Fussballstadion und Stadtentwicklung:
Der Mensch als architektonisches Element
«In der Schweiz ist nichts gross»
Wolfgang Bortlik (Interview)
In Zürich werde das neue Stadion am falschen Ort gebaut, kritisiert Architekt Jacques Herzog. Der Mann muss es wissen: Er hat schon mehrere Stadien projektiert.
http://www.woz.ch/wozhomepage/35j03/stadion35j03.htm
WoZ: Der von Ihnen konzipierte St.-Jakob-Park in Basel steht für die neue Fussballeuphorie in der Schweiz, das neue Münchner Fussballstadion, Schauplatz der Weltmeisterschaft 2006, wird nach Ihren Entwürfen gebaut, und als absolutes Prestigeobjekt planen Sie das Stadion für die Olympischen Spiele 2008 in Peking. Was ist das Faszinierende an einem Stadion?
Jacques Herzog: Für mich als Architekten ist es eigentlich kein grosser Unterschied, ob ich Häuser zum Wohnen, Häuser zum Arbeiten, Kunstmuseen oder Stadien baue. Mich interessiert es, für all die Programme, die für uns Menschen wichtig sind, das Leben, die Kultur, den Alltag, für all diese Anforderungen etwas entwickeln und anbieten zu können. Wenn du aber wie ich den Fussball liebst, dann fasziniert dich ein Stadionbau besonders, und du siehst das aus einem anderen Winkel, aus der Perspektive des Fans. Und es ist toll, Orte in einer Stadt zu bauen, an denen Öffentlichkeit funktioniert. Natürlich ist Architektur oft limitiert, man kann nicht immer so bauen, wie man will, wie man müsste. Am Ende gibt es dann einen Murks, weil kein Geld mehr da ist.
Die Fussballstadien in der Schweiz werden ja gebaut, um mehr Leute zum Fussball zu bringen. Wie wichtig ist da die Architektur?
Schlechte Architektur wird den echten Fan nicht davon abbringen, zu einem Fussballspiel ins Stadion zu gehen, aber für andere Menschen kann sie eine Blockade sein. Gute Architektur zieht auf jeden Fall an, erhöht den Genuss. Der Mensch ist das wichtigste architektonische Element. Wenn nur zehntausend in einem Stadion für dreissigtausend sitzen, fehlt dieses wichtigste architektonische Element. Der Mensch gibt dem Ganzen eine Atmosphäre, einen Raum. Deswegen ist Basel das schönste Stadion der Schweiz. Nicht nur, weil es ein Stadion für den Fussball ist, sondern weil es meistens voll ist und so all die anderen architektonischen Sachen wie Raum, Farbe, Licht, Leuchtwirkung zum Tragen kommen. Der St.-Jakob-Park musste innerhalb eines engen Kostenrahmens als rein kommerzielles Produkt entwickelt werden. Es gab keinen Wettbewerb, alles war vorgespurt. Es gibt diese englischen Stadien, die oft sehr hässlich, aber intelligent gebaut sind. Die waren Vorbild für Basel, denn die haben diese Kesselwirkung; die Kompaktheit und Steilheit der Ränge trägt dazu bei. Wenn so ein Stadion voll ist, dann ist es ein Hexenkessel. Wenn du noch eine Rennbahn rund ums Feld hinstellst, geht diese Wirkung natürlich verloren.
Nun reicht der Fussball oder der Sport allgemein offensichtlich nicht mehr für den Betrieb eines Stadions aus. Es muss eine so genannte Mantelnutzung her. Beim Zürcher Stadion hat man das Gefühl, dass der Hauptinvestor lieber gleich ein Einkaufszentrum hinstellen möchte und dies mit dem Stadion nur kaschiert.
Mantelnutzung, ja, das ist ein unglaubliches Wort, aber das gibt es überall, auch in Basel. Da sind es ein Altersheim und Läden, das ist dort aber nicht so präsent. Wenn man das Stadion nur durch das Einkaufszentrum betreten kann, ist das problematisch. Dieses Durchschleusen durch Kommerzzonen haben wir ja schon genug, auf dem Bahnhof, im Flughafen, sogar schon in der Post. Andererseits ist das isolierte Stadion, das Stadion pur nach dem Sportereignis dunkel, tot, es steht wie ein Skelett da, ohne Funktion. Das finde ich auch nicht interessant. Das Stadion soll noch anders programmiert werden können, als lebendiger Teil der Stadt, mit einer Nutzung, die belebt und nicht nur Kommerzzone ist: Fitnesscenter, Restaurants, Bars, vielleicht sogar ein Museum passen dorthin. Die heutige Stadt funktioniert anders, nicht mehr so eindeutig: Aus Silos werden Kinos, aus Schiffen werden Plattformen für Tanzereignisse und so weiter.
