Beitragvon Krönu » 14.05.19 @ 8:23
Aus der WoZ, 2003:
Jüdischer Fussball in der Schweiz und der Antisemitismus beim Grasshopper-Club
Restriktive Erinnerungspolitik
Beat Jung
Antisemitische Verunglimpfung war beim Grasshopper-Club Zürich bis in die fünfziger Jahre hinein Praxis: Bericht über ein unrühmliches Stück Schweizer (Sport-)Geschichte.
Es ist unbestreitbar, dass es in den vierziger und auch noch in den fünfziger Jahren Ablehnungen von jüdischen Mitgliedschaften gegeben hat, was aus heutiger Sicht völlig unbegreiflich und peinlich ist. Mit dem GC unserer Tage hat das aber nichts mehr zu tun. Heute haben wir mehrere Mitglieder, die Juden sind. Wie viele genau, kann ich nicht sagen, weil wir es in unseren Unterlagen nicht erfassen.» Hermann Strittmatter, Vorstandsmitglied der Sektion Fussball des Grasshopper-Club und zuständig fürs Marketing, hatte Kuhglocken, Sennenkäppli und eine Rede mitgebracht. Die Stimmung im Zürcher Koscher-Restaurant Schalom war ausgelassen. Maccabi Schweiz, der jüdische Sportdachverband, hatte 1995 – zwei Tage vor dem Hinspiel GC gegen Maccabi Tel Aviv um den Einzug in die Champions League – zum Empfang geladen.
«Das Ganze hatte den Touch von offizieller Versöhnung zwischen dem Grasshopper-Club und den Juden», sagt Daniel Fischer, damals Präsident von Maccabi Schweiz. «Heute muss ich sagen, dass ich meine mentale Reserviertheit gegenüber dem GC abgebaut habe.» Doch es sei nicht von ungefähr gekommen, dass der GC bei den meisten Juden schon von Kindesbeinen an der Buh-Klub gewesen sei.
Chronik der Diskriminierung
• «Im Besitze Ihres Schreibens vom 6. dieses Monates teile ich Ihnen mit, dass tatsächlich im Grasshopper-Klub seit seinem bald sechzigjährigen Bestehen kein Jude aufgenommen wurde. Da wir Kandidaten jüdischer Abstammung ein negatives Ergebnis bei der Aufnahme ersparen wollen, so fühlen wir uns verpflichtet, die Herren vorher aufzuklären», schrieb Dr. Walter Brunner, Präsident der GC- Rudersektion, am 7. März 1945 in einem Brief. «Man wusste zwar längst, was los war», kommentierte das «Israelitische Wochenblatt» den unverhohlenen Antisemitismus, «war aber doch überrascht, dass der Präsident der Rudersektion, Dr. Brunner (dessen offen angegebene Firma am Schanzengraben 23, ein Baugeschäft, bislang, wie man hört, jüdische Aufträge gern angenommen hat), dies ganz ungeniert in einem Brief zugibt.»
• «Es war bei einem Drittliga-Match Ende der vierziger Jahre. Wir spielten gegen den GC», erzählt Samuel Warmund, Jahrgang 1922, während rund zwanzig Jahren Kapitän des FC Hakoah, des jüdischen Fussballvereins der Stadt Zürich (vgl. unten). «Bei einem hohen Ball stiess mein Bruder mit einem GC-Spieler zusammen. Der Mann vom GC ging zu Boden. ‘Die Öfen waren zu klein für euch in Deutschland’, beschimpfte er uns. Da fragte ich den Schiedsrichter: ‘Haben Sie das gehört?’ Als dieser bejahte, war der Fall für mich erledigt. Wir gingen vom Platz. Nachher mussten der Klubpräsident und ich in Bern vor dem Schweizerischen Fussballverband antreten. Der Grasshopper-Club kam mit einem Anwalt und stritt alles ab. Der Schiedsrichter war auch dort, bekam einen roten Kopf und behauptete, er habe nichts gehört. Es stand Aussage gegen Aussage.»
