Idealismus und die 13 als Glückszahl
Der frühere Traditionsverein FC Young Fellows vor 100 Jahren gegründet
Dreizehn junge Männer waren es, den Dreizehnten (Mai 1903) wählten sie herausfordernd als Gründungstag. In einem Anflug von Übermut und den Aberglauben verhöhnend. Die mystische Kraft der Zahl 13, der sie getrotzt hatten, erfüllte drei Jahrzehnte später auf geheimnisvolle Art ihr Glücksverlangen: An einem Dreizehnten, am 13. April 1936, gewann der FC Young Fellows auf dem Förrlibuck nach dem 2:0 im Cup-Final gegen Servette den einzigen nationalen Titel. Es war der grösste Sieg der Klubgeschichte.
Aber seit 1992 gibt es die Young Fellows nicht mehr. Sie existieren nur noch dem Doppelnamen nach. Bloss das Kürzel YF, von dem die Leute von heute kaum wissen, was es bedeutet, ist nach der Fusion - einer Vernunftehe - mit dem ursprünglichen Italiener-Verein Juventus Zürich im neuen Namen «SC YF Juventus» übrig geblieben. Der Juve, 1922 gegründet und bekannt für gute Jugendarbeit und viele Talente, drohte damals der Abstieg in die 3. Liga. Die Young Fellows waren 1978, als sie die Heimspiele in Aarau austrugen, mit 6 Punkten aus 32 Spielen in die Nationalliga B, schon ein Jahr später im Fall in die Amateurklasse (1. Liga) - und vorübergehend sogar noch in die 2. Liga - abgesackt.
Opfer des Berufsfussballs
Sie verabschiedeten sich vor 25 Jahren für immer aus der Nationalliga A und vom Spitzenfussball. Als eines der ersten Opfer der Einführung des Professionalismus, der in der Mitte der siebziger Jahre in der Schweiz vollzogen worden war. Doch weil sie ihre finanziellen Limiten kannten, entgingen sie einem Konkurs. Fast ein halbes Jahrhundert lang, bis 1952, hatten sie sich als einziger Verein ausser Servette in fast wundersamer Weise immer in der höchsten Spielklasse behauptet. Länger also als der FC Zürich, der erstmals 1934 abstieg, länger als der FC Basel (1939), länger als die Young Boys (1947) und sogar länger als die Grasshoppers (1949). Zwischen den finanzkräftigen Grasshoppers mit ihrem enorm grossen Potenzial und dem volksnahen FC Zürich nahmen die Young Fellows eine Sonderstellung ein. Zwar wohlgelitten, erreichten sie allerdings die grossen Erfolge des FCZ und vor allem von GC nicht annähernd. YF setzte die Ziele anders. Das Team strebte nach der Verwirklichung von gewissen Idealen und hatte eigene Vorstellungen über die Werte, die ein Fussballklub hochzuhalten hat. Ohne sich für etwas Besseres zu halten, wollte der Klub auch das damalige Vorurteil widerlegen, Fussball sei ein Sport für Proletarier. In der Geschäftswelt und in Bankkreisen verankert, erfreute sich YF in der Gesellschaft trotz bescheidenen Erfolgen eines respektablen Ansehens. Noblesse oblige: Das «Zunfthaus zur Saffran» diente als Klublokal, nicht irgendein «Quartierspunten». Dort fand 1943, mitten im Krieg, die 40-Jahr-Feier in Form eines rauschenden Klubballs (Herrenkarte Fr. 5.-, Damenkarte Fr. 3.-) mit gleich zwei Orchestern und dem Auftritt des Cabaret Cornichon mit allen Koryphäen statt, deren Namen heute noch geläufig sind.
Humor und Understatement
1936 übernahm ein knapp 30-jähriger charismatischer Unternehmer namens Gustav Wiederkehr den Verein und führte ihn wieder zum Amateurismus zurück. Mit Humor und Understatement erzeugte er eine Atmosphäre, in der man sich wohl fühlte. Eine Oppositionsgruppe, «Altherren-Vereinigung» genannt, hatte YF 1931 mit dem Segen der GV in einen kostspieligen Irrweg ge- und zum Profitum verführt, sich als «Verwaltungsrat» aufgespielt und einen Manager, den ersten überhaupt im Schweizer Fussball, gewählt. «Weil die Schnellzüge nicht rasch genug fuhren», so der Spott nach dem missglückten Experiment, «holte man die neuen Spieler per Flugzeug aus nahen und fernen Ländern.» Doch der Wahn war kurz, die Reue lang.
Wiederkehr blieb bis 1949 im Amt, avancierte zum Präsidenten des Schweizer Verbandes (1954 bis 1964) und von 1962 bis zu seinem Tode 1972 des europäischen Verbandes, der Uefa. Er formulierte sein Credo 1943 in der Jubiläumsschrift so: «Das höchste Ziel, für das wir im Rahmen eines Sportklubs kämpfen, ist die Heranbildung eines im Geist und Körper gesunden Geschlechts. Mut und Ausdauer, Sportlichkeit und Kameradschaft sind die Leitsterne derjenigen, welche heute die rotschwarzen Farben tragen. Aber auch wir, die wir für das Gedeihen des Klubs verantwortlich sind, haben uns der gleichen Marschrichtung verpflichtet.»
