Beitragvon Robin » 25.04.13 @ 11:00
«Wir müssen die Mitläufer in den Griff bekommen»
St. Gallen gilt in Sachen Härte gegenüber Fussballfans als Taktgeber in der Schweiz. Das Hooligan-Konkordat, über das in Zürich im Juni abgestimmt wird, ist dort seit 2012 in Kraft. Damit werde die Gewalt nicht gestoppt, monieren Kritiker.
Aufkleber mit dem Konterfei der St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter und der wenig charmanten und mit englischem Kraftausdruck versehenen Aufforderung zu schweigen, prangen derzeit überall an Containern und Strassenlampen zwischen Lochergut und Albisriederplatz in Zürich. Dass das Gesicht Keller-Sutters an Laternenpfählen klebt, ist kein Zufall: Es erklärt sich mit der Rolle, die Keller-Sutter in ihrer Zeit als St. Galler Regierungsrätin bei der Ausarbeitung des verschärften Hooligan-Konkordats innehatte. Mit ihrer harten Linie im Umgang mit Fans erlangte sie nationale Bekanntheit.
Abschreckende Wirkung
Am 9. Juni kommt die Vorlage auch im Kanton Zürich an die Urne. Das revidierte Hooligan-Konkordat bringt in verschiedenen Bereichen Verschärfungen: unter anderem eine Bewilligungspflicht für die Spiele der obersten Liga und die Möglichkeit, landesweit gültige und bis zu dreijährige Rayon- und Stadionverbote aufzuerlegen.
Der Ostschweizer Kanton gilt als Taktgeber in Sachen Härte im Umgang mit Fans. Treibende Kraft neben Keller-Sutter ist vor allem der Erste Staatsanwalt Thomas Hansjakob. «Die konsequente Gangart hat sich bewährt», sagt er überzeugt. Und ortet zugleich weiteren Handlungsbedarf, wenn er anfügt: «Besonders an Auswärtsspielen benehmen sich einige unserer Fans bisweilen sehr schlecht.» Das verschärfte Hooligan-Konkordat ist in St. Gallen bereits seit Mitte des letzten Jahres in Kraft. Das Konkordat sei allerdings nur ein Mosaikstein in einem Gesamtpaket von Massnahmen, sagt Hansjakob. Besonders streicht der Erste Staatsanwalt die Schnellverfahren heraus. Fälle von mutmasslichen Randalierern werden dabei zügig erledigt, das heisst, die Randalierer bleiben über Nacht in der Zelle und werden tags darauf befragt und bei Gesetzesverstössen sofort gebüsst. Auf diese Schnellverfahren setzen mittlerweile mehrere Kantone, nur redet man dort nicht so gerne darüber wie in St. Gallen. Auch in Zürich werden bei Hochrisikospielen seit Jahren Schnellverfahren praktiziert.
«Die beschleunigten Verfahren haben die nötige Ruhe in die Szene gebracht», sagt Hansjakob. «Sie haben eine abschreckende Wirkung, insbesondere auf Mitläufer.» In St. Gallen gebe es nur einen kleinen radikalen Kern, sagt Hansjakob. Er umfasse rund zwanzig Personen. «Gegen diese helfen auch die schärfsten Gesetze nichts», so der Erste Staatsanwalt. Bei einer Verschärfung bestehe die Gefahr, dass sich diese Hooligans weiter radikalisierten.
Die Massnahmen will Hansjakob aber auch nicht als Mittel gegen die radikalen Fans verstanden wissen. Problematisch sei vielmehr, wenn sich ein grösseres Umfeld mit diesem radikalen Kern solidarisiere. «Wir müssen die Sympathisanten in den Griff bekommen». Er hält es deshalb für gerechtfertigt, wenn auch jene Leute konsequent zur Verantwortung gezogen werden, die nur am Rand an Ausschreitungen beteiligt waren. Diese erleichterten es den Randalierern, Straftaten zu begehen. Dass es weitere Massnahmen braucht, um der Gewalt Einhalt zu gebieten, davon ist der Staatsanwalt überzeugt. Die bisherigen Massnahmen hielten nicht über ein Spiel hinaus an. Wenn in einem Spiel pyrotechnisches Material gezündet werde, könne er sich ein Fahnenverbot für den nächsten Match vorstellen. «Die Fahnen werden nämlich oft dazu missbraucht, um das Zünden von Pyros zu verdecken.» Die Forderung habe man auch beim Verband vorgebracht. Ihm sei dies aber zu weit gegangen. Auch beim Alkoholausschank sieht Hansjakob Handlungsspielraum. Er könne sich vorstellen, den Ausschank nur in den Problemsektoren zu verbieten.
Die Nulltoleranzpolitik in St. Gallen stösst jedoch nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf grundsätzliche Kritik. Die Rechtsanwältin Manuela Schiller, die oft Fans vertritt, findet, eine Sondergesetzgebung für Fans sei weder historisch noch mit der gegenwärtigen Lage zu rechtfertigen. «Ich besuche seit Jahren regelmässig Fussballspiele und kann keine Zunahme randalierender Fans beobachten.» Es gebe zudem keine Studie oder Erhebung, die stichhaltig zu untermauern vermöge, dass die Gewalt rund um Sportveranstaltungen zugenommen hat. In der Hooligan-Datenbank Hoogan, die im Vorfeld der Europameisterschaften 2008 eingeführt wurde, seien gerade einmal 500 Personen aktiv eingetragen, so Schiller. Zudem werde mit Alkoholverboten, Anreisevorschriften und ID-Kontrollen an den Eingänge auch der «gewöhnliche» Stadionbesucher bevormundet und bestraft.
Unschuldige betroffen?
Die Law-and-Order-Politik in St. Gallen habe im Übrigen gerade nicht zu einer Beruhigung der Situation geführt, meint die Anwältin. «Ich habe den Eindruck, dass es in keinem anderen Stadion in der Schweiz derart häufig zu Zwischenfällen mit Verletzten und Verhafteten kommt wie in der AFG-Arena, wo man Fans vom Bahnhof bis zum Drehkreuz klarzumachen versucht, dass eine Politik der Nulltoleranz herrscht.» Deutlich entspannter sei es hingegen in Basel, wo man mit den Fans einen Dialog auf Augenhöhe pflege, sie aber auch in die Pflicht nehme. Schiller kritisiert zudem, dass durch die repressiveren Massnahmen auch viele Unschuldige getroffen würden. «Wer zum Beispiel mit einem Security einen Disput hat und diesen kurz wegstösst, begeht eine Tätlichkeit und erhält nun ein Rayonverbot für die Dauer von mindestens einem Jahr.» Dazu genüge bereits die Aussage des Sicherheitsfirma-Mitarbeiters.
Für diese Kritik gebe es keinen Grund, entgegnet Hansjakob. Man habe schliesslich einen funktionierenden Rechtsstaat. Im Zweifelsfall entschieden die Richter zugunsten des Beschuldigten. «Die meisten Personen in den Schnellverfahren sind jedoch geständig. Früher konnte ein Verhafteter oft davon ausgehen, dass man ihm nicht genau nachweisen kann, ob nun er oder ein anderer jenen Stein geworfen oder jenen Faustschlag ausgeteilt hat», sagt Hansjakob. Heute sei dies kaum mehr der Fall.
Quelle: NZZ
Ernüchterung in St. Gallen.........