• 1952 geht der Fall einer nicht namentlich genannten Tennisspielerin durch die Presse, deren Gesuch um Aufnahme in den Grasshopper-Club abgelehnt worden war, weil sie jüdischer Abstammung sei. Zwei Jahre später holte sich Ruth Kaufmann, siebzehnfache Schweizer Meisterin im Tennis, ihren ersten nationalen Titel im Einzel auf den Tennisplätzen vom GC. «Das war für viele Juden eine grosse Satisfaktion, dass eine jüdische Tennisspielerin auf GC-Territorium Schweizer Meisterin wird», erinnert sich die heute 78-Jährige.
• 1954 treffen der GC und der damals A-klassige FC Fribourg im Cup-Halbfinal aufeinander. Robert Weil, Jude und linker Flügelstürmer bei Fribourg, prallt mit GC-Goalie Thomas Preiss zusammen. «Nach dem Zusammenstoss erkundigte ich mich bei Preiss, ob etwas passiert sei», sagt Weil. «Da beschimpfte mich der GC-Masseur, der aufs Spielfeld gekommen war, um den Goalie zu pflegen. ‘Das ist typisch hebräisch von dem Saujud.’ Um ein Haar hätte ich dem Masseur eine gehauen. Ich konnte mich grade noch bremsen. Zum Glück beschwichtigte der Schiedsrichter. ‘Wir sind hier, um Fussball zu spielen’, beruhigte auch Fredy Bickel vom GC die Gemüter.» Nach dem Match, den Fribourg mit 3:1 gewonnen hatte, habe ihm ein Funktionär des Schweizerischen Fussballverbandes versichert, dass das noch ein Nachspiel gebe, sagt Weil. «Ich habe dann aber nie mehr etwas vom Verband gehört.»
Kollektives Schweigen
Dieses Verhalten ist symptomatisch für den Umgang mit antisemitischer Verunglimpfung und Diskriminierung in der Schweiz der Nachkriegszeit. «Das Thema Antisemitismus hat lange keine Rolle gespielt in den gesellschaftlichen Diskussionen, war tabuisiert und wurde kollektiv beschwiegen», sagt Aram Mattioli, Historiker und Herausgeber des Buches «Antisemitismus in der Schweiz 1848–1960».
Noch heute ist eine Blickverengung festzustellen. Debattiert wird über die Schweiz und ihre Rolle während des Zweiten Weltkriegs. Dass aber die rassistische Ausgrenzungslogik nach Kriegsende nicht einfach aufgehoben worden war, wird oft ausgeblendet (vgl. unten).
«Man sprach in neuerer Zeit, zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg, in den gesellschaftlich dominierenden Kreisen nicht offen über die Unerwünschtheit der Juden in den Entscheidungsetagen und -rängen der Behörden, vom Bundesrat bis hinunter zum Gemeinderat – von Ausnahmen abgesehen –, der Banken, der Industrie, der staatstragenden Parteien», schreibt der Publizist Alfred A. Häsler. Was andernorts latent schlummerte, hatte beim GC System.
Juden beim GC
In den 1986 erschienenen Annalen «100 Jahre Grasshopper-Club Zürich» wird das Thema Antisemitismus mit keiner Silbe erwähnt. Konfrontiert mit den antijüdischen Ressentiments im Laufe der Klubgeschichte, sagte noch in den achtziger Jahren der damalige Präsident der GC-Fussballer, Karl Oberholzer: «Dieser Vorwurf ist mir nicht bekannt. Wir hatten immer schon Juden im GC.» Da hatte Oberholzer Recht. Beim Grasshopper-Club waren Juden akzeptiert, «wenn sie sich etwa eine nichtarische ‘Sportskanone’ sichern können oder wenn ein nichtarischer Kandidat ‘gut bei Kasse’ ist» («Volksrecht», 1952). Finanziell potent war der Bankier Werner Bär; sportlich so gut, dass man sie als Juden in Kauf nahm, waren Hans-Peter Friedländer und Dori Kürschner.
