Beitragvon fischbach » 25.05.06 @ 5:50
und up
Euphorie und Gewalt
Dein Feind, der Hooligan · Ist die Gewalt der Hooligans wirklich so schrecklich? Gibt es keine anderen gesellschaftlichen Übel? Für die Politik gibt es offenbar nichts Besseres.
Von Katrin Meyer
Fussball ist im Moment das Gemeinschaftsbildende überhaupt, das sogar die Sessionsdaten des Nationalrats ins Wanken bringt. Besonders die Gewalt im Sport und die Frage der Sicherheit gehören derzeit zu den brennendsten Problemen der Politik. Der Hooligan, der durch die Medien geistert und die Öffentlichkeit fasziniert, ist das neue Paradigma des «inneren Feindes». Die Art, wie mit ihm umgegangen wird, ist Teil von weit ausgreifenden Sicherheitstechniken. Damit verabschiedet sich die staatliche Politik von einem Verständnis von Öffentlichkeit, die als ein Raum für gemeinsames Handeln gedacht wird, und definiert sie zunehmend als Feld, in dem sich der innere oder äussere Feind manifestiert.
Chefsache Sicherheit
Warum aber ist die Sicherheitsfrage an Fussballspielen zur «Chefsache» geworden und beherrscht die Debatten der Politik? Ist diese Gewalt bei Sportveranstaltungen wirklich so schrecklich, so flächendeckend, so brutal, so nachhaltig, so gefährlich und weit verbreitet? Gibt es denn keine anderen Übel in der Gesellschaft, die zur Chefsache werden müssten oder könnten? Wie wäre es mit dem Thema Lärm, Armut, Prekarität, Einsamkeit, Krankheit, Freudlosigkeit, Stress, Luftverschmutzung oder hässliche Architektur? «Weder Legitimität noch Gewalt», schreibt der deutsche Soziologe Niklas Luhmann, «kommen ohne Vermittlung symbolischer Prozesse zustande.» Beide zirkulieren in einem System der Macht und übernehmen darin jeweils spezifische Funktionen. Es muss also etwas dran sein am Hooligan, das ihn für die Politik und die mediale Öffentlichkeit interessant macht. Die Gewalt des Hooligans hat im Rahmen der politischen Ordnung eine spezifische symbolische Bedeutung.
Folgen wir der Darstellung der Sicherheitsexperten und ihrem medialen Echo, so repräsentiert der Hooligan einen bestimmten Typus der Gewalt. Diese ist stumm, dumm, ereignishaft und sinnlos. Sie hat keine Geschichte, keinen Kontext, keine Struktur, sondern nur eine physikalische, unmittelbare Präsenz. Die Gewalt des Hooligans ist keine Sprache, die ja immer über sich hinaus weist in ein Sprechen ohne Anfang und Ende, sondern sie ist ein fragmentierbares und isolierbares Ereignis, das sich klar eingrenzen und identifizieren lässt.
Diese Wahrnehmungsform von Gewalt transportiert einen enormen Entfremdungseffekt. In dem Mass, in dem die isolierte Gewalt unverständlich (gemacht) wird, rückt sie in einen radikalen Gegensatz zur sozialen Ordnung, die als sinnhaft gilt. Von der Wahrnehmung der Gewalt als das «Andere» des sozial Sinnhaften ist es nur ein kleiner Schritt zur Unterstellung, dass es «die Anderen» sind, die Gewalt ausüben. Symptomatisch dafür war das Erstaunen vieler Kommentatoren nach den jüngsten Ausschreitungen in Basel, dass die Gewalt tatsächlich von Fans aus Basel ausging. Nur kurz war das Erschrecken über die «Schande von Basel», dann wurden die Reihen sogleich wieder geschlossen: Es könne sich bei den Randalierern unmöglich um «wirkliche» FCB-Fans gehandelt haben. Die Gewalt, heisst das im Klartext, kommt nie vom Eigenen, sondern immer vom Fremden, wie nah einem dieses Fremde auch sein mag. Gewalt wird von den Anderen ausgeübt - den Unzivilisierten, den Barbaren, den Monstern. Diese Zuschreibung strukturiert die rassistische und nationalistische Wahrnehmung generell und dringt in die Sprache ein, mit der wir Handlungen von Ausländern und Ausländerinnen beschreiben.
Feindbilder und Sündenböcke
Der politische Effekt der Entfremdung und Fragmentierung der Hooligangewalt liegt auf der Hand. Diese Sicht auf Gewalt produziert nicht nur Feindbilder und Sündenböcke, die aus der Wir-Gemeinschaft ausgegrenzt werden und diese enger zusammenrücken lassen, sondern mit ihr legitimiert sich auch eine spezifische Form der politischen Gewaltbekämpfung. Sie agiert nicht kontextbezogen und strukturell, indem sie die Gewalt als Teil des eigenen sozialen Narrativs analysiert und angeht. Sondern sie reagiert technisch und generalisierend, indem sie Datenbanken, biometrische Kontrollen, Rayonverbote und präventive Inhaftierung auch Minderjähriger in Aussicht stellt. Der Hooligan dient als Rechtfertigung für die Aufrüstung der Polizei und die Aufwertung der privaten Sicherheitsfirmen.
