ich pack das mal hier rein... wird ja sicher einiges zu diskutieren, nein wohl eher schwärmen geben.
Etwas Räubermusik zur Einstimmung
Bier, Zigaretten, Fastfood und Joints. Das brauchts, damit ein neues Album von Radio 200 000 entsteht. Ein Proberaumbesuch bei den Zürcher MCs.
Von Beat Metzler
Sgoing Erlöst betritt den kleinen Proberaum in der Nähe des Escher-Wyss-Platzes. Seine Bandkollegen Krasseranz, Redl und Jet Domani warten bereits. «Hoi zäme, ich hab ein paar Dosen mitgebracht. » Krasseranz: «Her damit.» Es riecht nach Essen. Plastikteller stehen herum. Redl fährt sich über den Bauch: «Der Heinrich-Asiate hat wieder geschöpft wie blöd. Und ich hab extra noch gesagt: Wenig bitte!» Krasseranz: «Ja, der checkt das nie.» Jet Domani: «Da! Schon wieder eine Motte.» Redl: «Tami! Jetzt müssen wir den Chemiker bestellen. Eine richtige Plage, obwohl wir so viel rauchen.» Jet Domani: «Eben darum. Den Viechern gefällt das.» Dann rollt Redl mit seinem Stuhl zum Computer. «Probieren wir mal Räubermusig – zur Einstimmung.» Ein Beat setzt ein. Die vier Männer nehmen ein Mikrofon in die Hand und verwandeln sich in Radio 200 000.
Radio 200 000 sind so etwas wie die Beastie-Boys der Deutschschweiz: innovativ, tanzbar und selbstironisch. «Installation », ihr erstes Album, verkaufte sich über 4000 Mal. Ein respektabler Erfolg, schliesslich steht die Band bei keiner Plattenfirma unter Vertrag. Und der Markt ist vergleichsweise klein. «Als Mundart-Rapper mit Verankerung in Zürich haben wir es schon ausserhalb der Kantonsgrenzen sehr schwer», erzählt Jet Domani. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, nehmen die vier ihr zweites Album auf. «Aktuelle Hits» wird es heissen.
Der Text entsteht demokratisch
Am Anfang eines neuen Radio-200 000Liedes steht der Beat. Die vier hören sich durch verschiedene Zürcher Produzenten wie Sterneis oder TwinStarr und suchen sich ihre Lieblingsstücke aus. «Fürs zweite Album haben wir eher klassische Hiphop-Sachen gewählt», sagt Krasseranz. Auf den Beat folgt der Text. «Dieser entsteht äusserst demokratisch.» Die vier experimentieren jeweils so lange herum, bis sich Thema und Refrain ergeben. Dann feilt jeder an seinem Textteil weiter. «Wir kommen selten mit Textzetteln ins Studio. Bei uns entsteht fast alles aus der Gruppendynamik.» Deshalb handle «Aktuelle Hits» auch von verschiedenen Dingen: Fussball, Liebe, Mode, der Langstrasse.
Und vor allem von Radio 200 000 selber. «Das ist aber nicht ganz ernst gemeint. In unserem Alter nimmt man das Hiphop-Ding spielerisch», sagt Sgoing Erlöst. Steht der Text fest, beginnt die Feinabstimmung.
An diesem Abend ist der Mundart-Reggae- Sänger Phenomden in den Proberaum gekommen, man arbeitet an einer Kollaboration. «Wäge dir», heisst sie. Ein Liebeslied mit Reggaegroove. Doch irgendwie sitzt der Refrain nicht. Die fünf diskutieren. Das Lied startet erneut. Der Refrain misslingt. «Du musst bei ‹Nume du bisch dä Grund› hoch», findet Redl und singt es vor. Die fünf versuchen es a cappella, es klingt wie in einem Chor. Man diskutiert wieder. Und dann, nach gut einer Stunde, tönt es plötzlich erstaunlich gut, fast wie ein radiotauglicher Sommerhit. «Genau so muss es sein», sagt Sgoing Erlöst. «Ich hol uns ein Bier.» Wer so eng zusammenarbeitet wie Radio 200 000, muss sich gegenseitig kritisieren. Dafür gebe es eine bandinterne Styleund Aussprachepolizei, erzählt Krasseranz. «Von dieser bin ich als Secondo besonders oft betroffen.» Zu Gehässigkeiten komme es aber nie. «Meistens haben wir es einfach lustig. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht anstrengend ist», sagt Jet Domani. Radio 200 000 verbringen mindestens drei Abende pro Woche im Proberaum oder im Studio. Als «Fyrabigband» fangen sie erst nach der Arbeit an, bleiben dafür bis Mitternacht. «Wir sind die Menschen, die wir momentan am meisten sehen », sagt Jet Domani. «Genau. Frag mal meine Frau», lacht Redl.
Im Sold von Pro Helvetia
Ende April soll das Album fertig sein, am 30. Mai wird es erscheinen. Auch nach den Aufnahmen wird keine Funkstille einkehren bei Radio 200 000. Es folgen die Proben mit der Liveband The Loops und der Videoclip-Dreh. «Und während des Sommers sind wir schon für einige Konzerte gebucht. Das wird dann wirklich geil», sagt Sgoing Erlöst. Im November stellt Radio 200 000 auf Weltempfänger: Die Band wagt sich dann zum ersten Mal richtig ins Ausland. Und zwar gleich über den Atlantik. Sie touren drei Wochen lang durch Costa Rica, Guatemala und Panama, als Schweizer Kulturvermittler im Auftrag und Sold von Pro Helvetia. «Bis dahin brauchen wir unbedingt noch ein spanisches Lied», findet Redl.
Ein Insekt fliegt vorbei. Redl schlägt vor, die Motten mit dem Feuerzeug zu verbrennen. «Das ist schlecht für dein Karma», sagt Jet Domani. «Ausserdem hat es hier unten genug Stoff für alle.» Das Album von Radio 200 000, «Aktuelle Hits», erscheint am 30. Mai. Plattentaufe: 6. Juni, Rote Fabrik.