Friedländer – gefürchtet wegen seiner Dribblings, oft nur unfair vom Ball zu trennen und Opfer von acht Knochenbrüchen – spielte von 1940 bis 1946 auf dem Hardturm. In Fussballhandbüchern wird er als der beste Schweizer Fussballer seiner Zeit bezeichnet. Der Ungar Kürschner trainierte die Hopper von 1925 bis 1934. In dieser Zeit wurde der Grasshopper-Club dreimal Schweizer Meister und viermal Cupsieger.
Auf den Juden Kürschner folgte ein Mann, der Sympathien zu Nazi-Deutschland hegte: Karl Rappan. Der Österreicher Rappan war gleichzeitig auch Trainer der Schweizer Nationalmannschaft. In der Presse wurden ihm besonders enge Beziehungen zur Reichssport-Kammer in Berlin nachgesagt. Wenige Tage nach dem Überfall Hitlers auf Österreich im Jahr 1938 soll Rappan «von meiner Heimat, der deutschen Ostmark» gesprochen haben. Im Sommer des gleichen Jahres fand in Frankreich die Fussballweltmeisterschaft statt. Im Achtelfinal warfen die vom französischen Publikum gefeierten «petits Suisses» Grossdeutschland mit 4:2 aus dem Turnier. Beim Abspielen der Nationalhymnen hatte der Schweizer Coach aus Österreich die Hand zum Hitlergruss erhoben.
«Es wäre an der Zeit, wenn die zuständigen Verbandsbehörden die Tätigkeit dieses Herrn einer Überprüfung unterziehen würden», forderte 1945 die «Freie Innerschweiz». Doch es kam anders: Als erster Ausländer wurde Rappan – später Trainer beim FC Servette, beim FC Zürich und bei Lausanne-Sports – für seine Verdienste um den Fussball als Ehrenmitglied des Schweizerischen Fussballverbandes ausgezeichnet.
Goodwill dank Weisweiler
Im Jahr 1963 musste der GC eine Israel-Tournee absagen. «Israel ist an einer Erweiterung der sportlichen Beziehungen mit der Schweiz interessiert. Aber nicht mit Klubs, die die Juden diskriminieren», sagte der israelische Sportkommissar Reuven Dafni im «Blick». Geplant war auch ein Freundschaftsspiel gegen Bnei Yehuda Tel Aviv. Die Ironie der Geschichte: 1997 wechselte der israelische Nationalspieler Avraham Tikva von Bnei Yehuda Tel Aviv zum GC. Bereits in den frühen achtziger Jahren hatte der damalige Trainer Hennes Weisweiler in Israel für Goodwill gesorgt. Weisweiler, der jahrelang israelische Trainer ausgebildet hatte, hielt mit den Grasshopper in Israel auch ein Trainingslager ab.
Die Zeiten der antisemitischen Diskriminierung beim GC gehören der Vergangenheit an. Mit dem Chilenen Sebastian Rozental hat der Klub vor einem Jahr erneut einen jüdischen Spieler verpflichtet. Der Verein schaltet ganzseitige Inserate in jüdischen Zeitungen, tritt als Sponsor des «Jewish Classic Festival» auf. «Das aktuelle Leitbild des Klubs, das seit Jahren die totale gesellschaftliche Öffnung deklariert, würde eine andere Haltung völlig unmöglich machen. Wir hoffen, unsere jüdischen Mitbürger nehmen es uns ab, dass der heutige GC seit Jahrzehnten nie mehr an so etwas dachte», sagte GC-Vorstandsmitglied Strittmatter im Restaurant Schalom.
