http://www.gemeinderat-zuerich.ch/DocumentLoader.aspx?ID=c5d7805c-bcd9-4519-9060-8a9a84f35867&Title=2013_0200.pdfAuszug aus dem Protokoll des Stadtrats von Zürich
vom 28. August 2013
797.
Schriftliche Anfrage von Samuel Dubno und Walter Angst betreffend Polizeieinsatz beim Fanmarsch im Vorfeld des Fussballderbys GC – FCZ vom 12. Mai 2013, Strategie und Verhältnismässigkeit des Einsatzes
Am 29. Mai 2013 reichten Gemeinderat Samuel Dubno (GLP) und Gemeinderat Walter Angst (AL) folgende Schriftliche Anfrage, GR Nr. 2013/200, ein:
Gemäss Medienmitteilung der Stadtpolizei musste vor dem Spiel ein unbewilligter Fanmarsch durch den Einsatz von Gummischrot und Wasserwerfer gestoppt werden.
In diesem Zusammenhang bitten wir den Stadtrat um die Beantwortung der folgenden Fragen:
Wir bitten um eine generelle Erläuterung, wie solche Einsätze geplant und durchgeführt werden, namentlich welche Funktionen auf welchen Stufen zu welchem Zeitpunkt welche Entscheide und Anordnungen treffen oder ausführen.
Welche Vorgaben (Anweisungen, Einsatzbefehl) gab es für den Einsatz vom 12. Mai 2013? Unterschieden sich diese Vorgaben von jenen vom 26. Mai 2013 (Spiel GC-FCB)? Wenn ja, weshalb?
Worin unterschieden sich die Situationen der beiden Fanmärsche, so dass es bei einem zu einem Einsatz von Wasserwerfern und Gummischrot kam und beim anderen nicht?
Welche polizeilichen Mittel kamen am 12. Mai genau zum Einsatz?
Welches sind die rechtlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von Gummischrot und Wasserwerfer?
Welche Stelle stellt vor und nach einem solchen Einsatz fest, ob die rechtlichen Voraussetzungen auch tatsächlich gegeben sind respektive waren? Aufgrund von welchen Informationen geschieht das?
Wie gross ist der Ermessensspielraum der Einsatzleitung vor Ort beim Einsatzbefehl für Wasserwerfer oder Gummischrot?
Wird der Entscheid für den Einsatz der genannten Mittel von einer Person oder einem Gremium gefällt?
Aufgrund welcher Überlegungen kam der Verantwortliche oder die Verantwortlichen zum Schluss, dass ein solcher Einsatz verhältnismässig sei, obwohl im Zug beispielsweise auch Eltern mit Kindern mitmarschiert sein sollen?
Sind die Teilnehmenden des Marschs von der Polizei gewarnt worden? Wenn nein, weshalb nicht? Wenn ja, in welcher Form?
Welche Meldungen über Verletzungen wegen dem Einsatz von Gummischrot sind bei der Stadtpolizei bis- her eingegangen?
Welche Meldungen über Sachbeschädigungen sind bei der Stadtpolizei eingegangen?
Medienberichte und Augenzeugen berichten von einer friedlichen Stimmung, weshalb «musste» der Fan- marsch trotzdem gestoppt werden?
Der Stadtrat beantwortet die Anfrage wie folgt:
Zu Frage 1 («Wir bitten um eine generelle Erläuterung, wie solche Einsätze geplant und durchgeführt werden, namentlich welche Funktionen auf welchen Stufen zu welchem Zeitpunkt welche Entscheide und Anordnungen treffen oder ausführen.»):
Sämtliche Grossveranstaltungen (Sport und Konzerte) sowie politische Demonstrationen werden im Vorfeld durch Spezialistinnen und Spezialisten der Stadtpolizei Zürich einer Lagebeurteilung unterzogen. Diese dient dem Kommando der Stadtpolizei Zürich, ein adä- quates Polizeiaufgebot zu erstellen.
Im Bereich Fussball und Eishockey geschieht dies durch die Ausfertigung eines so genann- ten Scoreboards. Das Scoreboard beinhaltet folgende Kriterien:
– Allgemeine Informationen (Spieltag, Anspielzeit, Parallelveranstaltungen, Alkoholaus- schank im Stadion, Sektorentrennung, Erfahrungen aus früheren Begegnungen usw.)
GR Nr. 2013/200

– Begegnungsspezifische Einschätzung (ZuschauerInnenerwartung, erwartete Anzahl Gastfans / erwartete Anzahl Risikofans Gast und Heim)
– Fanverhalten (Gast / Heim gegenüber der Polizei und der internen Sicherheit, Dialogbe- reitschaft, Alkoholkonsum, Verwendung von Pyrotechnik usw.)
