige Seite zu holen.» Fussballfunktionäre und Sponsoren träumen von «englischen Verhältnissen ». Von zahlungskräftigen, begeisterten, gesangsfreudigen und doch gesitteten Fans. Für den FCZ-Fanbeauftragten Alexander Kuska ist das ideale Stadion eines, in dem es «nur Sitzplätze gibt, damit Sicherheitskräfte Krawallmacher besser lokalisieren können».
Die Ultras aus der Südkurve sehen das anders. Sie wollen Stehplätze. Sie geloben Selbstregulierung, weisen darauf hin, dass aus ihrer Ecke schon lange keine Petarde mehr aufs Feld geflogen sei. Die Kurve sei «ein Mikrokosmos, ein geschlossener Raum, in dem man sich wohl fühlt, mit einem Gitter, das man traktieren kann, ohne dass es reagiert». Sie entwerfen und realisieren mit grossem Aufwand spektakuläre Choreografien. Das «Einzige», was sie dafür vom Verein erwarten, ist «Respekt bei Dingen, die die Fans betreffen». Sie hoffen, vom FCZ unterstützt zu werden, damit das Zünden von bengalischem Feuerwerk in der Kurve wieder erlaubt werde, weil das die Spieler auf dem Feld unterstütze.
Der Wunsch dürfte kaum in Erfüllung gehen.
Quelle: SZ