Doch über einen Mann würde man gerne noch etwas mehr erfahren: Walter Schoeller, Besitzer eines Textil- und Wollgarn-Imperiums, von 1934 bis 1976 GC-Zentralpräsident. Patriarch Schoeller bestimmte höchstpersönlich, wer in den Klub aufgenommen wurde und wer nicht. «Aktenkundig ist ein Brief von Schoeller aus den fünfziger Jahren, in dem er eine Mitgliedschaft ablehnt, weil der Antragssteller Jude ist», sagt Strittmatter. Doch die Erinnerungspolitik vom GC ist restriktiv, der Brief von Schoeller nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Der Patriarch bleibt tabu.
Orthodoxe und linke Juden spielen Doppelpass
Sportplatz Buchleren in Zürich an einem Sonntag Mitte April. Ein Meisterschaftsspiel der vierten Liga. Der FC Hakoah Zürich spielt gegen die türkische Mannschaft Fenerbahce. Das türkische Team liegt mit vier Toren im Vorsprung. Dann führt ein Out-Ball zu Diskussionen. «Du Saujud, man müsste euch alle vergasen», rastet die Nummer fünf von Fenerbahce aus. Der Schiedsrichter, ein Mann aus Mazedonien, wegen seiner schlechten Deutschkenntnisse durch die Situation offensichtlich überfordert, lässt weiterspielen, ohne eine Karte zu ziehen.
«Irgendwie ist das verrückt», analysiert Samy Riger, ehemaliger Spieler und Funktionär des FC Hakoah, den Vorfall. «Wir Juden sind eine Minderheit in der Schweiz, die Türken sind eine Minderheit. Da beschimpft jemand aus einer Minderheit einen anderen aus einer anderen Minderheit.» Und der Schiedsrichter – die neutrale Instanz auf dem Platz und ebenfalls Angehöriger einer Minderheit – versteht nicht, was vorgeht.
«Ich habe vor zehn Jahren das letzte Mal eine ähnliche Situation erlebt. Da hat der Schiedsrichter die rote Karte gezogen», sagt Ronny Bachenheimer, Torhüter des FC Hakoah und Klubpräsident. Er vermutet, dass das Antirassismusgesetz – seit 1995 in Kraft – eine gewisse Wirkung entfaltet.
Der FC Hakoah – der hebräische Name bedeutet «die Kraft» – ist der einzige jüdische Fussballklub in der Schweiz, abgesehen vom jüdischen Turnverein Basel, der eine Fussballsektion führt. Der Klub hat zwei Aktivmannschaften, eine in der vierten, eine in der fünften Liga. Die Juniorenabteilung umfasst rund fünfzig Buben in vier Teams.
Der jüdischen Tradition entsprechend – der Sabbat ist Ruhetag – spielen die Fussballer mit dem Davidstern auf dem Trikot samstags nicht. «Über den Sport erzielen wir einen gemeinsamen Nenner für die verschiedenen Ausrichtungen des Judentums. Religiöse und Säkulare, Orthodoxe und Liberale, Linke und Rechte finden sich bei uns wieder», beschreibt Bachenheimer die Aufgabe des Klubs. Gegründet wurde der Verein 1921, «wohl im Zuge vermehrter jüdischer Einwanderung in mitteleuropäische Länder nach Pogromen in Osteuropa», vermutet Riger.
«Bei einem E-Junioren-Spiel zwischen Hakoah und einem Zürcher Vorstadtklub ist es zu wüsten verbalen Entgleisungen der christlichen Dreikäsehochs gekommen. ‘Saujud!’, schallte es gleich mehrmals über den Platz», meldete der «Sport» 1990. Wenn E-Junioren, das sind acht- oder neunjährige Knirpse, sich als Rassisten aufführten, dann hätten sie das von den Erwachsenen, sagt Riger. «Das Thema Antisemitismus – auf und neben dem Fussballfeld – ist nicht erledigt.»
Gemäss einer Studie der Fairleigh Dickinson Uni (2011) sind Fox News Zuschauer nicht nur schlechter informiert als die Zuschauer anderer News Sender, sondern sind im Schnitt sogar etwas schlechter informiert als Menschen, die gar keine Nachrichten sehen.