Anhand dieser Kriterien wird die Risikoeinstufung pro Spiel gemacht. Um dem unterschiedli- chen Risikograd der einzelnen Spiele Rechnung zu tragen, wurden bisher fünf Risikostufen verwendet. Mit Einführung des revidierten Konkordates über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen werden neu drei Stufen für Spiele mit normalem, mittle- rem oder hohem Risiko verwendet (Stufe Grün, Gelb und Rot).
Die Risikostufe wird erstmals bei Vorliegen des Spielplans durch Spezialistinnen und Spezia- listen der Stadtpolizei festgelegt und laufend bis zum Spieltag zusammen mit den Sicher- heitsverantwortlichen der Clubs angepasst. Die Lagebeurteilung wird schliesslich im Vorfeld des fraglichen Spiels innerhalb der Stadtpolizei Zürich und den Partnerorganisationen kom- muniziert.
Im Vorfeld jedes Spiels versuchen zudem die Spezialistinnen und Spezialisten über die Fan- verantwortlichen des Gastklubs die polizeilichen Auflagen zu kommunizieren. Dabei geht es insbesondere um die Fanmärsche: Diese werden von der Stadtpolizei Zürich nur dann tole- riert, wenn sie ohne Gesetzesverletzungen, wie Sachbeschädigungen, Sprayereien und Ver- mummungen sowie dem Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen durchgeführt wer- den. Es wird auch kommuniziert, dass die Polizei sich vorbehält, den Umzug zu stoppen, falls die Fans während eines Fanmarsches den erwähnten polizeilichen Auflagen nicht nach- kommen. Ein Weitermarsch wird erst geduldet, wenn von weiteren Gesetzesverletzungen abgesehen wird. Die Polizei hält im Rahmen der Verhältnismässigkeit in solchen Situationen Fehlbare an und bringt sie zur Anzeige.
Zu Frage 2 («Welche Vorgaben [Anweisungen, Einsatzbefehl] gab es für den Einsatz vom 12. Mai 2013?»):
Basierend auf den in der Beantwortung der Frage 1 dargelegten Handlungsrichtlinien erging seitens des Gesamteinsatzleiters der Stadtpolizei der Befehl, den unbewilligten Fussmarsch der FCZ-Fans zu stoppen, sollten die Fans auf dem Marsch massiv verbotene pyrotechni- sche Gegenstände zünden und damit mehrfach gegen das Bundesgesetz über explosions- gefährliche Stoffe (SR 941.41) verstossen. Zudem galt es zu verhindern, dass Fans beim Stoppen des Fanmarsches die Polizeikräfte angreifen oder diese über andere Strassen und Hinterhöfe umgehen und dadurch den Polizeieinsatz erschweren oder behindern konnten.
Zu Frage 3 («Unterschieden sich diese Vorgaben von jenen vom 26. Mai 2013 [Spiel GC-FCB]? Wenn ja, weshalb?»):
Die Vorgaben waren in beiden Fällen identisch.
Zu Frage 4 («Worin unterschieden sich die Situationen der beiden Fanmärsche, so dass es bei einem zu einem Einsatz von Wasserwerfern und Gummischrot kam und beim anderen nicht?»):
Die Situation unterschied sich insofern dadurch, dass sich die Basler Fans am 26. Mai 2013 – ausser dem Abbrennen von vier pyrotechnischen Gegenständen – an die polizeilichen Auf- lagen hielten. Am 12. Mai 2013 kam zudem erschwerend hinzu, dass mehrere Dutzend FCZ- Fans in einen offenen Hinterhof flüchteten, um sich so der drohenden polizeilichen Kontrolle zu entziehen. Mit einem kurzen Gummischrot- und Wasserwerfereinsatz hielt die Polizei wei- tere Fans vor Fluchtversuchen ab. Nachdem die Polizei den Fluchtversuch abgewendet hat- te, fanden Verhandlungen zwischen Fanvertretenden und der Polizei statt. Die Polizei führte daraufhin keine Personenkontrolle durch und liess den Fanmarsch weiterlaufen, da im Wei- teren auf das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen verzichtet wurde.
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Zu Frage 5 («Welche polizeilichen Mittel kamen am 12. Mai genau zum Einsatz»?):
Die Stadtpolizei Zürich gibt keine taktischen Einzelheiten betreffend die Anzahl und Zusam- mensetzung der eingesetzten Polizeikräfte bekannt.
