Der langjährige FCZ-Beobachter der NZZ Rolf Wesbonk hat heute in der Berliner Morgenpost als Gastautor Raffael portraitiert. Er trifft die Stärken und Schwächen nicht schlecht. Doch bei seinem Fazit macht es den Anschein, als das Wesbonk einen Transfer nach Berlin verhindern will. Er will ihn wohl noch etwas länger in Zürich sehen.
Wie gut ist Favres Wunschstürmer?
Berliner Morgenpost
Von Rolf Wesbonk
Berlin - Im Sommer wollte Lucien Favre den Stürmer Raffael (23) vom FC Zürich unbedingt nach Berlin nachholen. Zur Enttäuschung des Trainers von Hertha BSC hat das nicht geklappt. Die nächste Gelegenheit bietet sich im Winter. Intern spielen sie beim Hauptstadtklub derzeit unterschiedliche Modelle durch. Kann der Bundesligist, der etwa drei Millionen Euro ausgeben kann und außerdem einen Mittelfeldspieler sowie einen Rechtsverteidiger sucht, sich den Brasilianer bereits im Winter leisten - oder erst im nächsten Sommer? Trainer Favre ist ein vehementer Fürsprecher seines Ex-Zöglings. Aber bei Hertha BSC gibt es Zweifel, ob dem in der Schweiz starken Raffael auch in der Bundesliga eine gute Rolle zuzutrauen ist. Weshalb die Berliner Morgenpost einen Experten, der den FC Zürich seit Jahrzehnten verfolgt, gebeten hat, Raffael in Berlin vorzustellen.
Stürmer werden an Toren gemessen. Trifft einer regelmäßig, steht er in der Stammformation, trifft er nicht, sitzt er auf der Bank oder auf der Tribüne. Raffael - mit vollem Namen Raffael de Araujo - braucht sich über solche Gesetzmäßigkeiten wenig Gedanken zu machen. Der Angreifer des FC Zürich schoss am Samstag in Bern gegen die Young Boys mittels Elfmeter das 1:0 (Schlussresultat: 1:1) und führt in der Torjägerliste der Schweiz mit elf Treffern vor Marco Streller (Basel/neun).
Die Frage, ob der eher klein gewachsene Angreifer (1,73 m) gut genug für die nächste Entwicklungsstufe ist, also die Bundesliga, kennt er bereits. 2003 kam der Brasilianer zum FC Chiasso in die zweite Schweizer Liga. In zwei Spielzeiten überzeugte er mit je 15 Toren, der Aufstieg zum FC Zürich war die logische Folge. Dort widerlegte Raffael Befürchtungen, dass der Schritt zu groß gewesen sei. Schon in den Testpartien bestätigte sich sein Talent. Unter Obhut des damaligen FCZ-Trainers Lucien Favre entwickelte sich Raffael und steuerte zu den überraschenden Meistertiteln des FC Zürich 2005/06 14 Tore bei, 2006/07 zwölf Treffer.
Raffaels Stärken sind das rasche Erfassen von Torszenen, seine harten, beidfüßig geschlagenen Bälle sowie die technische Fertigkeit, die es ihm gestattet, sich aus unübersichtlichen Lagen mit dem Ball am Fuß zu befreien. Zudem trifft er regelmäßig mit scharf geschossenen Freistößen.
Gelegentlich übertreibt er allerdings die Dribblings, will mit dem Kopf durch die (Abwehr-)Wand und übersieht manchmal den besser postierten Kollegen.
Raffael arbeitet nicht Fußball, er ist ein spielstarker, eleganter Profi. Er bevorzugt das Doppelpassspiel. Gelingt es, wird die gegnerische Abwehr rasch überbrückt - manchmal aber übertreibt Raffael das Klein-klein-Spiel. Wie seine Körpergröße nahe legt, ist er im Strafraum kein Kopfball-Ungeheuer im Stile eines Dieter Hoeneß. Tore mit dem Schädel haben Seltenheitswert.
Regelmäßige Messungen beim FC Zürich mit Sprints über zehn und 20 Meter zeigen, dass Raffael trotz eines schnellen Antritts auf Dauer nicht zu den Schnellsten zählt. Er befindet sich im Mittelfeld des Kaders. Überhaupt ist er von solchen Übungen wenig begeistert. Nur murrend akzeptiert er, dass solche Datenerfassungen zum Job gehören.
Eine weitere Schwäche ist seine Schwierigkeit, sich in ein taktisches Konzept einzugliedern. Bei Lucien Favre genoss Raffael alle Freiheit. So lässt er sich gern weit zurückfallen, um gegnerischen Attacken aus dem Weg zu gehen. Auf dem Platz vertraut er oft seiner Intuition, eine Eigenart, durch die er schwer auszurechnen ist. Das gilt allerdings nicht nur für den Gegner, sondern auch für die Mitspieler, die manchmal nicht wissen, wo ihr Torjäger zu finden ist.
Der Vertrag von Raffael beim Schweizer Meister läuft bis 2011, aber es ist abzusehen, dass er sich verbessern will. Zu Favre hat Raffael ein Vertrauensverhältnis. Im vergangenen Sommer gab es auf der Geschäftsstelle des FCZ Tränen, als Raffael dort mitgeteilt wurde, dass sein derzeitiger Arbeitgeber ihn nicht für Berlin freigibt.
Doch die vergangenen Jahre haben zur Enttäuschung des FC Zürich gezeigt, dass sich Raffael in internationalen Wettbewerben nicht zu steigern vermag. Im Gegenteil: Von dem Brasilianer war in den für den Klub wichtigen Spielen wenig zu sehen. Weder in den Qualifikationspartien zur Champions League 2006 gegen Red Bull Salzburg (2:1, 0:2) noch 2007 gegen Besiktas Istanbul (1:1, 0:2) noch in den aktuellen Uefa-Cup-Begegnungen vermochte er Impulse zu geben oder entscheidende Tore zu schießen.
Raffael präsentierte sich als braver, oft gar passiver Mitläufer. Nicht auszuschließen, dass er - an internationale Standards nicht gewohnt - vom Tempo auf diesem Niveau schlicht überfordert war. Kein gutes Bewerbungsschreiben für einen, der sich in der Bundesliga durchsetzen will. Rolf Wesbonk begleitet den Schweizer Fußball für die "Neue Zürcher Zeitung" seit 27 Jahren.