Und die Stadien sind die neuen Kathedralen.
Stadien wie auch Museen haben durchaus parareligiöse Funktionen in unserer Gesellschaft. Ich denke an die Gesänge, das Zeremonielle im Stadion. Das ist ein interessantes Phänomen, wenn wir es wieder auf die Architektur beziehen.
Nun gibt es aber zumindest in Zürich Menschen, die sich in ihrem Leben gestört fühlen vom Drumherum derartiger sakraler Handlungen. Es gibt politische Auseinandersetzungen ums neue Zürcher Stadion, juristische sind absehbar. Die StadiongegnerInnen stören sich vor allem an der kommerziellen Mantelnutzung.
Ich sehe das so, dass die meisten Einwände nicht substanziell sind, es geht nicht um Inhalte und Argumente. Es geht letztlich darum, dass es politische Kräfte in der Schweiz gibt, die eine Art antiurbaner Mentalität mittragen. Das sind auf der einen Seite die SVP, auf der anderen die Grünen. Es gibt da eine geradezu exorzistische Besessenheit im Verhindern von urbanen Phänomenen. Die Grünen retten ihre Bäume, dabei gibt es mehr Bäume in der Stadt als Stadt in der Natur. Und die SVP verhindert auf gesellschaftlicher Ebene Urbanität, indem sie gegen Ausländer ist. Für mich ist diese Erkenntnis antiurbaner Tendenzen wichtig. Ich werte das nicht, ich konstatiere und beachte es. Über Details kann man immer reden, wenn ein Baum unbedingt stehen bleiben muss. Immerhin gäbe es in Zürich sicher spannendere Orte für ein Stadion. In Basel wäre es politisch natürlich völlig inopportun, eine solche Opposition gegen ein Fussballstadion zu machen.
Betrachtet man die ZuschauerInnenzahlen im Schweizer Fussball, könnte man meinen, dass einige der neuen Stadien wie Genf und Zürich zu gross angelegt sind.
In der Schweiz ist doch nichts gross. Das Zürcher Stadion ist nicht grösser als das in Basel. Die Zürcher Bevölkerung hat jedoch vielleicht nicht diese Zuneigung zum Fussball und zum Stadion. Aber es wäre wohl dramatisch, wenn das Stadion in Zürich nicht zustande kommt. Opposition gab es auch in Basel. Der Abriss des alten St.-Jakob-Stadions war für viele ein Problem. Das neue Stadion ist dann aber mit den Erfolgen des FC Basel im Sturm erobert worden. Wahrscheinlich muss GC erst die Champions League gewinnen. Obwohl wir für Basel viel Lob bekommen haben, bist du für die Leute normalerweise als Architekt immer der Betonierer, der alles schöne Alte kaputtmacht.
Wenn man die architektonischen Zukunftsszenarien anschaut, die etwa Avenir Suisse letzthin publiziert hat, kann man diese Ansicht aber gut nachempfinden. Der Entwurf, in dem Zürich nur noch aus Hochhäusern besteht, dürfte an menschliche Urängste rühren.
Sicher, das ist dummes Zeug. Ich weiss nicht, wieso Avenir Suisse überhaupt so etwas herausgibt. Mit solchen Dingen erschreckt man die Leute. Und dabei wird auch auf krasseste Art und Weise die Schweizer Urbanität missachtet, die heterotopisch und nicht nur auf Zürich fokussiert ist. Das ist ja gerade die Qualität der Schweiz, dass sie drei Metropolen mit ganz unterschiedlichen Charakteristiken hat. Zürich ist die einzige nationale Metropole, was ihr natürlich am meisten Masse und Wucht gibt. Genf ist binational, und Basel ist trinational. Das sind gleichwertige, aber andersartige Pole.
