Beitragvon rot-blau » 04.02.06 @ 9:10
Guter Text heute in der NZZ:
Das Facelifting im FCZ auf gutem Weg
Der FC Zürich von der «Wundertüte» zum ernstzunehmenden Verfolger des FC Basel
Am Wochenende geht im Schweizer Fussball die Winterpause zu Ende - auf dem Programm stehen die Cup-Viertelfinals. Die NZZ beleuchtet in den nächsten Tagen die zehn Mannschaften der Super League. Den Beginn machen der FC Zürich und der FC Aarau, die am Sonntag im Brügglifeld um den Einzug in die Cup-Halbfinals spielen.
Der Fall «Marcos Paulo» ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um die Veränderungen im FC Zürich aufzuzeigen. Der 18-fache brasilianische Internationale hätte Anfang der Woche vom Stadtklub verpflichtet werden sollen - gewissermassen als valabler Ersatz für den nach Duisburg transferierten Strategen Mihai Tararache. Doch die Verhandlungen zogen sich dahin, Präsident Sven Hotz drückte den Übernahmepreis immer weiter nach unten, weshalb sich eine Annäherung erschwerte. Als dann noch Zweifel von der medizinischen Seite aufkamen (Gefahr auf Arthrose im Knie), war Marcos Paulo kein Thema mehr. Welch ein Unterschied zu früher, als Spieler (Bühlmann, Renato, Guerrero) vorbehaltlos zu horrenden Summen übernommen oder - wie bei Bastida und Petrosjan - den medizinischen Tests kaum Beachtung geschenkt wurden.
Mit jungen hungrigen Leuten zum Erfolg
Der Wandel im FCZ manifestiert sich auch in der Zusammensetzung des Kaders. Waren beispielsweise in der Saison 2000/01 unter Trainer Gilbert Gress noch reihenweise knapp 30-jährige oder ältere Routiniers (Fischer, Bonalair, Quentin, Douglas, Heldmann, Jamarauli, Kawelaschwili oder Chassot) vertreten gewesen, bilden heute fast noch im Juniorenalter stehende Spieler klar die Mehrheit. Aus dem (Alters-)Rahmen fallen einzig Filipescu, Taini sowie Di Jorio. Es ist eine Situation eingetreten, die man in diesem Geschäft als Umkehr der Normalität bezeichnen könnte: Es sind nicht die erfahrenen, bestandenen Spieler, die den Ton angeben, sondern die jungen, hungrigen Teammitglieder.
Der Sportchef Fredy Bickel sowie der Trainer Lucien Favre bewiesen bei Neuverpflichtungen in der Regel ein gutes Gespür für Qualität. Denn viele Zuzüge sind nicht nur jung, sondern auch talentiert. Allerdings gilt es zu unterscheiden zwischen den Transfers aus dem Ausland und jenen im eigenen Land. Bezüglich der ersten Gruppe (Capria, Ilie, Filipescu, Akhalaia) war die Trefferquote nämlich gering. Einzig Cesar kann als Gewinn bezeichnet werden. Anders die Auswahl aus heimischen Gefilden; hier täuschte sich das Duo Bickel/Favre kaum. Diese Zunahme an Substanz verhalf dem FCZ zu Fortschritt. Seit Jahren mit dem Etikett «Wundertüte» behaftet, ist der Stadtklub auf bestem Weg, sich zu stabilisieren.
Favre mit langfristig solider Arbeit
Favre half mit solider Arbeit auf dem Trainingsplatz entscheidend mit, das Kader zu veredeln: In den vergangenen zweieinhalb Jahren formte er eine entwicklungsfähige Equipe. Seine Stellung war zwar nicht immer unbestritten, doch in entscheidenden Partien vermochte er den Kopf stets (mit einem Sieg) aus der Schlinge zu ziehen. Heute sitzt er fest im Sattel, und Hotz versteigt sich gar zur Aussage: «Ich habe immer gewusst, dass ein Trainer drei Jahre braucht, um ein Team aufzubauen.» Der Präsident hat inzwischen den Vertrag mit Favre verlängert - allerdings erst mündlich und ohne Angabe der Dauer. Die in vielen Medien verbreitete Meldung vom Abschluss über zwei Jahre mit der Option auf eine weitere Saison ist reine Spekulation.
Eine ausgezeichnete Ergänzung zum introvertierten Romand stellt Bickel dar. Der leutselige Zürcher ist darauf bedacht, die Gruppe zu harmonisieren. Es gibt viele Exempel, die davon Zeugnis ablegen. Als kürzlich der brasilianische Stürmer «Ronny» zum Test auf der Allmend Brunau erschien, wurde er von den Landsleuten Rafael und Cesar stürmisch begrüsst. Keita, der sofort Konkurrenz witterte, war hinterher nur noch mit halber Konzentration bei der Sache und verschwand nach dem Training rasch und grusslos. Bickel war dies nicht entgangen. Er verzichtete in der Folge darauf, die Akte «Ronny» weiter zu verfolgen. Er wusste, mit der Verpflichtung des Brasilianers würde er Keita verlieren - und das war ihm das Ganze nicht wert.
Bickel versucht, in der Gruppe den Gedanken der Einheit zu verankern. Er will, dass das Team am Spieltag einheitlich gekleidet am Besammlungsort erscheint. Er geht mit gutem Beispiel voran, ist stets - mit Anzug und Krawatte - als Erster am Spielort, steigt mit dem Kader immer in den gleichen Hotels ab und beharrt darauf, dass während des Essens (auch im Trainingslager) stets dieselbe Sitzordnung eingehalten wird. Eine gewisse Harmonie ist im Wachsen begriffen. So klatschen sich die Spieler nach dem letzten Sprint beim Aufwärmen vor einem Match demonstrativ ab - die Geste ist ohne Druck von aussen ganz spontan entstanden. Über seine Ziele im FCZ sagt Bickel: «Ich will, dass die Equipe ein Gesicht erhält, an das man sich noch in einigen Jahren erinnen wird.»
Rolf Wesbonk
FC Basel; still going strong!