Noch ein Artikel aus der heutigen NZZ:
QuelleInterview: Reto Scherrer
Herr Dietl, die Stadt Zürich will ein neues eigenes Fussballstadion bauen. Ist das nicht ungewöhnlich?Nein. Schauen Sie sich in den europäischen Fussballligen um; Sie werden sehen, dass die öffentliche Hand als Stadionbesitzerin die Regel ist, nicht die Ausnahme. Eine Erhebung des europäischen Fussballverbands Uefa zeigt, dass über die Hälfte der Spitzenklubs in einem Stadion spielen, das der Gemeinde, der Stadt oder dem Land gehört.
Aber auch knapp ein Viertel spielt im eigenen Stadion.Mit diesem Wert muss man vorsichtig umgehen. Auch die Stadien, die Klubs selbst gehören, wurden häufig öffentlich mitfinanziert. Sei es, dass sich die öffentliche Hand direkt an den Baukosten beteiligt wie etwa in Hamburg, dass sie Kreditbürgschaften leistet wie für Schalke 04 oder dass sie das Grundstück kostengünstig zur Verfügung stellt wie für die Allianz-Arena in München.
Warum übernehmen das die Klubs auch in grossen Ligen nicht selber?Fussballklubs sind in der ökonomischen Zwangslage, möglichst viele der verfügbaren Mittel in die Mannschaften zu investieren. Sie befinden sich in einem Rüstungswettlauf und können deshalb nicht den Hauptteil ihres Umsatzes in ein Infrastrukturprojekt investieren, denn damit gefährden sie den sportlichen Erfolg, die Basis ihres wirtschaftlichen Erfolgs. Unabhängig von der Grösse der Liga besteht das Grundproblem des Profifussballs: Er ist systematisch defizitär. Aus dem eigentlichen Wettrüsten kann keiner unbeschadet ausbrechen.
Aber für private Investoren könnte ein Stadionbau doch interessant sein.Nur wenn eine Mantelnutzung machbar ist. Ein reines Fussballstadion ist kein Renditeobjekt. Der Investor müsste also mit seinem Engagement andere Ziele verfolgen. Ähnlich wie ein Trikot-Sponsor könnte er zum Beispiel darauf hoffen, seine Reputation zu verbessern. Aber das wäre eine teure Werbemassnahme – und eine gefährliche.
Wieso gefährlich?Für den Stadionbesitzer entsteht ein Ausfallrisiko. Was geschieht mit dem Stadion, wenn der Klub gar keine Miete mehr zahlen kann? Das drohte zum Beispiel 2005 in Dortmund, als die Borussia kurz vor der Insolvenz stand. Um diese zu vermeiden, erklärten sich die damaligen Stadionbesitzer bereit, dem Klub die Miete für zwei Jahre zu erlassen. Ohne den Profiklub wird ein Stadion schnell zur Investitionsruine.
Das kann aber auch der öffentlichen Hand passieren, wie der Blick nach Genf und Neuenburg zeigt. In beiden Städten ging der Hauptmieter in Konkurs.Ja, aber die Stadt Zürich befindet sich in einer viel angenehmeren Lage: Zwei Profiklubs sind hier beheimatet. Das halbiert das Risiko und verdoppelt die Anzahl Spiele.
Ist es nicht stossend, dass die Fussballklubs mit minimer eigener Beteiligung ein neues Stadion erhalten sollen?Da die Heimklubs über die Qualität ihrer Mannschaften den grössten Einfluss auf die Wertschöpfung haben, die mit einem Stadion erzielt wird, wären sie eigentlich der geeignete Stadionbesitzer. Aufgrund des defizitären Charakters des europäischen Profifussballs sind allerdings nur wenige Klubs hierzu in der Lage. Solange andere Klubs von direkten oder indirekten Subventionen profitieren, wird es schwierig, sie einzelnen Klubs zu verwehren.
Die Zuschauerzahlen in Zürich sind bekannt. Wieso sollten sie mit einem neuen Stadion besser werden?Da es sich bei dem geplanten Stadion um ein reines Fussballstadion handelt, wird die Atmosphäre besser, und der Zuschauer ist näher am Spielgeschehen. Die effektiven Zuschauerzahlen sind für den finanziellen Erfolg aber gar nicht einmal so relevant. Wichtiger ist, dass in einem neuen Stadion mehr Angebote im oberen Preissegment gemacht werden können, also Logen oder Business-Sitze. Ein neues Stadion führt selbst bei unveränderten Zuschauerzahlen zu mehr Einnahmen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die heimischen Klubs erfolgreich spielen – und attraktive Gegner haben. Auch in Barcelona ist das Stadion bei schwächeren Gegnern nicht immer voll.
Helmut Dietl ist seit 2003 Professor für Services & Operations Management am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich. Seit 2011 leitet Dietl das Center for Research in Sports Administration.