Beitragvon Basel_isch_gaggi » 13.05.11 @ 11:00
Laperrière erstattet Anzeige
Carlo Tebi war ausser sich vor Wut und setzte mit erhöhtem Puls zu einem Monolog an. Der italienische Trainer der AC Bellinzona fasste das, war hinter ihm lag, als Affront gegen seine Mannschaft auf und machte dafür den Schiedsrichter verantwortlich. Er warf ihm «Respektlosigkeit» vor, witterte eine Verschwörung und verabschiedete sich. Fragen beantwortete er keine. Support bekam er anderntags. «Laperrière verdirbt den Abend von Bellinzona», klagte der «Corriere del Ticino».
Jérôme Laperrière war also der Mann, der allen Tessiner Unmut auf sich zog. Der 41-jährige Betreibungsbeamte leistete sich nach 74 Minuten einen kapitalen Fehlentscheid gegen Bellinzona und für St. Gallen. Dem Gastgeber verweigerte er einen klaren Penalty, obwohl Lopar nicht den Ball, sondern mit ganzer Wucht Feltscher gestoppt hatte.
Ein Messer im Autopneu
Der Schiedsrichter beging damit nicht seinen ersten, aber den ärgsten Fehler. Und als der Waadtländer drei Minuten später einen anderen Massstab anwendete und Regazzoni nach einem leichten Rempler von Edusei mit einem Elfmeter belohnte, kochte die Tessiner Volksseele endgültig. Für St. Gallen war der Weg frei zum bedeutenden Sieg im Abstiegskampf – und für das Schiedsrichter-Quartett begann mit dem Schlusspfiff eine höchst ungemütliche Verlängerung.
Weil im baufälligen Stadion Communale die Schiedsrichter-Kabine in der Nähe von Bellinzonas Garderobe liegt und befürchtet wurde, die aufgebrachten Fussballer und Funktionäre würden die Nerven komplett verlieren, zog sich Laperrière mit seinen Kollegen auf Empfehlung des Sicherheitsdienstes in einen anderen Raum zurück. Zu spüren bekamen die Spielleiter den Frust trotzdem: Ihre Zivilkleider erhielten sie völlig durchnässt zurück, zwei Anzüge wurden zerstört. Die Fortsetzung fand vor dem Stadion statt. Laperrières Auto wurde von ACB-Anhängern zerkratzt, in einem Pneu steckte ein Messer.
Bellinzona klar benachteiligt
Die Unparteiischen wurden von Polizisten durch einen Seitenausgang eskortiert, erstatteten auf dem Posten Anzeige gegen unbekannt und verliessen Bellinzona weit nach Mitternacht. Morgens um 5 Uhr kam Laperrière schliesslich nach Hause. «Solche Aggressionen habe ich noch nie erlebt», sagte er. Als er daheim die Fernsehbilder des Spiels anschaute, musste er aber zugeben: «Ich habe einen grossen Fehler begangen und Bellinzona in der Szene klar benachteiligt.»
ACB-Präsident Gabriele Giulini war der einzige Tessiner Funktionär, der sich um Besonnenheit bemühte. Laperrières Leistung goutierte er zwar in keiner Weise: «Er war einfach nicht gut.» Aber seine Kritik traf auch das Verhalten des eigenen Teams: «So falsch gewisse Entscheide auch waren: Alles dürfen wir uns nicht erlauben.»
Meier: Schweinerei!
Urs Meier arbeitete die Ereignisse am Donnerstag aus der Ferne auf zwei Ebenen auf. Da war zum einen diese eindeutige Penaltysituation, bei der sich der Schiedsrichterchef kopfschüttelnd fragte: «Wieso pfeift er da nicht?» Und er dachte bei St. Gallens Elfmeter: «Tendenziell ist das keiner.» Was übersetzt heisst: Es war keiner. Zum andern ist für Meier aber inakzeptabel, wie seine Leute attackiert wurden: «Das ist eine Schweinerei!» Er verlangt von der Liga Massnahmen: «Die Grenze des Tolerierbaren ist überschritten.»
Gefordert ist aber auch Meier. Er muss für morgen einen heiklen Personalentscheid treffen; Welchen Schiedsrichter bietet er auf, wenn Bellinzona gegen Xamax das nächste brisante Spiel im Abstiegkampf bestreitet?
Leperrière entschuldigt sich
Gegenüber der Online-Plattform des Schweizer Fussball-Verbandes Football.ch entschuldigte sich der Schiedsrichter für seinen Fehlentscheid bei der AC Bellinzona. Neben den zwei zerstörten Anzügen und dem demolierten Auto eröffnete Laperrière, dass zwei weitere Anzüge schwer beschädigt wurden und der «zurückgelassene Ehering eines meiner Assistenten» verschwunden ist.
Nur im südlichsten Sektor des Stadions drängten sich die Anhänger wie in einer «normalen» Partie. Der harte und beeindruckend treue Kern entzog dem FCZ die Zuneigung nicht, andere wandten sich hingegen ab.