Stellungnahme Fanarbeit Schweiz:
Zentrum Passepartout
Sandstr. 5 3302 Moosseedorf
Moosseedorf, 15. September 2008
Stellungnahme zum Massnahmenpaket für einen Sicheren Sport
Die Fanarbeitenden der Schweiz möchten auf die Massnahmen für einen sicheren
Sport wie folgt Stellung beziehen:
Generell:
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Repressive und präventive Massnahmen sind beide gleichsam notwendig. Beim
vorgestellten Massnahmenpaket handelt es sich aber lediglich um repressive
Massnahmen. Von der Gewichtung her ist das Massnahmenpaket –
insbesondere die Biometrie – falsch. Solange Prävention nicht ernsthaft gefördert
und betrieben wird, ist eine derartige Gewichtung von Repression Fehl am Platz.
Bereits die Präfixe der beiden Worte (Prä = vor / Re = zurück) zeigen die richtige
Reihenfolge auf. Derart repressive Massnahmen dürften erst zur Diskussion
gestellt werden, wenn sämtliche präventiven Anstrengungen bereits eingeleitet
wurden und keine Änderung der Situation herbeiführen konnten. In der Schweiz
werden aber präventive Massnahmen (worunter auch die Fanarbeit fällt) noch
immer zu stiefmütterlich behandelt.
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Wir bedauern sehr, dass einmal mehr ein fehlender Einbezug der Fans
festzustellen ist. Damit werden die Fans vor vollendete Tatsachen gestellt. Das
kann – ganz abgesehen von der Inadäquanz der Massnahmen – zu einer
Eskalation führen.
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Wir stellen fest, dass die Meinung von Fanarbeit Schweiz zu diesem
Massnahmenpaket bereits im Entstehungsprozess eingeholt wurde. Sämtliche
geäusserte Kritiken und Bedenken fanden aber keine oder nur geringfügige
Beachtung. Einen Dialog zwischen gleichwertigen Partnern stellen wir uns anders
vor. Wir sind und waren schon immer dialogbereit, lassen uns dabei aber nicht als
Feigenblatt vor einer einseitig bepackten Karre spannen.
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Die Hooligan-Datenbank hat zurzeit 440 Personen registriert. Das entspricht
einem Anteil von 0.006% der Schweizer Bevölkerung. Es ist daher auch fraglich,
ob wir im Schweizer Sport tatsächlich ein derart grosses Problem haben, das
diese Massnahmen rechtfertigen würde.
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Der Versuchszeitraum dieses Massnahmenpakets spottet jeglicher
wissenschaftlicher Massstäbe. Das Massnahmenpaket wird zwar evaluativ
begleitet. Wir ziehen aber in Zweifel, ob dabei aussagekräftige Resultate
herausschauen. Vielmehr handelt es sich um Einzelfallstudien bei denen allfällige
festgestellte und erwünschte Effekte von vielen anderen Faktoren als lediglich
den angewendeten Massnahmen abhängen können. Es werden zudem mehrere
Massnahmen gleichzeitig angewendet, was ein Rückschluss allfälliger Effekte
unmöglich macht.
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Massnahmen wie diese führen immer wieder zu Verlagerungen und machen den
Regelverstoss zum Teil noch attraktiv. Gerade Jugendliche wollen Grenzen
austesten. Die vorgeschlagenen Massnahmen führen zu einer Art „Räuber und
Poli“-Spiel und verleiten geradezu, die gesetzten Schranken zu umgehen.
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Wir kritisieren ausserdem an diesem Pilotprojekt, dass keine klare Linie
vorhanden ist. Man scheint mal diese, mal eine andere Massnahme
auszuprobieren. Eine klare Linie ist aber wichtig und gibt den Fans
Verhaltenssicherheit, die auch deeskalativ wirkt.
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Wir erachten dieses Papier als ein politisches Papier, deren Umsetzung und
Realisierbarkeit zu wenig geprüft wurde. Zumindest erkennen wir nicht, dass
Fachleute aus der Basis hinzugezogen wurden. Die Vergangenheit zeigt, dass
gerade solche politisch geprägten Papiere zu Unverständnis in der Fansszene
und neuen Konfrontationen führt.
Zu den einzelnen Massnahmen möchten wir uns wie folgt äussern:
Biometrie:
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Biometrie ist – und dies bestätigen Experten auf diesem Gebiet – nur sehr
beschränkt effizient. Um Biometrie wirklich und effizient anwenden zu können,
braucht es eine Vereinzelung, dürfen die Personen keine Schals, Sonnenbrillen
oder Käppis tragen. Würde all dies durchgesetzt – vor allem die Vereinzelung in
der Masse – trüge dies eher zu einer Eskalation als zu einer Deeskalation bei.
Vereinzelungen in grossen Massen sind immer heikel.
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Einige der vorgeschlagenen Massnahmen bewegen sich im juristischen
Graubereich. Der Auftrag für dieses Massnahmenpaket stammt vom runden
Tisch, an dem Vertreter aus Polizeikreisen und aus der Politik sitzen. Es ist
bedauerlich, dass gerade aus diesen Kreisen ein Vorschlag gestützt wird, der sich
nicht strikte an gesetzliche Vorgaben zu halten scheint. Das ist auch ein
schlechtes Zeichen gegenüber der Jugend.
