Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

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Pedro
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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Pedro » 19.03.10 @ 6:30

Der Einfachheit zu liebe habe ich mein Post versucht kurz zu halten, doch um die von Sammy erwähnten Ungenauigkeiten zu klären würde ich gerne auf ein paar Puntke genauer eingehen.

Natürlich bin auch ich dankbar für den Rechtsstaat so wie wir ihn gegenwärtig haben und so fordere ich auch keinen Umsturz - viel mehr möchte ich die Richtung kritisieren in welche er sich bewegt und Alternativen aufzeigen. Hierbei glaube ich gilt es zwischen einer inhaltlichen und einer formellen Kritik zu unterscheiden, dass heisst zwischen dem was der Staat macht und dem wie er es macht.

Bei meiner formellen Kritik geht es mir darum, dass der schwindende kritische Journalismus, die technologische Aufrüstung des Staates und die einseitige Rechtssprechung bei Vergehen von Polizisten zu einem gefährlichen Stillstand führen. In einer Demokratie muss es möglich sein sich "falsch" zu verhalten, denn was heute als richtig erachtet wird, kann morgen schon Geschichte sein. Dies versuchte ich an Hand historischer Beispiele zu illustrieren. Ich glaube nicht das wir in einer ähnlichen Situation wie Gandhi sind oder das er mit uns für Pyros in den Stadien gekämpft hätte, doch ich denke das wenn er besser überwacht worden wäre und ihn die Kuscheljustiz nicht so sanft behandelt hätte, Indien heut noch britisch wäre. Die Demokratie ist nämlich nur dann die best mögliche Staatsform, wenn die Meinung den Staat kontrolliert und nicht umgekehrt. Wenn die meinungsbildenden Medien jedoch aus ökonomischen Überlegungen Polizeimeldungen 1:1 übernehmen, kann dies nicht mehr garantiert werden. Auch Datenbanken, Kameras oder Internetfahndungen führen zu einer Schmälerung der Meinungslandschaft, die der Nährboden für unsere Staatsform ist. Was nützen die besten politischen Instrumente, die sich Rosa Parks hätte wünschen können, wenn der Staat dafür sorgt, dass es nur eine Meinung gibt?

Meine inhaltliche Kritik, zielt viel mehr darauf ab, dass es momentan eine regelrechte Diskriminierung der Fussballfans (und natürlich auch Eishockeyfans) gibt, die viele nicht wahr haben wollen. Und ich finde es eine Schande für unser Land, dass ein Fussballfan schlechter behandelt wird als irgend ein anderer Bürger - das fängt bei der Tatsache an, dass es bei Leichtathletikveranstaltungen durchaus möglich ist Stehplätze anzubieten, geht weiter damit, dass gegen Pyros bei Skispringen oder anderen Veranstaltungen nicht vorgegangen wird, über zur Tendenz, dass Fussballfans für die gleichen Vergehen härtere Strafen erhalten, gefolgt von der Schaffung gesonderter Fichen-Datenbanken, hin zur Absurdität, dass die Fotos verurteilter Kindermörder anonymisiert werden - Fussballfans jedoch schon beim Verdacht auf ein marginales Vergehen per Zeitungsbild gesucht werden und mündet darin, dass überdimensionierte Polizeiaufgebote nur darauf warten unverhältnismässig hart durchzugreifen. In Anbetracht solcher Verhältnisse halte ich kollektive Selbstverteidigung (mehr nicht) durchaus für legitim und kann es auch nachvollziehen wenn jemand überreagiert. Ich sehe in der Gewalt jedoch nicht das Mittel um irgendwelche Ziele zu erreichen und gebe dir recht, dass hier auf der politischen Ebene mehr erreicht werden kann.

Meine Alternative besteht in der Akzeptanz der Fankultur durch den Staat und die Medien und deren Kultivierung unsererseits.Ich sehe nicht ein wieso man uns nicht einfach gewähren lässt oder wieso die Fankultur ein gesellschaftlicher Sonderfall sein soll. Ich glaube jedoch, dass es unter anderem das Tabuthema Gewalt und unser schizophrener Umgang damit ist, die erklären wieso Hinz und Kunz glauben, es gehe sie etwas an ob ich im Rahmen meiner Kollegen Feuerwerk abbrennen lasse oder ob ich einem anderen der dies so wünscht aufs Auge gebe. Dieser kollektive Konflikt zwischen der Faszination für Gewalt und ihrer moralischen Verpöhnung führt dazu, dass die Medien oft reich bebildert darüber berichten was mit Hilfe von Repression so zwanghaft zu ersticken versucht wird. Wäre dieses Thema nicht so tabuisiert und würde man akzeptieren, dass sich junge Männer seit jeher gerne physisch messen, gäbe es nämlich kaum Reibungsflächen zwischen der Allgemeinheit und dem bereiten Teil der Fankultur, denn entgegen dem Bild welches allzu oft gezeichnet wird, sind selten bis nie unbeteiligte Personen in Fanauseinandersetzungen involviert. Ich setzte mich hiermit nicht für irgendeinen rechtsfreien Raum ein, in welchem man sich ungestraft prügeln kann - viel mehr plädiere ich für einen unverklemmteren und verständnisvolleren Umgang mit Gewalt unter Gleichgesinnten.
Ich weiss, dass viele meine Ansichten und Vorstellung hierzu nicht teilen, doch glaube ich, dass wir zuerst die oben genannten Entwicklungen und Diskriminierungen stoppen sollten bevor wir uns Sorgen über eine künftige Richtung der Kurve machen, denn wenn es so weiter geht, gibt es bald keine Kurve mehr.


