Beitragvon grandezurigo » 09.12.04 @ 9:57
hier ein NZZ Kommentar. genau das Frage ich mich auch. Die Basler Radaubrüder werden jetzt nicht als Hauptschuldige der Situation ausgegrenzt, sondern möglicherweise besser integriert innerhalb der jetzigen Opferhaltung mit den vielen unschuldigen Verhafteten. Die Situation für Zürich kann deshalb noch gefährlicher werden....aber lest zuerst mal was:
9. Dezember 2004, 07:14, Neue Zürcher Zeitung
Verhältnismässigkeit und politischer Druck
Nach dem Polizeieinsatz vom Sonntag im Bahnhof Altstetten gegen FC-Basel-Fans (NZZ 6. und 7. 12. 04) sieht sich die Zürcher Polizei mit massiver Kritik aus Basel konfrontiert. 200 festgenommene Zugpassagiere wollen klagen. Sie sehen verfassungsmässige Rechte wie den Schutz vor Willkür, das Recht auf persönliche Freiheit und das Recht, bei einem Freiheitsentzug die nächsten Angehörigen benachrichtigen zu dürfen, verletzt. Der «Tages-Anzeiger» hat die heikle Frage, ob der Polizeieinsatz verhältnismässig war, zwar bereits am Montag mit einem klaren «Ja» beantwortet, renommierte Staatsrechtler wollen sich trotzdem noch nicht abschliessend und konkret äussern. Verhältnismässigkeit ist nicht völlig objektivierbar. Die Frage wird Juristen noch monatelang beschäftigen.
Gerade weil das Ziel der Aktion - gegen gewalttätige Hooligans vorzugehen - einleuchtend ist und der eingetretene Erfolg - das Ausbleiben von Ausschreitungen und Sachbeschädigungen - der Polizei Recht zu geben scheint, besteht die Gefahr, auszublenden, was tatsächlich im Detail passiert ist: gegen wen, mit welchen Mitteln und unter Hinterlassung welcher Kollateralschäden vorgegangen worden ist. Es wird kritisiert, dass die Festnahmen nicht einzeln überprüft wurden und sich Unschuldige darunter befanden. Dabei macht allein schon die Zahl 427 stutzig: zwei Drittel der Passagiere eines offiziellen Extrazuges der SBB. Rund 50 auf einem Bild der Stadtpolizei sichtbare Feuerwerkskörper, die von der Polizei als Beweis für das Gewaltpotenzial der Leute präsentiert worden sind, stehen zur Zahl der Festgenommenen jedenfalls in einem Missverhältnis.
Nach den Vorkommnissen vom 2. Mai in Thun und den stundenlangen Krawallen vom 30. Oktober in Zürich stand die Zürcher Polizei unter Druck, ja unter Zugzwang, ein Signal zu setzen. Eine Aktion gegen gewaltbereite Fans war lange im Voraus geplant, wenn auch möglicherweise nicht in diesem Ausmass. Die Polizei soll nicht nur Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung gewährleisten, sie ist auch ein politisches Macht- und Druckmittel und wird von den Bürgern als solches verstanden. Dass sich die Stadtpolizeiführung dessen bewusst ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass seit einem halben Jahr eine ehemalige Gemeinderätin, also eine Politikerin - und kein Polizist mehr -, als Kommunikationschefin amtet. In der Politik heiligt der Zweck oft die Mittel. Wenn es um die Frage der Rechtsstaatlichkeit geht, gilt das nicht.
Die Polizeiaktion vom Sonntag unterscheidet sich wesentlich von Einkesselungen bei unbewilligten 1.-Mai-Nachdemonstrationen oder unbewilligten Anti-WEF-Kundgebungen. Der Fall liegt auch anders als die Situation am Wochenende zuvor in Winterthur, wo ein Zug mit Demonstranten von der Polizei blockiert wurde. Die Basler wollten nicht an eine illegale Veranstaltung, sie wollten an ein Fussballspiel. Auch ihre Ansammlung am Bahnhof Altstetten war nicht illegal. Einige der Fans wurden zudem in Basel nachweislich in den Zug mit den gewaltbereiten Leuten gezwungen und hatten in Altstetten keine Möglichkeit, sich der Ansammlung zu entziehen. Die Erfahrung zeigt, dass nach solchen Massenverhaftungen selbst mutmassliche Krawallteilnehmer rechtlich jeweils kaum zu belangen sind. An Zürcher Gerichten werden beispielsweise Angeklagte freigesprochen, die behaupten, per Zufall in eine nicht bewilligte Anti-WEF- Demonstration geraten zu sein (NZZ 7. 11. 03). Bis anhin hat die Polizei noch keine Angaben zum Zahlenverhältnis zwischen unschuldigen und gewaltbereiten Zugpassagieren liefern können. Es bleibt abzuwarten, was den Festgenommenen tatsächlich konkret vorgeworfen werden muss, und zu hoffen, dass die Behörden dann ausführlich darüber orientieren.
Die Stadtpolizei mag mit nachvollziehbaren Argumenten auf ihrem Standpunkt bestehen, dass ihr Vorgehen korrekt und professionell gewesen sei. Im subjektiven Erleben der Betroffenen, die Erniedrigung und Demütigung empfanden, auch wenn dies von der Polizei nicht beabsichtigt war, kann dies nicht befriedigen. Nur aufgrund des äusseren Merkmals, dass man einen FCB- Schal trug, wurde man eingekesselt, Reizgas- Einsätzen ausgesetzt, verpasste das bereits bezahlte Fussballspiel und musste stundenlang mit auf dem Rücken gefesselten Händen warten, ohne ausreichende Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen. Bei jedem Unschuldigen, dem so etwas passiert, löst eine solche Behandlung begreiflicherweise Wut und Unverständnis aus.
Für eine seriöse abschliessende Kommentierung und Analyse des Einsatzes ist es heute noch zu früh. Er wird mit Sicherheit nicht nur polizeitaktisch, sondern auch politisch unter die Lupe genommen und möglicherweise auch gerichtlich beurteilt. Das Ausbleiben von Ausschreitungen muss dabei nicht nur im Verhältnis zu den individuellen Einschränkungen der Betroffenen, sondern auch in Bezug auf den eingetretenen Imageschaden sowie auf positive oder negative Effekte für die Prävention zukünftiger Ausschreitungen beurteilt werden. In diesem Zusammenhang wird schon gestritten, ob sich Mitläufer in Zukunft eher von Gewalttätern distanzieren werden oder ob friedfertige Fans eher zur Gewalt angestachelt worden sind. Naheliegend ist wohl, dass gewaltbereite Fans Extrazüge von nun an meiden werden und ihre Anreise nicht mehr kanalisiert werden kann, was sicher nicht im Sinne der Prävention ist.
tom.