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Das Datenmaterial für aussagekräftige Resultate zur Biometrie ist derzeit nicht
vorhanden. Im Konzept sind Vorschläge formuliert für die Gewinnung von
zusätzlichem Datenmaterial, die aber teils juristisch fragwürdig sind oder
schlichtweg unrealistisch. Dies betrifft namentlich die so genannte Selbst-
Deanonymisierung. Zudem erkennen wir eine Absicht, in Zukunft ganze
Fankurven biometrisch erfassen zu wollen um an abgleichbare Daten zu
kommen. Dieses Vorhaben grenzt an einen Kontrollwahn, der weder gesetzlich
abgestützt, politisch tragbar noch gesellschaftlich akzeptierbar ist.
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Anzufügen ist weiter,, dass die zu erwartenden Erkenntnisse (ob der bereits
skizzierten Ausgangslage) in keinem Verhältnis zu den Kosten stehen.
Alkohol:
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Wissenschaftlich ist kein linear kausaler Zusammenhang zwischen Alkohol-
Konsum und Gewaltbereitschaft festzustellen. Zwar wirkt Alkohol unbestritten
enthemmend auf gewaltbereites Verhalten. Viele andere Faktoren sind dabei
aber auch ausschlaggebend. Namentlich Tabellensituation, Spielverlauf und die
Art und Weise wie den Fans begegnet wird. Hier wäre ein Umdenken vom „Fan
als Risikofaktor“ hin zum „Fan als Kunde und wichtiger Bestandteil des Sports“
viel effizienter.
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Alkoholverbote haben nicht den Effekt dass weniger Alkohol bei einem
Fussballspiel getrunken wird. Vielmehr verlagert sich der Konsum zeitlich und
mengenmässig vor das Fussballspiel (in Restaurants, zu Hause), was zu neuen
Problemen führt (Fans kommen später und alkoholisierter zum Fussballspiel, was
einen zusätzlichen Druck auf die Eingangskontrolle ergibt)
Zeitweilige Aufhebung von Fantrennung:
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Fans wollen sich gruppieren unter ihresgleichen. Dies ist auch ein wichtiges
Element der viel gelobten Stimmung in einem Stadion. Die Vorstellung, dass
Kurvenfans – unabhängig vom Verhältnis der beiden Fangruppierungen
zueinander – in der selben Kurve stehen, ist utopisch und widerspricht der
Fankultur der Kurvenfans, die “ihre“ Kurve klar als Heimat, beinahe schon als
Heiligtum, betrachten. Hingegen wäre eine Auflösung von Sektorentrennung im
Heimfan-Bereich vorstellbar.
Einführung eines integralen Tickets:
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Diese Massnahme erinnert stark an die Einführung eines Fanpasses, wie bereits
vor zwei Jahren. Die Erfahrungen von damals zeigen aber, dass diese
Massnahme undurchführbar ist, weil sie eben zu bereits erwähntem
Verlagerungs-Effekt führt. Die Einführung eines Fanpasses führte zu massiven
Boykottaktionen der Fans, daraufhin wurde die Idee zurückgezogen.
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Die Schweizer Stadien sind selten ausverkauft. Die Clubs können es sich also gar
nicht leisten, lediglich InhaberInnen eines integralen Tickets ins Stadion zu
lassen. Und so lange es keine Rolle spielt, ob man ein integrales Ticket hat oder
nicht, wird dieses Angebot nur wenig benutzt werden.
Schlussfolgerung:
Abschliessend fordern wir, anstatt ständig neue repressive Massnahmen einzuführen
und damit Gefahr einer Eskalation der Situation zu laufen, dass:
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Die Tatsache anerkannt wird, dass Gewalt in den Fussballstadien in den letzten
Jahren nahezu verschwunden ist und die Selbstregulierung innerhalb der
Fanszenen immer besser funktioniert.
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Der Dialog mit den Fans und der Einbezug ihrer Anliegen und Bedürfnisse
gefördert wird,
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Die Argumente der Fanarbeit ernst genommen werden und sie als gleichwertige
Partner am Tisch sitzen,
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Die präventiven Anstrengungen, die bereits gemacht werden oder in Planung
sind, massiv zu unterstützen,
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Die Fans als Kunden und Menschen zu betrachten und nicht als Sicherheitsrisiko
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Mit neuen Massnahmen nicht ständig einen Teil von Fussballfans zu
kriminalisieren. Massnahmen in einem Fussballstadion müssen daher immer auf
alle Fans und Sektoren anwendbar sein.
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Einen Paradigmenwechsel hin zu „Prävention kommt vor Repression“ zu
vollziehen.
Fanarbeit Basel, www.fanarbeit-basel.ch
Fanarbeit Bern, www.fanarbeit-bern.ch
Fanarbeit Luzern, www.fanarbeit-luzern.ch
Fanarbeit Zürich