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Herr Elsener
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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Herr Elsener » 19.03.10 @ 7:07

viel mehr plädiere ich für einen unverklemmteren und verständnisvolleren Umgang mit Gewalt unter Gleichgesinnten.


genau.
das wäre sicher auch im sinne ghandis gewesen.

teile weder deine Meinung noch deine bizarren Argumentationen.
Freiheit ist kein a la carte angebot, aus dem man das auswählen kann, auf was man gerade lust hat.
was du beschreibst ist Anarchie.

sammy: stimme dir absolut bei. tut gut so etwas im forum zu lesen. bitte mehr und öfter!

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Sammy
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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Sammy » 19.03.10 @ 9:44

Noch ein paar Gedanken und ich befürchte, dass auch dieses Post nicht ganz so kurz wird. Damit wären wir bereits beim ersten Problem im Zusammenhang mit Medien und Meinungsbildung: Das alles immer so kurz sein muss (und bunt). Wer hat noch Zeit und Lust lange Posts, Artikel o.ä. zu lesen, wenn man nach dem Durchblättern (Lektüre kann das wohl nicht genannt werden) von 20Minuten meint, man wisse schon alles.

Ich teile Deine Medienkritik nur bis zu einem gewissen Grad. Es stimmt, dass die Qualität des Journalismus nicht besser geworden ist - au contraire. ABER: Medienunternehmen sind Unternehmen. Unternehmen wollen zuerst Geld verdienen. Das machen sie, indem sie Information an die Leute bringen und die Information so büscheln und aufbereiten, dass möglichst viele Medienkonsumenten ihr Produkt kaufen und deshalb die Werbeeinnahmen fliessen. Die Realität ist leider weniger toll, als die Romantisierung der Medien als vierte Kraft, ist aber (mit Ausnahmen) so. Das ist aber nichts Neues. Ich habe nach Wohnungsnotdemos in den 80ern gesehen, wie sehr Polizei- und Medienberichte mit Selbsterlebtem divergieren. Schauder.

ABER: Wir haben das Internet! Weder Gandhi, Parks noch die 80er-Jahre kannten dieses Medium. Früher musste man immer über den Gatekeeper Journalist/Medienunternehmen, wenn man an die Öffentlichkeit gelangen wollte. Das ist heute nicht mehr so und das ist gut so. Wenn ich die Berichte von Aarau lese, besuche ich auch das FCZForum um mir eine Meinung zu bilden und lese nicht (nur) den Polizei/Medienbericht. Das ist toll und wird mithelfen den Staat demokratisch zu kontrollieren. Ich bin da optimistisch, denn diese Entwicklung lässt sich kaum mehr kontrollieren oder aufhalten.

Jetzt müssen die Menschen nur noch die Geduld aufbringen, unsere langen Posts zu lesen und selbst an der Meinungsbildung aktiv teilzunehmen.

Was die Diskriminierung von Fussballfans angeht, teile ich Deine Meinung. Allerdings ist auch das kein neues Phänomen (leider). Der Mechanismus ist immer der gleiche: Schliesse von Einzelnen auf die Mehrheit oder picke ein Symbol der angepeilten Gruppe und bashe drauf los! Das funktioniert bedauerlicherweise noch immer recht gut und produziert einen Unsinn am anderen, ein paar aktuelle Beispiele: Minarettverbot, Verbot von "Killerspielen", Fichierung von Unschuldigen (Gamma), zur Zeit gerade auch aktuell: Alles was mit "Ausländerkriminalität" zu tun hat (guter Artikel dazu in der letzten WOZ). Allerdings muss fairerweise auch gesagt werden, dass diese Formen von Ausgrenzung (so wenig ich sie gut heisse) weit weniger dramatisch sind als vergangene. Gandhi beispielsweise als Profiteur einer englischen Kuscheljustiz hinzustellen, scheint mir dann doch eine sehr gewagte These zu sein.