Zu Frage 6 («Welches sind die rechtlichen Voraussetzungen für einen Einsatz von Gummischrot und Wasserwerfer?»):
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Polizei im Rahmen der Verhältnismässigkeit unmittelba- ren Zwang gegen Personen, Tiere und Gegenstände anwenden und geeignete Einsatzmittel und Waffen einsetzen (§ 13 PolG). Der Regierungsrat hat in der Verordnung über die polizei- lichen Zwangsmittel (PolZ) die zulässigen Einsatzmittel, Waffen und Munitionstypen be- zeichnet: Fesselungsmittel, Diensthunde, Gummischrot, Reizstoffe, Wasserwerfer, Polizei- mehrzweckstöcke, Destabilisierungsgeräte und Schusswaffen. Beim Einsatz der Zwangs- mittel ist immer das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand der betroffenen Per- son zu berücksichtigen (§1 PolZ).
Vor dem Einsatz unmittelbaren Zwangs droht die Polizei diesen an. Keine Androhung ist erforderlich, wenn die Gefahr nur durch sofortigen Einsatz unmittelbaren Zwangs abgewen- det werden kann oder es offensichtlich ist, dass der Einsatz unmittelbaren Zwangs bevor- steht. Der Entscheid, wann welche Einsatzmittel eingesetzt werden, entscheidet die Polizei im Einzelfall bzw. Einsatz. Dabei ist, wie bei jedem polizeilichen Handeln, der Verhältnismäs- sigkeit Rechnung zu tragen. Dies bedeutet insbesondere:
– Polizeiliches Handeln muss zur Erfüllung der polizeilichen Aufgabe notwendig und geeignet sein.
– Es muss diejenige Massnahme ergriffen werden, welche die betroffene Person am wenigsten beeinträchtigt.
– Zudem darf die Massnahme nicht zu einem Nachteil führen, der in einem offensichtli- chen Missverhältnis zum verfolgten Zweck steht.
Beim Einsatz von Gummischrot und dem Wasserwerfer ist Folgendes zu berücksichtigen: Beim Einsatz von Gummischrot ist eine Minimaldistanz einzuhalten, ausser es handelt sich um einen Fall von Notwehr, Notwehrhilfe oder Notstand. Die Beimischung von Reizstoffen beim Einsatz des Wasserwerfers erfolgt nur auf Anordnung der zuständigen Einsatzleitung, wiederum ausgenommen sind Fälle von Notwehr, Notwehrhilfe oder Notstand.
Zu Frage 7 («Welche Stelle stellt vor und nach einem solchen Einsatz fest, ob die rechtlichen Voraus- setzungen auch tatsächlich gegeben sind respektive waren? Aufgrund von welchen Informationen ge- schieht das?»):
Bei den fraglichen Spielpaarungen handelt es sich um Hochrisikospiele, die ausnahmslos von einem Gesamteinsatzleitenden der Polizei geführt werden. Er oder sie ist für die Ge- samtkoordination verantwortlich und trägt auch die Gesamtverantwortung für den polizeili- chen Einsatz. Durch die direkt übermittelten Videobilder in den Führungsraum der Stadtpoli- zei und den direkten Kontakt mit den Einsatzkräften vor Ort, hat der Gesamteinsatzleitende jederzeit die Möglichkeit, die durchgeführten polizeilichen Aktionen vor Ort rechtlich einzu- schätzen und zu würdigen. Er entscheidet auch, ob es zu einer Nachbereitung des Einsatzes kommt.
Die Nachbereitung ergab, dass die dem Fanmarsch folgenden Einsatzkräfte nicht rechtzeitig am Ort waren, um die Badenerstrasse in Richtung Albisriederplatz zu sperren. Dies führte dazu, dass der Durchgang in einen Hinterhof offen blieb und zahlreiche Fans dazu verleitete, sich auf diesem Weg der drohenden Polizeikontrolle zu entziehen. Dies hätte möglicher- weise zu einer Neuformation der Fans an einem Ort ausserhalb des polizeilichen Kontroll- bereichs geführt. Wäre die Polizei etwas früher vor Ort gewesen, wäre es vermutlich nicht zu
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dieser Situation gekommen und es wäre wohl nicht zu einem Gummischrot- und Wasserwerfereinsatz gekommen.
Zu Frage 8 («Wie gross ist der Ermessensspielraum der Einsatzleitung vor Ort beim Einsatzbefehl für Wasserwerfer oder Gummischrot?»):
Werden die Polizistinnen und Polizisten angegriffen oder eskaliert die Situation, delegiert die Einsatzleiterin bzw. der Einsatzleiter den Einsatzbefehlt dem Einsatzleitenden Front.
Zu Frage 9 («Wird der Entscheid für den Einsatz der genannten Mittel von einer Person oder einem Gremium gefällt?»):
Vor einem Entscheid lässt sich der Gesamteinsatzleitende von Fachspezialistinnen und -spezialisten beraten.