Zürich möchte in der Liga der «global cities» mitspielen. Wenn nur genug interessante Leute dort wohnen, kommt auch die Wirtschaft dorthin. Wenn ein neues Stadion da ist, kommt auch der grosse Fussball, und dann strömen die Massen natürlich auch ins Einkaufszentrum im Stadionmantel. Und ganz wichtig ist ein toller Name für die Sportstätte.
Das ist dieses Branding, das ist Tyler Brûlé. Das finde ich verheerend. Das ist absolut neunziger Jahre. Es ist spiessig und provinziell, dieses Pushen aufgrund von Labels. Das funktioniert auch nicht. In Basel sagen auch alle dem neuen Stadion noch Joggeli. Man sollte das Zürcher Stadion vielleicht vorsichtshalber Unique-Downtown-Switzerland-Stadion nennen.
Wie ist es mit den Einwänden aus den Fankurven, von den Stehplätzen gegen die neuen Stadien: Ich kann nicht mehr herumlaufen und mir eine Bratwurst holen, ich kann das Spiel nicht mehr aus verschiedenen Blickwinkeln ansehen, ich muss sitzen …
Mit dieser Art des Fussballgenusses ist es auf dieser höheren Ebene tatsächlich fertig. Heute wirst du fixiert im Stadion. Damit habe ich auch Probleme. Aber die Sicherheitsproblematik wird immer grösser. Das ist auch ein urbanes Phänomen. Die Bratwurstromantik überleben zu lassen in einem Konzept aus Sicherheit und Kommerz, das ist eine Herausforderung für uns als Stadionarchitekten. Da muss man ausloten, was noch möglich ist. Wenn alles nur auf der geschliffenen VIP-Ebene funktioniert, geht ein Teil des Publikums und der Attraktivität verloren. Ich sitze im Basler Stadion bewusst nicht auf der Logenseite, sondern gegenüber. Nicht nur, weil ich die VIPs nicht besonders mag und keine Businessfunktion während des Spiels ausüben will. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, beim Fussball jemanden neben mir zu haben, der nicht in derselben bedenklichen Art und Weise wie ich seinen Emotionen als Fan ausgeliefert ist.
Am Anfang des Gesprächs sagten Sie, der Mensch sei das wichtigste architektonische Element.
Natürlich. Das Problem in Zürich ist offensichtlich, dass das Stadion mitten in einem gewachsenen Wohnquartier liegt. In München befindet sich das Stadion zwischen der Stadt und dem Flughafen im Niemandsland, daraus wird eine spannende Sache. In Basel werden wir den St.-Jakob-Park für die Europameisterschaft ausbauen, mit einem Hochhaus und neuen Nutzungen. Das wird ein urbaner Ort. Da zügelt die Stadt zum Stadion hin, das Wohnen kommt zum Stadion, in ein Hochhaus, in die Höhe. Das sind Wohnformen, die gedanklich und typologisch mit dem Sport verwandt sind. Wenn man ein Projekt in ein gewachsenes Quartier hineinstellt, verdrängt man immer etwas.
Nochmals: Das Zürcher Stadion wird vielleicht einfach am falschen Ort gebaut.
Es wäre schon kühner von der Idee her, es weiter draussen zu bauen, wo mehr möglich ist. Oder näher, mitten in der Stadt. Warum Zürich zwei Stadien braucht, ist mir auch schleierhaft. Es reicht doch ein multifunktionales Stadion, das zum Beispiel eine Tribüne hat, die für eine Rennbahn weggenommen werden kann. Wir machen so etwas in Peking, aber das ist natürlich komplexer und teurer. Ich habe ja auch eine Idee für ein nationales Konzept für die neuen Fussballstadien der Schweiz. Sie sehen alle gleich aus, nur die Farbe ist verschieden, und sie stehen alle an der Autobahn, an der A1 und A2, gut sichtbar, gut erreichbar, wie moderne Burgen. Aber das ist wohl nicht machbar in der Schweiz. Hier bastelt jeder für sich an seinem Altstadtkonzept.
Da sind wir wieder beim Fussballstadion als moderner Kathedrale angelangt. Vielleicht sollte man in Zürich einfach das Gross- oder das Fraumünster abreissen und dort das neue Stadion hinbauen.
Das ist keine schlechte Idee.