Nun, was können wir dagegen tun?

Vielleicht einmal bei uns selbst anfangen und eigene Vorurteile überprüfen: Sind wirklich alle Polizisten Bullenschweine, alle Aargauer Weissesockenträger, jeder GC-Fan ein reicher Snob, jeder Deutsche ein Sauschwabe, jeder Sozialhilfeempfänger ein Schmarotzer, ...

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Solaris
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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Solaris » 19.03.10 @ 10:27

Sammy hat geschrieben:
Vielleicht einmal bei uns selbst anfangen und eigene Vorurteile überprüfen: Sind wirklich alle Polizisten Bullenschweine, alle Aargauer Weissesockenträger, jeder GC-Fan ein reicher Snob, jeder Deutsche ein Sauschwabe, jeder Sozialhilfeempfänger ein Schmarotzer, ...


Also solches Schwarz Weiss-Denken ist sowieso sehr gefährlich.
Ich glaube aber die meisten in der Kurve sind genug intelligent um nicht solche Vorurteile als Wahrheit zu nehmen.
aber natürlich repräsentieren wir mit unserer Kurve solche Klischees, wir singen ja auch davon.
Aber trotzdem sollte sich jeder eine eigene Meinung über ein Thema machen und sicher nicht einfach blind etwas vertrauen das er irgendwo gehört oder gelesen hat.
Man sollte auch nicht immer alles für voll nehmen was in den Medien steht, denn meistens handelt es sich um copy-paste-bildli Journalismus, was ich als ganz gefährlich ansehe, da so jede menge leute von einer falschen Wahrheit geblendet/beeinflusst werden.

ich hoffe ihr zwei (sammy&pedro) seid heute abend auch dabei.
wir brauchen gute Anregungen und auch verschiedene Meinungen um einen gemeinsamen Konsens zu finden.
10.5.2008 - FC Thun : FCZ AUCH ICH ÜBERLEBTE MUHEN !!

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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Maloney » 19.03.10 @ 10:55

Ich hoffe, dass die Diskussion heute Abend im Wellness auch so reichhaltig wird, wie hier im Forum.

Die Fragen sind doch folgende: Wie gross ist der Nutzen, wenn wir der Repression mit Aggression entgegen treten? Spielen wir nicht genau so unseren Gegnern in die Hände?

Z.B. das letzte Reclaim the Streets hat gezeigt, dass sich niemand mehr für die politische Botschaft interessiert, sobald einige Schaufensterscheiben einschlagen. Mit der Kurve ist es doch genau das Selbe: Es ist ziemlich sinnlos gegen Repression kämpfen zu wollen, solange man immer wieder neues Futter für Repression liefert.

Klar kann man sagen, was interessiert uns schon die Meinung irgendwelcher Bünzlis die die Hintergründe nicht kennen? Aber es sind genau diese die fleissig Stimmen und Wählen gehen und somit die politische Richtung festlegen.

Gerade Gandhi hat gezeigt, welche Möglichkeiten des gewaltfreien Widerstandes es gibt. Denn ob es euch gefällt oder nicht, aber die meisten gewaltsamen Widerstände von Minderheiten in der Geschichte sind gescheitert und haben die Schraube der Repression einfach noch mehr angezogen.

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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon Sammy » 19.03.10 @ 11:04

Solaris hat geschrieben:ich hoffe ihr zwei (sammy&pedro) seid heute abend auch dabei.
wir brauchen gute Anregungen und auch verschiedene Meinungen um einen gemeinsamen Konsens zu finden.


Für mich gilt: Leider nein. Freitagabende gehören meiner Familie.

Aber aktiv werde ich bleiben. Ein Grund für die abnehmende Zahl meiner Beiträge im Forum ist die zunehmende Zahl Stunden, die ich mit Politik verbringe (im letzten Jahr beispielsweise im Abstimmungskampf gegen Gamma) - kann ich allen nur empfehlen, ich finde es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen an der Arbeit an der Gesellschaft und der Gestaltung der öffentlichen Räume, in denen wir uns bewegen, beteiligen. Dazu braucht man nicht zwingend einer Partei beizutreten, auch die Südkurve macht in meinem Verständnis Politik.

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Re: Gästetickets, Repression und Linie der Kurve – Diskussion

Beitragvon devante » 19.03.10 @ 11:14

wow, grossartige postings, danke.

Ein Vorschlag von mir wäre , eine Vereinsübergreifende "Datenbank" bzw ein Vereinsübreifendes Medium zu nutzen oder zu erstellen wie z.b. dieses hier:
http://www.fansmedia.org/

So eine Page würde auch bei den Medien wohl ein wenig mehr beachtet als einzelne Fanforen und könnten evtl. so in der breiten Oeffentlichlichkeit auch mehr bewirken?
BORGHETTI


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