Beitragvon Duden » 29.04.07 @ 9:44
Im Schweizer Fussball heulen alle für ihren Vorteil
Der junge Philipp Muntwiler erlangte Bekanntheit, weil ihn der FC St. Gallen am 1. April im Spiel gegen den FC Zürich einsetzte, obschon Muntwiler tags zuvor mit dem St. Galler U-21-Team in der 1. Liga des Feldes verwiesen worden war. Der FCZ erhob Einspruch, die Disziplinarkommission der Swiss Football League wertete das 0:0-Remis 3:0 forfait. Der FCZ erhält zwei Punkte, der FC St. Gallen verliert einen.
Nun melden sich die Interessenvertreter. Der FC Basel ist empört, weil der Rückstand auf den FCZ wieder auf fünf Punkte angewachsen ist. Der FC St. Gallen bedauert, dass die Kommission in den sportlichen Wettbewerb eingreift. Der FC Zürich frohlockt, weil er den FCB auf Distanz hat. Die «Basler Zeitung» ruft im Sinn des FCB «Skandal», das «St. Galler Tagblatt» vertritt die St. Galler Optik, der «Tages-Anzeiger» hat zumindest einmal deutlich für den FCZ Position bezogen. Kreuz und quer wird gefordert, kommentiert, mit anderen Fällen verglichen, werden Kraut und Rüben vermischt, werden Kolumnen und Glossen verfasst. «Ungeheuerlich» sei dies alles, da würden Reglemente «gebogen», heisst es, und Repräsentanten des FCB verlangen den Rücktritt von Odilo Bürgy, dem Präsidenten der Disziplinarkommission. Ein Kopf weg - und alles ist anders. Aber wie würde der FCB reagieren, wenn er Punkte zugesprochen erhielte? Anders? Allen ist das eigene Hemd am nächsten. Der FCZ ginge subito zum Zetermordio über, würde der FCB bevorteilt.
Wie der FC St. Gallen am 1. April völlig unnötig den völlig unbekannten Muntwiler einwechselt, merkt der FCZ nichts. Ein FCZ-Supporter setzt später den Trainer Lucien Favre in Kenntnis, dass der FCZ rekurrieren könne. So erzählt dies Favre. Am 3. April trifft auf dem Sekretariat der Liga die von einem Anwalt verfasste Einsprache des FCZ ein. Der Tag ist für den Juristen Bürgy, der den Rechtsdienst einer Schweizer Versicherungsgruppe leitet, ein normaler Arbeitstag. Bürgy wird ins Bild gesetzt. Am 4. April stellt er das Dreiergremium zusammen. 15 Personen stehen in der Kommission zur Auswahl. Wer hat Zeit? Wer lebt in der Nähe von Bern? Wer ist unbefangen? Die Wahl fällt auf Roman Mayer und Frédéric Zloczower, den Sohn des Verbandspräsidenten Ralph Zloczower.
Die Unterlagen werden verschickt. Es folgt Ostern. Nachher, am 10. April, erhalten die Parteien bis zum 13. April Gelegenheit zu einer Stellungnahme; damit werden die verfahrensrechtlichen Vorschriften, die Wahrung des rechtlichen Gehörs, eingehalten. Wieder folgt ein Wochenende. Am 16. April ist in der Kommission eine Telefonkonferenz angesetzt, wieder müssen Dokumente versandt und Erkundigungen eingeholt werden. Am 19. April trifft sich das Gremium und fällt das Urteil, das am Freitag, den 20. April, zum Versand bereit ist. Nun entscheidet der Liga-Präsident Peter Stadelmann, mit der Veröffentlichung bis nach dem «Risiko-Spiel» FCB - FCZ zu warten. Die Kommunikation folgt erst am 23. April.
So weit der Ablauf im Zeitraffer. Die Koordination ist nicht einfach, weil die Kommissionsmitglieder für die Liga im Milizsystem arbeiten. Sie erhalten eine kleine Entschädigung und verrichten die Arbeit «nicht für Geld, sondern aus Freude am Sport», wie Bürgy sagt. Der «Fall Muntwiler» kostete den gebüssten Klub, den FC St. Gallen, 1000 Franken. Im Vergleich zu den Ansätzen eines Anwalts ist das lächerlich. Bürgy wendet pro Woche einen Arbeitstag für den Fussball auf («Die Zeit fällt oft auf den Feierabend und auf das Wochenende») und besucht wöchentlich einmal den Sitz der Liga in Muri bei Bern. Das Modell mit den unabhängigen Kommissionen ist von den Klubs genehmigt, die Mitglieder werden von den Klubs bestimmt. Die Disziplinarkommission behandelt pro Saison bis zu 120 Fälle - die meisten betreffen die Sicherheit. Bürgy und Stadelmann sind sich bewusst, dass im «Fall Muntwiler» nicht alles gut gelaufen ist. Der Ligapräsident ortet ein «Optimierungspotenzial», vor allem lässt er abklären, warum in anderen Ligen schneller entschieden werden kann.
Der im Mandat entlöhnte Jurist und Eishockey-Einzelrichter Reto Steinmann hat grosse Kompetenzen: Bussen bis zu 100 000 Franken, unbeschränkte Anzahl Spielsperren, Stadionsperren, Forfait-Entscheide. Der Fussball-Disziplinarrichter Urs Studer ist hingegen kaum bezahlt und hat nicht annähernd Steinmanns Kompetenzen. «Die Fussballklubs haben das System abgesegnet», wirft Stadelmann ein. Bürgy denkt als Verbesserung an einen Juristen, «der in einem 50-Prozent-Pensum dringende Disziplinarfälle» forcierte. Doch wer bezahlt die Person, die zu Anwalts-Ansätzen arbeitet? Die Liga. Und diese würde weniger Mittel an die Klubs ausschütten. Und es ginge wieder los, das Geheul.
Peter B. Birrer
Quelle: NZZ am Sonntag