Zu Frage 10 («Aufgrund welcher Überlegungen kam der Verantwortliche oder die Verantwortlichen zum Schluss, dass ein solcher Einsatz verhältnismässig sei, obwohl im Zug beispielsweise auch Eltern mit Kindern mitmarschiert sein sollen?»):
Der Fanmarsch war nicht bewilligt und wurde von Anfang an polizeilich begleitet und be- obachtet. Hierbei zeigte sich bereits beim Einmünden der Umzugsspitze in die Badenerstrasse, dass sich Dutzende von Fans vermummten und begannen, inmitten der Menschenmenge verbotene pyrotechnische Gegenstände zu zünden. Aufgrund dieser Rechtsverletzungen und der mit ihr einhergehenden akuten Verletzungsgefahr für die Teil- nehmerinnen und Teilnehmer des unbewilligten Fussmarsches war die Stadtpolizei gezwun- gen, den Marsch zu stoppen.
Die Stadtpolizei bedauert, wenn es Eltern geben soll, die mit ihren Kindern an unbewilligten Fanmärschen teilnehmen, in welchen erfahrungsgemäss ein hohes Gewalt- und Eskala- tionspotenzial herrscht.
Zu Frage 11 («Sind die Teilnehmenden des Marschs von der Polizei gewarnt worden? Wenn nein, wes- halb nicht? Wenn ja, in welcher Form?»):
Sowohl den meisten Fans als auch den sie begleitenden Fanverantwortlichen ist die Illegali- tät ihres Tuns und damit das Risiko eines gegen sie gerichteten Polizeieinsatzes bewusst. Aufgrund des massiven Abbrennens von verbotenen pyrotechnischen Gegenständen beim unbewilligten FCZ-Fussmarsch am Derby FCZ – GC vom 8. April 2012 wurde die Vereinslei- tung des FCZ von der Stadtpolizei Zürich in schriftlicher Form einmal mehr auf die nicht län- ger tolerierbaren Rechtsverstösse aufmerksam gemacht und ersucht, ihre Fans dazu anzu- halten, sich inskünftig auf gesetzeskonforme Art und Weise zum Stadion zu begeben. Die Ereignisse vom 12. Mai 2013 belegen auf deutliche Art und Weise, dass diese erneuten Be- mühungen, im Dialog eine Verbesserung der unhaltbaren Zustände herbeizuführen, bisher leider nicht erfolgreich waren.
Aufgrund dieser Ausgangslage wurden die Teilnehmenden des unbewilligten Fanmarsches nicht nochmals auf die Illegalität aufmerksam gemacht. Mit dem Stoppen des Fanmarsches beabsichtigte die Polizei eine Abmahnung und versuchte die Fans dazu zu bewegen, ohne Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen und unvermummt den Marsch fortzusetzen. Der kurze Gummischrot- und Wasserwerfereinsatz erfolgte als Reaktion auf den unter Frage 4 erwähnten Fluchtversuch in einen Hinterhof von Dutzenden von FCZ-Fans. Eine Abmah- nung war wegen der Unmittelbarkeit nicht mehr möglich.
Zu Frage 12 («Welche Meldungen über Verletzungen wegen dem Einsatz von Gummischrot sind bei der Stadtpolizei bisher eingegangen?»):
Die Stadtpolizei hat Kenntnis über die Verletzung eines Marschteilnehmers, welcher von einem Gummischrot derart unglücklich an der Stirne getroffen wurde, dass er eine Riss- quetschwunde erlitt, die ärztlich versorgt werden musste. Die Stadtpolizei bedauert, dass es
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zu dieser Verletzung gekommen ist. Die verletzte Person hat bei der Kantonspolizei eine Strafanzeige eingereicht. Eine Untersuchung ist im Gange.
Zu den Fragen 13 und 14 («Welche Meldungen über Sachbeschädigungen sind bei der Stadtpolizei eingegangen?»):
(«Medienberichte und Augenzeugen berichten von einer friedlichen Stimmung, weshalb «musste» der Fanmarsch trotzdem gestoppt werden?»):
Der Stadtpolizei liegen keine Meldungen über Sachbeschädigungen vor. Es sei hier noch- mals darauf hingewiesen, dass die Polizei den Fanmarsch nicht deshalb stoppte, weil aus ihm Sachbeschädigungen verübt wurden, sondern deshalb, weil Dutzende von teilweise ver- mummten Fans massiv verbotene und gefährliche pyrotechnische Gegenstände zündeten.
Vor dem Stadtrat
die Stadtschreiberin
Dr. Claudia Cuche-Curti
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Hast du Feuerschweif am Heck, spült das Wasser alles weg.
-Alte sizilianische Bauernweisheit!