Er liess es nicht bei den schönen Worten bewenden. Er setzte sich tatkräftig für die Weiterbildung und den Aufstieg seiner Spieler im Beruf ein, wie das u. a. die Internationalen Walter Eich und Wädi Fink erfuhren. Auch die Förderung des Nachwuchses und von Werten, die über das Fussballerische hinausgingen, lag dem Klub am Herzen. YF hatte im Krieg die grösste Jugendabteilung und stellte am meisten Teams in der Meisterschaft. Der Junioren-Obmann Karl Schlachter, ein Lehrer und Pionier des Schulfussballs in der Stadt Zürich, konnte zudem 17 Junioren zum regelmässigen Besuch von Schauspielhaus und Stadttheater animieren, erreichte, dass 50 Prozent der Jugendlichen freiwillig auf Alkohol verzichteten und jeder Dritte dem Nikotin entsagte. Bei YF wählte man lange Zeit die Trainer sorgfältig aus. Der legendäre Csibi Winkler führte YF 1936 zum Cup-Sieg. Vier Wochen vorher standen vier YF-Spieler gegen Irland in Dublin in der Nationalmannschaft: Torhüter Schlegel, Verteidiger Edi Müller, Rechtsaussen Diebold und Mittelstürmer Frigerio.
Ein unbekannter Visionär
Ab 1938 wirkte Walter Nausch als Spielertrainer. Er hatte dem legendären «Wunderteam» Österreichs der frühen dreissiger Jahre angehört, galt als Gentleman und wurde nach dem Wegzug von 1948 bis 1954 Österreichs Teamchef. Der Jugoslawe Vujadin Boskov, ein Weltmann des Fussballs, wirkte in den Sechzigern als Spieler und dann als Trainer. Und besondere Spuren hinterliess nach dem Krieg auch ein unbekannter Engländer namens Galloway. Er trat als Visionär auf und bekämpfte mit fast revolutionären Methoden den damaligen «Pärchenfussball» und die stereotype Formel «stoppe - luege - spile». Mit der im Training dutzendfach wiederholten Aufforderung: «first time!» wollte er den Fussball, der in einer unerbittlichen Manndeckung erstarrt war, aus seiner Verkrampfung lösen, das Tempo beschleunigen, den Raum erweitern und die Abspielmöglichkeiten erhöhen. Er zwang die Spieler, den Ball sofort, beim ersten Kontakt, weiterzuspielen.
In den ersten 60 Jahren blieben die Führungskräfte lange im Amt. Zu ihnen zählten René Richardet, GD der National-Registrierkassen, nach der Ära Franz Uster gegen Ende der sechziger Jahre die Bankiers Max Kohler als Präsident, Jean-François Kurz, der heutige Nationalliga-Präsident, und Stenko Kovacevic als Vizepräsidenten. Das illustre Trio trat nach vier Jahren gemeinsam zurück, zückte die Brieftaschen zur Begleichung der Schulden, legte 600 000 Franken auf den Tisch des Hauses und war dafür verantwortlich, dass YF mit einer schwarzen Null weiterleben konnte. Der ehemalige NZZ-Redaktor Walter Diggelmann, der an Auswärtsspielen oft auch noch gleich die Matchberichte für seine Zeitung telefonierte, und der populäre Radiomoderator Ueli Beck standen in immer schwieriger werdenden Zeiten dem Klub vor. Zu den namhaften YF gehörte auch Meinrad Ott, der als Präsident des SFV (1923 bis 1925) den Verband in der lange Zeit glorreichsten Epoche geführt hatte.
Aus YF wurde in den frühen zwanziger Jahren ein polysportiver Verein. Vorübergehend gehörten ihm eine Tennis-, eine Leichtathletik-, eine Landhockey- und sogar eine Damen-Korbball- Sektion an. Fast pausenlos war er auf der Suche nach einer Bleibe (Fussballplatz). Der Weg führte ihn in einer beinahe Odyssee-ähnlichen Irrfahrt mit einer Reihe von gefährlichen Abenteuern über die Enge, die Allmend, die Hardau, den Hardturm (bevor GC das Stadion baute), den Utogrund, den Förrlibuck (eigenes Stadion, Zwangsverkauf an die Stadt zu Spottpreis), den Letzigrund, das Brügglifeld in Aarau und zuletzt wieder auf den Utogrund zurück. Dorthin kehrt an diesem Samstag für einen Tag und eine Nacht mit der Sehnsucht nach Vergangenem ein auferstandener Toter ins Leben zurück. Aus den jungen Burschen sind inzwischen alte Knaben geworden. Und sie feiern die Gründung vor 100 Jahren, die Heldentaten ihrer Jugend und ein Stück Zürcher Fussballgeschichte.
Quelle: www.nzz.ch
http://www.nzz.ch/2003/05/13/sp/page-article8UO8G.html