Beitragvon withe lion » 28.06.23 @ 18:38
NZZ von Michael von Ledebur
Eine Initiative zielt darauf, den Bau des Fussballstadions in Zürich zu verhindern – nun schaltet sich der Stadtrat ein
Der Stadtrat legt einen Gegenvorschlag zur Uferschutzinitiative vor. Abgewendet ist das Szenario einer dritten Stadioninitiative damit aber nicht.
Ein Volksbegehren, das direkt auf das «Ensemble»-Projekt auf dem Hardturm-Areal zielt, eine Initiative, die de facto eine dritte Stadionabstimmung provoziert: Diese Nachricht schlug in Zürich Wellen.
Im Wortlaut der Uferschutzinitiative, die diesen Frühling zustande gekommen ist, kommen zwar weder «Ensemble» noch «Stadion» vor. Aber weil das Begehren ein Verbot von Hochhäusern in einem 200 Meter breiten Uferstreifen entlang der Limmat fordert, würde das Stadionprojekt verunmöglicht. Es ist das einzige konkrete Bauprojekt, auf das die Kriterien der Initiative zutreffen, wie die NZZ publik machte.
Canepa spricht von einer «Schweinerei»
Der FCZ-Präsident Ancillo Canepa sagte dazu kürzlich gegenüber den Tamedia-Zeitungen, sein Adrenalinspiegel sei «kurzfristig» angestiegen. Er sprach von einem fragwürdigen Demokratieverständnis der Urheber: «In diesem neu gebildeten Initiativkomitee sitzen mehrheitlich alte Stadiongegner. Es ist für mich eine Schweinerei, dass einige Leute demokratische Beschlüsse willkürlich aushebeln können.»
Für Aufregung sorgte, dass eine Initiative an die Urne kommt, obwohl die Stimmberechtigten schon zwei Mal, 2018 und 2020, über das Stadionprojekt abgestimmt haben. Seit drei Jahren ist das Projekt durch Einsprachen blockiert. Diese stammen von Anwohnern, Hochhaus- und Stadiongegnern. «Ensemble» umfasst ein Stadion für 18 000 Zuschauer, eine Genossenschaftssiedlung mit gemeinnützigen Wohnungen und zwei Hochhäuser.
Den Initianten ist es nicht recht, dass im Zusammenhang mit ihrem Volksbegehren stets vom Stadion die Rede ist. Der Sprecher Martin Zahnd sagte kürzlich gegenüber der «Schweiz am Wochenende», er würde aus diesem Grund einen Gegenvorschlag des Stadtrats zur Uferschutzinitiative «sehr begrüssen». Darin könnte zum Beispiel festgehalten werden, dass Bauprojekte ausgenommen sind, über die das Volk schon abgestimmt hat.
Es ist eher ungewöhnlich, dass ein Initiant sich einen Gegenvorschlag der Behörden wünscht. Aber der Stadtrat hat nun tatsächlich einen solchen vorgelegt.
Zwar ist er dem Vorschlag Zahnds nicht wörtlich gefolgt. Er hat Bauprojekte, über die das Volk abgestimmt hat, nicht explizit ausgenommen. Aber es fehlt darin jener Passus, der im Zusammenhang mit der Stadionfrage entscheidend ist: Von einem 200-Meter-Schutzstreifen, wie ihn die Initiative fordert, ist im Stadtratsvorschlag keine Rede.
Wenn die Initiative an die Urne kommt, werden die Stimmberechtigten sowohl über das Volksbegehren als auch über den Gegenvorschlag abstimmen. Sie werden auch eine Stichfrage beantworten müssen, welche Vorlage obsiegen soll, wenn beide angenommen werden. Setzt sich der städtische Gegenvorschlag durch, bleibt die Initiative wirkungslos für das Stadionprojekt.
Ziehen die Initianten ihr Begehren zurück?
Die Frage, ob für die Initianten jetzt auch ein Rückzug ihres Volksbegehrens in Betracht kommt, liess Zahnd am Mittwoch gegenüber der NZZ unbeantwortet. Es würde aber überraschen. Denn den Initianten geht es in erster Linie um den Hochhausbau. Insofern ist fraglich, ob sie der Gegenvorschlag des Stadtrats befriedigt.
Dieser ist unverbindlich gehalten. So sollen bauliche Entwicklungen in Ufernähe «keine negativen Auswirkungen auf die gewässernahen Erholungs- und Naturräume haben, es sei denn, solche sind zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben unvermeidlich».
Wichtig ist dem Stadtrat eine gute öffentliche Zugänglichkeit der Uferzonen. Erholungsräume sowie die Lebensräume für Flora und Fauna sollen «gesichert und weiterentwickelt» werden.
Lucas Bally, Sprecher des Hochbaudepartements, sagt, vom Ziel und vom Zweck der Initiative sei man absolut überzeugt. Aber der Weg sei der falsche, wenn man sich einseitig auf Bauten über 25 Meter fokussiere. Ein langgezogener Riegel von 20 Metern Höhe beispielsweise könne direkt an einem Gewässer viel grösseren Schaden anrichten als ein schlankes 40-Meter-Hochhaus. Der Uferschutz solle zudem überall gelten und nicht nur in bestimmten Perimetern.
Bally sagt: «Die Ufer sind schon heute sehr gut geschützt. Die verschiedenen Anliegen würden aber in einem neuen Gemeindeordnungsartikel gebündelt.»
De facto bliebe der Gegenvorschlag also mutmasslich wirkungslos.
Den Initianten geht es in erster Linie darum, dass über die Frage des Hochhausbaus diskutiert und abgestimmt wird. Kürzlich hat der Stadtrat die Hochhausrichtlinien aktualisiert. Diese wollen die Initianten bekämpfen. Sie operieren dabei laut Stadtrat mit irreführenden Aussagen. So seien Hochhäuser am Seeufer nicht vorgesehen, wie es die Initiative behaupte. Bally ergänzt, die aktualisierten Richtlinien schränkten die Gebiete sogar ein, in denen der Bau von Hochhäusern möglich sei.
Was passiert, wenn die Stimmberechtigten nicht dem Gegenvorschlag, sondern der Initiative zustimmen? Mit dieser Frage hat sich der Stadtrat ausführlich auseinandergesetzt. Er ist überzeugt: Auf bereits bewilligte Bauprojekte und vom Gemeinderat beschlossene Planungsinstrumente hätte die Initiative keinen Einfluss mehr. Das gelte auch für «hängige Rechtsmittelverfahren». Das Volksbegehren dürfte in rund zwei Jahren an die Urne kommen. Bis dann dürfte der Rechtsstreit um das Stadionprojekt noch nicht beigelegt sein.
Die juristische Einschätzung des Stadtrats dürfte gut begründet sein. In Sicherheit wiegen dürfen sich die «Ensemble»-Bauherren aber nicht. Gemäss Rechtsexperten haben Gerichte in vergleichbaren Fällen auch schon anders entschieden. Solange die Initianten ihr Begehren nicht zurückziehen, schwebt das Damoklesschwert einer erneuten Stadionabstimmung über dem «Ensemble»-Projekt.