Beitragvon Chandler » 27.05.03 @ 8:23
Weil Löw zögerte, kommt Favre
Der neue Trainer des FC Zürich heisst Lucien Favre. Der 45-jährige Romand unterzeichnete einen Zweijahresvertrag.
Von Peter Bühler
Am Samstagnachmittag war für Sven Hotz die Trainerfrage beim FC Zürich entschieden gewesen. Axel Thoma, der neue Sportchef, hatte Hotz mitgeteilt, dass Joachim Löw die Zusage als Trainer für die kommende Saison gegeben habe. Für den Präsidenten, der seit vergangenem Donnerstag eine Lösung mit Löw forciert hatte, gab es keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit dieser Nachricht zu zweifeln. Thoma und Löw kennen sich aus gemeinsamen Fussballerzeiten beim FC Schaffhausen bestens, sie sind seit über zehn Jahren gut befreundet, sie verbindet ein Vertrauensverhältnis.
Am Montagmorgen war plötzlich alles ganz anders. Löw, der eigentlich wie vereinbart im Büro von Hotz zur Vertragsunterschrift hätte erscheinen sollen, teilte dem Präsidenten mit, dass er Bedenkzeit brauche. Seine Situation habe sich verändert. Man kann davon ausgehen, dass Löw über das Wochenende von Vereinen aus der Bundesliga kontaktiert wurde und die kommenden Tage abwarten wollte, um zu erfahren, wie konkret das Interesse dieser Klubs ist. Der 43-jährige Deutsche hatte noch letzte Woche erklärt, dass er nach fünf Jahren im Ausland eine Rückkehr in die deutsche Eliteklasse einem erneuten Engagement im Ausland vorziehen würde (TA vom Samstag).
Doch Hotz liess sich auf keine Geplänkel ein. Er sagte Löw ab und dafür Favre zu. Für den Präsidenten war immer klar gewesen, dass auch der 45-jährige Waadtländer ein «hoch qualifizierter Trainer» ist und stets ein «gleichwertiger Kandidat» gewesen war. Für Löw hätten einfach die internationale Erfahrung und das Beherrschen der deutschen Sprache gesprochen. Die gestrigen Vertragsgespräche mit Favre haben Hotz aber beruhigt. Der Präsident ist der Ansicht, dass sich Favre gut in Deutsch verständigen kann. «Und er hat mir versprochen, dass er bis in zwei, drei Monaten keinerlei Probleme mit der Sprache mehr haben wird», sagt Hotz.
Zweijahresvertrag - ohne Klauseln
Gestern Abend um 17 Uhr unterschrieb Favre im Büro von Hotz im Zürcher Kreis 4 einen Zweijahresvertrag. Der Kontrakt enthält keine Ausstiegsklauseln oder Optionen. «Wenn Favre gut arbeitet, dann habe ich nichts dagegen, wenn er länger beim FCZ bleibt», schmunzelt der Präsident. Einen Platz unter den ersten drei, vier Klubs stellt sich Hotz für den FCZ in der kommenden Saison in der Zehnerliga vor, und auch Favre hält diese Zielsetzung für realistisch.
Selbstredend wurden zwischen dem Präsidenten und dem Trainer konzeptionelle und personelle Fragen für die nächste Saison erörtert. Favre erhält - wie auch der neue Sportchef Axel Thoma, der ebenfalls einen Zweijahresvertrag unterschrieb - ein genaues Pflichtenheft. Favre ist aber nicht Thoma unterstellt, sondern direkt dem Präsidenten. Thoma sagt, das sei für ihn in Ordnung: «Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Favre.» Und Hotz bemerkt zu dieser Massnahme, dass er ein Hickhack, wie es sich der frühere Sportchef Erich Vogel und der ehemalige Trainer Georges Bregy vergangene Saison über Monate geliefert hätten, im FCZ nie mehr erleben wolle.
Hotz hält daran fest, dass Budget zu reduzieren, «am liebsten von momentan elf auf acht Millionen Franken.» Deshalb zeichnet sich ab, dass einige auslaufende Spielerverträge nicht verlängert werden. Bühlmann, Renato, Jeanneret und auch Hellinga werden den Letzigrund verlassen müssen, Quentin darf hoffen, einen neuen Vertrag mit tieferen Bezügen offeriert zu bekommen. Noch nicht entschieden ist die Zukunft von Captain Fischer. Hotz sagt, die Personalplanung falle in die Kompetenz von Favre. Er betont, er wolle dem neuen Trainer viele Freiheiten lassen: «Wenn Favre Fischer als Spieler nicht mehr einsetzen will, dann arbeitet der Captain fortan in unserer Nachwuchsabteilung.»
Favre ist offiziell ab dem 1. Juli beim FCZ angestellt, aber er tritt seinen neuen Job schon einen Monat früher an. Der Romand gilt als akribischer Arbeiter und Perfektionist, er will kein Detail ausser Acht lassen, damit die Mannschaft beim Trainingsbeginn am 16. oder 17. Juni bestmögliche Bedingungen vorfindet. Dannzumal wird man unter den Spielern das eine oder andere neue Gesicht finden. «Für zwei, drei Transfer reicht unser Geld schon noch», schmunzelt Hotz. Der Assistenztrainer hingegen ist wohlbekannt: Walter Grüter wird Favre zumindest in der kommenden Saison unterstützen. Sein Vertrag läuft bis Sommer 2004.
Gut zwei Jahrzehnte nach Daniel Jeandupeux betreut mit Lucien Favre wieder ein Welscher den FC Zürich. Jeandupeux
führte den Stadtklub 1981 zum letzten seiner neun Meistertitel. Und wie Jeandupeux kann Favre schon jetzt auf eine erfolgreiche Spieler- und Trainerkarriere zurückblicken. Favre debütierte im Mai 1977 als 19-Jähriger mit Lausanne in der Nationalliga A, später spielte er für Xamax, Servette, Toulouse (unter Jeandupeux) und wieder Servette. Der 24fache Nationalspieler galt während seiner aktiven Karriere als eigenwilliger Individualist. In Genf liess er sich einst die Rückennummer 10 vertraglich zusichern, auch sein jahrelanger Rechtsstreit mit Gabet Chapuisat sorgte für Aufsehen. Chapuisat hatte Favre auf dem Spielfeld mit einem Foul schwer am Knie verletzt und wurde dafür von einem zivilen Gericht verurteilt.
In Genf trotz guter Arbeit entlassen
Der Trainer Favre gilt in der Branche als ruhiger, besonnener, aber durchaus auch sehr ehrgeiziger Typ. Er führte das kleine Yverdon in die Nationalliga A und dort in die Finalrunde, mit Servette gewann er den Cup und qualifizierte sich mit dem Verein für die Achtelfinals des Uefa-Cups. Weil er sich in seiner Arbeit nicht beeinflussen liess, überwarf er sich in Genf mit dem damaligen Sportdirektor Patrick Trotignon und wurde im Mai 2002 entlassen. Seither war er ohne Job und hospitierte bei diversen Klubs in Europa und Südamerika.
Favre wird dem Zürcher Publikum am kommenden Samstag vor der Partie des FCZ gegen seinen ehemaligen Klub Servette im Letzigrund vorgestellt. Für dieses Spiel wird Gratiseintritt gewährt. Hotz sagt: «Unser neuer Trainer soll nicht in einem leeren Stadion, sondern in einem würdigen Rahmen begrüsst werden.»