Die Massnahmen gegen die Gewalt im Fussball, die vom Bundesrat ge-plant sind, verletzen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, wonach jeder Mensch im Zweifelsfall unschuldig ist, bis ihm ein Gericht in einem gesetzlich geregelten Verfahren die Schuld nachgewiesen hat. Die Präventivhaft kehrt die Unschuldsvermutung um, und die Tatsache, dass die staatliche Datenbank von privaten Sicherheitsfirmen gespeist werden kann, ohne dass die Betroffenen dagegen Rechtsmittel in Anspruch nehmen könnten, schafft einen rechtsfreien Raum. Das Gesetz, mit dem diese Massnahmen ermöglicht werden sollen, heisst «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit» (BWIS). Dieser Titel lässt aufhorchen: Im BWIS - oder «Hooligangesetz» - kommen Fussball und staatliche Politik eindrücklich zusammen, weil sich beide um einen inneren oder äusseren Feind gruppieren. Die innere Sicherheit wird demnach nicht nur durch den internationalen Terrorismus, gewalttätigen Extremismus, verbotenen Nachrichtendienst, verbotenen Waffenhandel und die organisierte Kriminalität gefährdet, deren Bekämpfung bereits jetzt in einem Gesetz geregelt ist, sondern neu wird die Sicherheit auch durch «Gewalttätigkeiten bei Publikumsveranstaltungen» erschüttert. Damit lässt sich fragen, ob Mario aus der Muttenzerkurve tatsächlich der neue innere Feind ist (siehe WOZ Nr. 20/06). Oder ist er bloss das Vehikel und Experimentierfeld für eine Politik, die in der Risikoverwaltung und Feindbekämpfung ihr zentrales Aufgabengebiet sieht?
Für den französischen Philosophen und Historiker Michel Foucault war «Sicherheit» der wichtigste Einsatz der Regierung in den modernen Gesellschaften. Nach Foucault werden die modernen Individuen diszipliniert, kontrolliert und verwaltet, um die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren. Die Sicherheitstechniken sollen aber das Risiko nicht ausschalten. Die Sicherheitspolitik soll im Gegenteil eine risikofreudige Unternehmensgesellschaft ermöglichen. «Sicherheit» als politischer Einsatz der Regierung par excellence kann somit nicht getrennt werden von einer liberalen und kapitalistischen Ordnung, die das unternehmerische Risiko und die freie Zirkulation der Waren garantieren muss. Es geht darum, die Gefährdungen und Risiken, die mit der kapitalistischen Freiheit verbunden sind, so in den Griff zu bekommen, dass das System nicht kollabiert.
Am Beispiel von Sportveranstaltungen lässt sich dieser ambivalente Umgang mit Risiko und Sicherheit exemplarisch einüben. Der Fussballsport ist ein Ereignis, dessen ökonomische Bedeutung umso höher ist, je stärker das Publikum mit den Spielern und dem Club emotional verbunden ist. Werbeeinnahmen durch das Spiel und die Vermarktung von Leibchen, Logos und Maskottchen aus der Fussballwelt haben Hochkonjunktur. Ihr Erfolg basiert auf einem Fankult, der immer breitere Schichten der Bevölkerung erfasst. Dieser Fankult, der aus ökonomischen Interessen von allen Seiten hochgepeitscht wird und dem sich heutzutage fast keiner mehr entziehen kann oder mag, trägt aber in sich ein gewisses Risiko. Das emotionale Engagement, das dem «richtigen» Fan notwendig ist und das sich einseitig auf die heimische Mannschaft beschränkt, ist tendenziell auf Gegnerschaft eingestellt. Wenn während des Spiels der Gegner plötzlich zum Feind wird und sich der Fan als Hooligan outet, dann wird das Risiko des Fans zur konkreten Gefahr, gegen die öffentliche Sicherheitsmassnahmen mobilisiert werden müssen. Der Profit am Spiel aber wäre keiner, wenn dieses Risiko eliminiert würde.
Kalkuliertes Risiko
Der öffentliche Raum des Fussballstadions, der sich nach der ökonomischen Logik der Fankultur organisiert, hat nichts mehr zu tun mit jener Form von Öffentlichkeit, die für die Philosophin Hannah Arendt der Raum des Politischen konturiert. Der öffentliche Raum, in dem sich politisches Handeln und geschichtlicher Sinn ereignen, schrieb Arendt 1958 in «Vita activa», versammelt die Menschen und verhindert, «dass sie gleichsam über- und ineinanderfallen.» Die Öffentlichkeit, die «versammelt», ohne dass die Menschen «über- oder ineinanderfallen», macht zwar Differenzen möglich, aber sie strukturiert diese nicht in der Logik des Gegners oder Feindes. Sie produziert nicht den feindlichen Anderen, der beim Fan den feindlichen Club meint und in der Politik den feindlichen Hooligan. Die politische Differenz entsteht nach Arendt, wenn sich Einzelne als Individuen exponieren, eine Stimme haben und gesehen und gehört werden, ohne dass sie mit anderen Menschen in einer homogenen Wir-Gruppe «ineinander» fallen und eins werden.
Je mehr sich die Öffentlichkeit des Sports mit dem kalkulierten Risiko aus Euphorie und Gewalt an die Stelle der kommunikativen Öffentlichkeit im Sinne Arendts schiebt, desto grösser ist die Tendenz, dass sich der fragmentierende und entfremdende Umgang mit der Gewalt ausweitet. Damit wird zugleich einer Tendenz zugearbeitet, welche Politik nur auf die engen Zielsetzungen der Risikoförderung und Sicherheitsgarantie verpflichten will. Gewalt wird von den Anderen ausgeübt - den Unzivilisierten, den Barbaren, den Monstern -, als wäre Gewalt eine «natürliche» Sprache, die durch den kulturellen Fortschritt überwunden werden kann.
Katrin Meyer lehrt Philosophie in St. Gallen und arbeitet an der Universität Basel als Koordinatorin des Graduiertenkollegs Gender Studies Schweiz.
(Text © WOZ)
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fischbach am 25.05.06 @ 5:52, insgesamt 1-mal geändert.